Rechtsextremismus | Dossier Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht?
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31. März 2019, 05:01 Uhr
Seit dem Sommer 1981 ist der Thüringer Rechtsextremist und Bankräuber Udo Albrecht auf der Flucht. Jetzt stellen die Behörden die Fahndung nach Albrecht ein. Albrecht ist ein Grenzgänger, der nur einen Feind kennt: die Juden. Zuletzt hatte das Bundeskriminalamt rund 10.000 Euro Belohnung für die Ergreifung Albrechts ausgesetzt. An der Suche war zeitweise auch der umstrittene Privatdetektiv Werner Mauss beteiligt.
Der Bankräuber und siebenfache "Ausbrecherkönig" Udo Albrecht packt im Sommer 1981 plötzlich aus. Ein Jahr hat er im Hochsicherheitsgefängnis Bielefeld geschwiegen. Jetzt verrät er den Ermittlern zwei geheime Depots: eins mit Waffen und eins mit Falschgeld. Die Tipps stimmen. Ein drittes Depot mit einer Panzerfaust soll sich an der deutsch-deutschen Grenze befinden. Die Ermittler gehen auf das Angebot des 41-Jährigen ein, sie an die fragliche Stelle an der Bahnlinie Hamburg - Berlin zu führen. Als ein Zug kommt, rennt Albrecht plötzlich über die Gleise Richtung DDR-Grenzzaun. Ein Staatsanwalt nimmt mit gezogener Pistole die Verfolgung auf, folgt ihm einige Meter auf DDR-Territorium. Albrecht stolpert auf dem Schotter, fällt hin. Ein DDR-Grenzer geht mit seiner Maschinenpistole in Stellung. Dann nehmen die Grenzer den Ausbrecher, der auch ein Heimkehrer ist, in Empfang.
Fluchthilfe in den Nahen Osten
Der Thüringer Albrecht ist kein gewöhnlicher Krimineller: Der Schwerverbrecher ist in die rechtsterroristische Szene tief verstrickt und pflegt engste Kontakte zu Terror-Organisationen im Nahen Osten, die im Libanon Anschläge planen, Stützpunkte in der Schweiz aufbauen und Bündnisse zwischen Arabern und Rechtsextremisten schmieden. Albrecht kennt nur einen Feind: die Juden. Außerdem hat der Flüchtling Verbindungen zu Nachrichtendiensten in Ost und West. Die DDR entzieht den zwielichtigen Thüringer dem Zugriff der bundesdeutschen Justiz. Die Stasi befragt ihn ausführlich, denn die Geheimdienstler sind äußerst misstrauisch: Ist Albrecht ein Provokateur? Geschickt von einem bundesdeutschen Geheimdienst? Schließlich lässt sie ihn nach einigen Tagen unbehelligt in den Nahen Osten ausfliegen. Bis heute ist die damalige "Galionsfigur der deutschen Neonazi-Szene" verschwunden. Ist er untergetaucht? Wurde er als Verräter ermordet? Oder hat ihn ein Geheimdienst mit einer neuen Identität ausgestattet?
Udo Albrechts Leben ist so undurchsichtig, wie seine Flucht in die DDR rätselhaft ist. Seine Lebensgeschichte lädt zu dunklen Vermutungen ein: Verschwörung, Vertuschung, Strafvereitlung. Gab es heimliche Spielchen? In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Mythen und Legenden um die Lebensgeschichte von Udo Albrecht gebildet. So wird über eine aktive Fluchthilfe der DDR oder der Bundesrepublik gemutmaßt. War er ein gesteuerter Einflussagent eines östlichen oder westlichen Geheimdienstes, gar ein Doppelagent? Oder war er ein Einzelkämpfer? Auch eine Verwicklung Albrechts in das Oktoberfest-Attentat, dem größten Terrorangriff in der Geschichte der Bundesrepublik, scheint möglich. Rechtskonservative sehen Albrechts Werdegang als Beleg für eine Steuerung Rechtsradikaler in der Bundesrepublik durch die DDR. Linke sehen dagegen den Beweis, dass bundesdeutsche Sicherheitsbehörden auf dem rechtem Auge blind seien. Albrecht ist kein intellektueller Ideologe, kein intelligenter Drahtzieher, kein tumber Schläger. Er ist auch kein NS-Nostalgiker. Ohne ideologische Deutung erscheint Albrechts Leben schlicht als hochkriminell. Albrecht ist wurzellos und nicht steuerbar. Aber er ist auch zutiefst antisemitisch. Er pflegte engste Kontakte zu militanten Palästinensern um Arafat - und wurde dessen "General".
Geheimdienstakten aus Ost und West
MDR THÜRINGEN hat sich auf die Spur gemacht: Erstmals wird der Weg Albrechts in den Rechtsterrorismus rekonstruiert, von seiner Kindheit in Thüringen, über die Flucht in den Westen und die ersten Straftaten bis zu seiner Kooperation mit palästinensischen Terroristen. Dazu wurden Geheimdienstakten aus Ost- und Westdeutschland ausgewertet, Unterlagen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Luxemburg gesichtet, darunter freigegebenen BND-Unterlagen. Auch die geheime elfbändige Akte der noch ermittelnden Staatsanwaltschaft wurde gelesen. Mehrere tausend Blatt wurden insgesamt ausgewertet. Viele Dokumente bundesdeutscher Behörden, die inzwischen vernichtet oder weiter gesperrt sind, finden sich in den Akten der DDR-Staatssicherheit. So ist es möglich, Lücken zu schließen und Aussagen Albrechts zu überprüfen.
Es bleibt die Frage: Wo ist Arafats Thüringer "General"?
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. März 2019 | 06:00 Uhr