Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht? Haft in Österreich
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31. März 2019, 05:01 Uhr
Zwei Wochen nach dem Ausbruch kann die Presse einen Erfolg melden. Albrecht wird am 8. Februar in Pressbaum bei Wien festgenommen. Er hat dort versucht, in eine Tankstelle einzubrechen. Bei der Festnahme nennt sich Albrecht "Manfred Kaiser", geboren am 20. April 1940. Auch dieser ausgedachte Geburtstag ist sicher kein Zufall. Das Datum ist der "Führer-Geburtstag". Den Vornamen seines Vaters gibt Albrecht mit "Adolf" an. Die Beamten entdecken in seinem gestohlenen VW zahlreiche Nachschlüssel, Einbruchswerkzeug, acht Blanko-Formulare für deutsche Personalausweise, zahlreiche andere Formulare und Scheine sowie goldene Schmuckstücke und 35 gebrauchte Armbanduhren. Albrecht sagt den Ermittlern, dass er auf der Flucht nach Jugoslawien sei. Die Österreicher inhaftieren Albrecht zunächst für 14 Tage wegen Fahrens ohne Führerschein. Nach der Festnahme beantragen die Bundesrepublik bzw. Nordrhein-Westfalen sowie Luxemburg die Auslieferung. Die Schweiz verzichtet auf einen Auslieferungsantrag. Die Schweiz und Frankreich sind aber bereit, Albrecht während der Auslieferung nach Luxemburg die Durchreise durch ihre Staaten zu gestatten. Ein Jahr später, im August 1972, lehnt das österreichische Außenministerium die Auslieferung Albrechts nach Luxemburg allerdings ab und gibt der nordrhein-westfälischen Justiz den Vorrang.
Begegnung mit dem Rechtsextremisten Peter Kienesberger
Wie bereits in der Schweiz versucht Albrecht um jeden Preis, seine Auslieferung an die Bundesrepublik zu verhindern. Im Wiener Gefängnis "Graues Haus" lernt er flüchtig den österreichischen Rechtsextremisten Peter Kienesberger kennen. Kienesberger hatte in Südtirol mehrere Anschläge verübt.
Vom Gefängnis aus knüpft Albrecht Kontakt zu dem zwielichtigen Recklinghäuser Anwalt Wilhelm Schöttler. Albrecht sucht einen "rechtsgerichteten Rechtsanwalt". Sein Kumpan Erhard Reinhardt empfiehlt ihm Schöttler, der bereits Rechtsradikale verteidigt hat. Der in der rechten Szene gefragte Anwalt wird für die nächsten Jahre Albrechts Vertrauter. Schöttler hat außerdem Verbindungen in den arabischen Raum. Er ist Ehrenpräsident der "Gesellschaft für deutsch-arabische Freundschaft" und Professor in Beirut. Schöttler gilt als Vertrauensanwalt der PLO in der Bundesrepublik. Der Recklinghäuser wird der deutsche Verteidiger der überlebenden palästinensischen Attentäter des Olympia-Anschlags von 1972. Gleichzeitig hat der Anwalt enge Kontakte in die exilkroatische Szene in der Bundesrepublik. Albrecht darf in Schöttlers Kanzlei ungestört Einsicht in die verschiedensten Akten nehmen. Außerdem schmuggelt Schöttler immer wieder Briefe zwischen dem inhaftierten Albrecht und seinen Gesinnungsgenossen. Einmal soll er auch einen Koffer mit Waffen für Albrecht verwahrt haben.
Staatsbürger der DDR
Anfang März wird Albrecht vom Gefängnis in Wien nach Feldkirch überstellt. Am 20. Mai 1971 schreibt er im dortigen Gefängnis einen zwölfseitigen Brief. Der erste Satz: "Ich lehne eine Auslieferung ab und bitte hiermit um politisches Asyl." Als Grund gibt er in seiner ausführlichen Begründung an, dass er "gesetzlich" Staatsbürger der DDR sei und eine BRD-Staatsbürgerschaft nie angenommen habe. Tatsächlich führen auch die österreichischen Behörden Albrecht in ihren Akten als "Staatsbürger der DDR". Allerdings scheint niemand Kontakt zu den DDR-Behörden aufgenommen zu haben. Zwischen beiden Staaten gibt es keine diplomatischen Beziehungen.
Das Landgericht Feldkirch verurteilt Albrecht am 8. Juli 1971 wegen Diebstahls zu einer "schweren verschärften Kerkerstrafe" von fünf Jahren. Der Oberste Gerichtshof in Wien lehnt eine Berufung ab. Am 22. Februar 1972 wird Albrecht in die Strafvollzugsanstalt Garsten überstellt. Gleichzeitig läuft das Auslieferungsverfahren. Am 5. August 1971 bewilligt das Oberlandesgericht Wien die Auslieferung. Allerdings soll Albrecht erst seine Strafe in Österreich absitzen, bevor er in die Bundesrepublik ausgeliefert wird. Am 17. Januar 1972 wird Albrecht ausführlich zu seinem Leben und seinem Asylbegehren befragt.
