Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht? Udo Albrecht in der Berichterstattung - die Legende vom Einflussagent
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31. März 2019, 05:00 Uhr
Am 21. Oktober 1981 berichtet der antikommunistische Fernsehjournalist Gerhard Löwenthal im "ZDF-Magazin" über den "schwerkriminellen" Albrecht, einer "Schlüsselfigur des braunen Untergrunds".
In dem Bericht geht es weniger um das kriminelle Leben Albrechts, sondern um den Nachweis, dass der rechte Terror gegen jüdische und israelische Einrichtungen in der Bundesrepublik vom kommunistischen Ostblock nicht nur geduldet, sondern auch gelenkt wird. In seiner Anmoderation weist Löwenthal darauf hin, dass es auffällig sei, dass ein großer Teil der jüngeren Neonazis in der Bundesrepublik aus der DDR stamme: "Ist ihr Verhalten hier die Reaktion auf Unterdrückung und Terror drüben, Enttäuschung darüber, dass der Westen ihrer Meinung nach schlapp und unentschlossen auf den menschenverachtenden Kommunismus reagiert oder steckt da ein Stück Steuerung dahinter?" Löwenthal verweist auf die Kontakte zur PLO und deren "engste Verbindungen" zum sowjetischen Geheimdienst.
Spekulationen um die Flucht
Der anschließende fast fünfminütige Beitrag beginnt mit aktuellen Aufnahmen von der innerdeutschen Grenze bei Büchen. Ein Güterzug fährt Richtung Osten. Dann werden farbige Fotos eingeblendet: Kriminalbeamte und Angehörige des Bundesgrenzschutzes graben am Rande des Bahndammes. Dazwischen ist ein vollbärtiger Mann mit Brille in einem orangenen Trainingsanzug zu sehen. Ohne Handschellen gräbt er selbst mit: Es ist Udo Albrecht. Laut Polizei, so der TV-Sprecher, soll es sich um einen "ungewöhnlich intelligenten und gefährlichen Berufsverbrecher" handeln. Ein anderes Foto zeigt, wie die bundesdeutschen Beamten am Bahndamm entspannt eine Pause machen - nur wenige Meter entfernt sitzt auf einem Geländer scheinbar unbeteiligt ein NVA-Grenzer.
Er beobachtet das ungewöhnliche Treiben. Zwei andere Fotos zeigen einen NVA-Grenzer, der Fotos von dem westdeutschen Fotografen und den ungewöhnlichen Auflauf am Bahndamm macht. Nach einer weiteren Filmsequenz, die einen Personenzug mit der Fahrtrichtung DDR zeigt, werden nacheinander zwei Fotos von Albrechts Flucht eingeblendet. Der Mann im orangenen Trainingsanzug läuft rechts am Bahndamm entlang Richtung DDR. Im Hintergrund ist ein Wachturm zu sehen. Niemand scheint ihm zu folgen - und niemand erwartet ihn. Im weiteren Verlauf des TV-Beitrages wird Albrechts El-Fatah-Sonderausweis gezeigt. Zu Wort kommt auch der Staatsanwalt aus Hamm. Er berichtet, was ihm die DDR-Staatsanwaltschaft mitgeteilt habe: Eine Auslieferung Albrechts werde abgelehnt, außerdem sei der Gesuchte inzwischen ausgereist. Im weiteren Verlauf des Beitrages wird Albrechts kriminelle und politische "Verbrecherkarriere" knapp geschildert. Er sei eine "Schlüsselfigur des braunen Untergrundes". Über den ebenfalls aus der DDR stammenden Erhard Reinhardt soll er erste Kontakte zu Palästinensern aufgenommen haben. Und: Albrecht dürfte für östliche Geheimdienste kein Unbekannter sein. Auch wenn die Beweise fehlen: Der Beitrag stellt nicht nur eine Nähe zwischen Albrecht und der DDR fest, sondern suggeriert auch geheimdienstliche Verbindungen. Im TV-Beitrag werden die einzelnen Stationen Albrechts mit Archiv-Aufnahmen aus Gefängnissen oder mit Archiv-Material aus dem jordanischen Bürgerkrieg illustriert. Dazwischen werden Passbilder von Albrecht eingeblendet. Auch das von Albrecht stets gehütete Foto mit dem erbeuteten Panzer wird gezeigt. Offenbar ist der Redakteur mit umfangreichem Material aus Albrechts Strafakte von den bundesdeutschen Behörden unterstützt worden.
