Kommunalwahl 2024 Leipzig - eine Großstadt mit Wachstumsschmerzen
Hauptinhalt
07. Mai 2024, 14:10 Uhr
Tritt man aus dem Leipziger Hauptbahnhof auf die Straße, sieht man sie sofort: sehr grün, breit markiert - eine neue Fahrspur. Sie ist reserviert für die Radfahrer. Das bedeutet automatisch weniger Platz für die Autofahrer und ist deshalb nicht unumstritten. Der Verteilungskampf im Straßenverkehr vor dem Hauptbahnhof steht sinnbildlich für viele Bereiche in Leipzig. Überall die gleichen Fragen: Wie umgehen mit dem wenigen Platz, den die Großstadt bietet? Wer hat Vorrang? Wer muss zurückstecken? Wo liegen die Kompromisslinien?
Rund 629.000 Menschen leben aktuell an der Pleiße - und es werden täglich mehr. Die Stadt hat bundesweit mit Abstand das schnellste Bevölkerungswachstum. Und es bringt Probleme mit sich. Mehr als die Hälfte aller Leipzigerinnen und Leipziger sorgt sich darum, ob das Wohnen künftig bezahlbar bleibt. Das hat die "Leipziger Volkszeitung" in einer Umfrage herausgefunden.
Ein Thema, das auch Christopher Zenker, Fraktionsführer der SPD im Stadtrat, umtreibt. Seine Einschätzung: "Die Stadt erlebt immer noch ein Wachstum, wir kommen mit dem Wohnungsbau nicht hinterher. Das ist teilweise selbstverschuldet, weil wir in den Planungen nicht schnell genug sind innerhalb der Stadt." Doch er sieht auch Verfehlungen bei den Investoren, bei denen Leipzig hoch im Kurs steht. Diese würden trotz fertiger Planungen einfach nicht bauen, sondern weiter mit den Grundstücken spekulieren.
Knapper Wohnraum bringt Sorgen
Beim Thema Wohnraum scheint es über die Fraktionsgrenzen im Stadtrat hinweg eine breite Einigkeit zu geben. CDU-Fraktionsführer Michael Weickert stellt mit Rückblick auf die vergangenen Jahre fest: "Wir haben es nicht geschafft, genügend Wohnraum einzurichten." Linken-Fraktionschef Sören Pellmann gesteht, insbesondere beim sozialen Wohnungsbau sei man nicht "hundertprozentig erfolgreich" gewesen. Es bräuchte mehr Sozialwohnungen.
Dabei war der Stadtrat in den vergangenen Jahren keineswegs untätig. Mit einem Zweckentfremdungsverbot will der Rat ab Juni weiteren Wohnraum aktivieren. Allerdings scheinen das nur Tropfen auf sehr heiße Steine zu sein, denn der Wohnungsneubau kommt einfach nicht voran.
So soll beispielsweise seit Jahren am Eutritzscher Freiladebahnhof ein Wohnviertel mit rund 2.600 Wohnungen entstehen. Der Name für das Quartier, L416, leitet sich ab vom Bebauungsplan, den der Stadtrat beschlossen hat. Passiert ist allerdings wenig. Der Investor legt nicht los.
Auto, Fahrrad, ÖPNV: Wo liegt der Fokus?
Doch nicht nur der Wohnraum wird immer knapper in der Messestadt. Mehr Einwohner, das bedeutet mehr Verkehr auf den Leipziger Straßen: Radfahrer, Autos, Busse und Straßenbahnen teilen sich den Verkehrsraum. Wo liegen künftig die Prioritäten, fragen sich die Bürger. Bei den Grünen im Stadtrat ist der Fokus klar: Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft ist überzeugt, "dass wir unglaublich viel anstoßen konnten, um die Herausforderungen unserer Zeit für unsere Stadt zu bewältigen. Wir haben für den Radverkehr viel erreicht."