In seiner Einschätzung kommt der Vernehmer zu dem Schluss, dass es sich bei Albrecht um einen "kriminell mehrfach vorbestraften Menschen, mit gefährlicher, nicht durchschaubarer, radikaler, nationalsozialistischer Einstellung und Überzeugung" handele. Seine kriminellen Taten seien zwar "vielleicht auch politisch motiviert", aber würden "doch überwiegend den Charakter gemeiner, durch selbstsüchtige Zwecke bestimmter Verbrechen aufweisen." Es sei nicht nachweisbar, dass die erbeuteten Gelder in die "Organisation" geflossen seien, sondern es sei wahrscheinlich, dass Albrecht "mit diesen Geldern seinen Lebensunterhalt bestritten und wahrscheinlich auch seine Reisen durch verschiedene europäische Länder" finanziert habe.
Wollen Palästinenser Albrecht befreien?
Am 18. Februar 1972 lehnt die "Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg" Albrechts Asylantrag ab. Einen Tag später, am 15. Juli 1972, schickt die Kriminalpolizei Dortmund über Interpol Wiesbaden ein Fernschreiben an die Kollegen in Österreich. In Dortmund habe Willi Pohl seinem Chef einen Blanko-Scheck entwendet, weshalb dieser der Polizei berichtete, Pohl habe für die Fatah gearbeitet und sich in Dortmund wiederholt mit dem Araber Saad Walli getroffen. Saad Walli war ein Deckname. Abu Daoud, ein Mitbegründer des "Schwarzen September", der als ein Drahtzieher der Olympia-Geiselnahme von München zwei Monate später gilt, plante "angeblich die Befreiung des Deutschen Udo Albrecht". Pohl habe aus München einen Brief erhalten, der konspirativ klinge, auf eine Gruppe hindeute und auch von "Udo" und "Österreich" spreche.
Die österreichischen Behörden reagieren. Albrecht wird am 1. August 1972 von Garsten nach Stein an der Donau verlegt. Aus Sicherheitsgründen wird der neue Haftort nicht bekanntgegeben. Plant die Terrorgruppe "Schwarzer September" tatsächlich die Befreiung Albrechts? In einer späteren Vernehmung sagt Albrecht aus, dass ein leitendes Mitglied der Gruppe seine Befreiung geplant habe - diese aber verraten worden sei. Möglicherweise, so spekuliert Albrecht rückblickend, sei die Aktion von Pohl verraten worden.
Albrecht will seine Depots verraten
Am 23. Januar 1973 schreibt Albrecht "An die Sicherheitsdirektion! Abt: Stapo, Palästinenser-Referat". Er bittet um Rücksprache mit einem "maßgeblichen Beamten". Und er fügt hinzu: "Vielleicht ist eine Zusammenkunft mit dem Beamten möglich, der mich bzgl. Palästinenser-Aktivität im Febr. 71 einmal aufgesucht hatte." Konkreter wird Albrecht in dem Schreiben nicht. Die Anstaltsleitung reicht das Schreiben weiter: "Im Hinblick auf die besondere Fluchtgefährlichkeit des Strafgefangenen sowie dessen besonders gefährliche Verbindung zur Außenwelt (Ausbruch bzw. Befreiung des Gefangenen) wird die gegenständliche Eingabe - wie bisher alle Eingaben - dem Bundesministerium für Justiz zur weiteren Veranlassung vorgelegt." Die Behörden stimmen Albrechts Bitte zu. Am 25. Mai, vier Monate später, wird Albrecht von zwei Beamten der Polizeidirektion Wien, Abteilung I, befragt. Albrecht sagt sofort, dass er nicht in die Bundesrepublik abgeschoben werden wolle. "Er ist der Ansicht", so der Beamte, "dass ‘die draußen noch etwas anderes mit ihm vorhaben’." Er wolle in Österreich bleiben oder eventuell in ein arabisches Land abgeschoben werden "Falls dies nicht möglich wäre, würde er die Abschiebung in die DDR erbitten." Albrecht glaube, dass die bundesdeutschen und österreichischen Behörden dem "jüdischen Einfluss" unterliegen.
Der Strafgefangene macht nun ein Angebot: Er könne den Behörden Hinweise geben, "wo Blankopässe, Geld, Rundstempel, Waffen und Sprengstoffe im Erdboden vergraben bezw. in Bahnhofsschließfächer aufbewahrt werden." Und weiter: "Diese Depots sollen arabischen oder proarabischen Terroristen als Hilfe in Notfällen oder für eventuelle Einsätze dienen." Angeblich habe er seinerzeit "beim Anlegen von 20 dieser Lager" mitgearbeitet. Albrecht nennt aber auch mögliche Schwierigkeiten beim Aufspüren der Depots. Sie könnten sich verändert haben oder inzwischen geleert sein. Er selbst habe bei seiner Flucht aus der Schweiz ein Bahnhofsschließfach geöffnet, ein anderes Depot habe er verfehlt. Alternativ bietet Albrecht an, nach seiner Entlassung und bei einer aufgehobenen Abschiebung die österreichischen Behörden zu informieren, "wann Terrorgruppen Anschläge durchführen werden". Bis 1972, während seiner Zeit in Garsten, habe er noch entsprechende Verbindungen gehabt. Der Beamte beobachtet: "Wenn Albrecht von solchen Aktionen spricht, wird er sehr impulsiv, seine Augen leuchten und er zeigt Photos vor, auf denen er in einem englischen Panzer stehend zu sehen ist." Die Polizei wertet den Vorschlag Albrechts als weiteren Versuch, seiner Auslieferung in die Bundesrepublik zu entgehen. Udo Albrecht wird am 31. August 1973 an die bundesdeutsche Justiz übergeben.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. März 2019 | 06:00 Uhr