Im Anschluss an den Magazinbeitrag ist ein etwa sechsminütiges Interview mit Willi Pohl zu sehen. In einem Straßencafé sitzend erklärt er die Bedeutung Albrechts für die PLO: Albrecht sei als einer der ganz wenigen Europäer bis in die Spitze der Organisation vorgedrungen. Er habe Kontakte zu sämtlichen Führern gehabt. Nach Aussage Pohls hat Albrecht die Abteilung zur Beschaffung besonderer Geräte und Waffen geleitet. Außerdem sei er mit der Anwerbung von Europäern beschäftigt gewesen. Die Flucht eines Rechtsextremisten in die DDR sei kein Widerspruch, schließlich engagiere sich die DDR stark für die Sache der Palästinenser. Albrecht "konnte einfach annehmen, dass die DDR die Beziehungen zur PLO höher bewertet als die Beziehungen zu Bonn." In seiner Abmoderation sagt Löwenthal: "Wenn also die PLO mit Neonazis zusammenarbeitet, so ist der Schluss zulässig, dass auch das dem KGB durchaus recht ist."
Für Löwenthal kommt der "Fall Albrecht" wie gerufen. Mit seinem ZDF-Magazin beteiligt sich der Jude und Antikommunist in den 1970er- und 1980er-Jahren an den großen politisch-publizistischen Debatten um Deutschlandpolitik, Extremismus und Terrorismus. Sein Hauptangriffsziel ist die DDR. Damit polarisiert Löwenthal. Doch er ist unbeirrbar und nonkonformistisch. Udo Albrecht liefert ihm den Beweis, dass die PLO und die DDR mit bundesdeutschen Rechtsextremisten gemeinsame Sachen machen. Ein Vorwurf, den bundesdeutsche DDR- und Palästinenser-Unterstützer nur schwer entkräften können.
Udo Albrecht im Bundestag
Anfang November wird der "Fall Albrecht" zum Thema im Deutschen Bundestag. Mehrere Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion wollen mit einer "Kleinen Anfrage" von der sozial-liberalen Bundesregierung Auskunft zur Flucht von Udo Albrecht. Sie möchten Hintergründe zu dem Fall erfahren und eine Einschätzung der Bundesregierung. Die lässt über den Parlamentarischen Staatssekretär beim Justizministerium mitteilen, dass sie die Entscheidung der DDR zur Kenntnis genommen habe. Sie bedauere, dass die Strafverfolgung verhindert und "einem gefährlichem Straftäter die Möglichkeit zu weiteren Straftaten eröffnet" werde. Die Abschiebung in ein Drittland stehe in Widerspruch zu Aussagen der DDR "über die Notwendigkeit einer effektiven Bekämpfung terroristischer und extremistischer Gewalttäter". Der gegenwärtige Aufenthaltsort von Albrecht sei der Bundesregierung nicht bekannt. Außerdem habe die Bundesregierung keine Anhaltspunkte dafür, dass die DDR bundesdeutsche Rechtsextremisten unterstütze.
Um die "Kleine Anfrage" zu beantworten, hat das Justizministerium unter anderem den Verfassungsschutz um Auskunft gebeten. In der Zuarbeit heißt es zum derzeitigen Aufenthalt von Albrecht: "Auf Grund der Zusammenarbeit Albrechts mit der Fatah wird [...] vermutet, dass er im Nahen Osten Unterschlupf gefunden hat." Beweise hat der Geheimdienst nicht.
Wenige Tage später, am 13. November 1981, berichtet der Deutschlandfunk über "Die DDR und der Fall Albrecht". "Sollte die DDR ein Interesse daran haben", fragt Ernst Steinke, "einen als rechtsradikal bekannten Terroristen vor der bundesdeutschen Justiz zu schützen?" Und: Könne es sich der selbsterklärte antifaschistische Staat leisten, "gemeinsame Sache mit einem Neonazi zu machen?" Für den Kommentator gleicht der Fall einer "Politkomödie". Neonazis, Fluchthelferszene und PLO-Guerilla seien hier auf "geradezu abenteuerliche Weise miteinander verflochten". Albrecht, der bei den Sicherheitsbehörden als "Gesinnungstäter und fanatischer Antikommunist" gegolten habe, sei in die "offenen Arme" der DDR-Grenzer geflüchtet. Steinke schürt den Verdacht, dass Albrecht Agent der Staatssicherheit sein könnte.
Gleichzeitig meldet sich Albrechts Anwalt Schöttler öffentlich zu Wort. Sein Mandant schulde ihm noch 20.000 D-Mark. Er vermute, dass sich Albrecht "wieder im Nahen Osten" befinde. Und: Nicht alle Vorwürfe gegen Albrecht seien beweisbar. Er wolle deshalb Albrecht überreden, sich den deutschen Behörden zu stellen.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. März 2019 | 06:00 Uhr