Tobias Keller, AfD-Fraktionschef in Leipzig, wünscht sich für die nächsten fünf Jahre eine neue Ausrichtung: "In der kommenden Legislatur wollen wir mindestens, dass die Straßen besser gebaut werden, dass nicht nur für Fahrradverkehr gesorgt wird." Es solle keine Symbolpolitik geben. Außerdem stellt er fest: "Fahrradverkehr braucht Sicherheit." Christopher Zenker (SPD) will vor allem Individualverkehr mit dem Auto in der Stadt vermeiden, auch mit Hilfe von Carsharing sowie Park-and-Ride-Möglichkeiten. "Ganz wichtig ist uns - und da könnte es auch besser laufen - der Fußverkehr. Wir brauchen viel besser gestaltete Fußwege."
Grabenkämpfe und Fachkräftemangel als Hemmnisse
Die vergangene fünf Jahre waren im Stadtrat geprägt von äußeren Einflüssen: Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, steigende Energiepreise. All das war auch für Dresden und Chemnitz sowie die Landkreise im Freistaat eine schwierige Situation. Doch die Ratsmitglieder in Leipzig sehen rückblickend noch ganz andere Hemmnisse - im eigenen Haus. So montiert Katharina Krefft, in den vergangenen Jahren sei "unglaublich viel Zeit" verwendet und verschwendet worden für unnötige Debatten, die nicht sachgerecht und von Hetze getrieben waren.
Sören Pellmann (Linke) bezeichnet die Zusammenarbeit der Verwaltungen und Behörden wie Landesbehörden, Genehmigungsbehörden und Fördermittelgebern als "Hemmnisse". "Hinzu kommt der Fachkräftemangel", erklärt SPD-Mann Christopher Zenker. Dieser mache sich auch in der Verwaltung bemerkbar. "Der macht, dass Projekte nicht so schnell umgesetzt und geplant werden können, wie wir uns das wünschen und eigentlich auch einfordern."
Kitas und Schulen auf Kurs
Auch wenn nicht immer alles so schnell geht, wie der Stadtrat es sich wünscht, ein Problem haben seine Mitglieder in den vergangenen Jahren lösen können: Geliefert hat der Stadtrat bei der Bereitstellung von Kitaplätzen. Auch das Schulausbauprogramm komme voran, was AfD-Fraktionschef Keller als Erfolg verzeichnet. Michael Weickert von der CDU hingegen zeigt sich vor allem über die Besetzung eines Postens erfreut: "Aus unserer Sicht ist auf jeden Fall gelungen, dass wir wieder einen Wirtschaftsbürgermeister für Leipzig haben. Zwei Jahre gab es ihn nicht und ich denke, das ist unser größter Erfolg."
In der Rückschau scheint auch die Linke Grund zur Freude zu haben. Sören Pellmann zählt neben den kostenfreien Eintritten in Leipziger Museen auch die Milieuschutzsatzung als Erfolg, die Luxussanierungen in der Stadt verhindern soll. Auch dass das Sozialticket als Deutschlandticket gilt, stimmt den Fraktionschef zufrieden.
Wir haben unter anderem soziale Haltungssatzungen durchbringen können. Es ist uns gelungen, dass das Leipziger Sozialticket als Deutschlandticket gilt, haben den kostenfreien Eintritt in Leipziger Museen erwirken können und durch das Milieuschutzsatzung wird es keine Luxussanierung mehr in Leipzig geben.
Erfolge, auf die der neue Stadtrat auf jeden Fall aufbauen kann und muss.
Zahlen, Daten und Fakten zu Leipzig
• Sitz des Stadtrats: Neues Rathaus
• Fläche: 297,6 km²
• Einwohner gesamt: 628.718
• Nicht-EU-Ausländer: 60.495 (9,63 Prozent)
• Durchschnittsalter: 42,3
• Arbeitslosenquote: 7,6 Prozent
• Pro-Kopf-Einkommen: 20.545 Euro
Quelle: Stadt Leipzig/Statistisches Landesamt
MDR (pri)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 24. Mai 2024 | 19:00 Uhr