Kommunalwahl 2024 Landkreis Leipzig zwischen Warten und Aufbruch
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25. Mai 2024, 10:00 Uhr
Strukturwandel ist sicherlich das meistgenutzte Wort im Leipziger Südraum. Seine Wirkung ergibt sich aus der Perspektive des Betrachters. Die Einwohner des Landkreises wollen leben und arbeiten. Investoren wollen siedeln und produzieren. Die Mitglieder des Kreistages wollen diesen Prozess gestalten.
Verlässt man Leipzig in Richtung Süden und fährt entlang der Autobahn 38, dann erscheinen am Horizont sehr schnell zwei mächtige Stahlkolosse. Die Giganten erheben sich 50 Meter über die ringsum flache Landschaft. Ein Kohlebagger und ein sogenannter Absetzer. Saurier aus Stahl. Sie sind die Attraktion des Bergbau-Technik-Parks. Das Freilichtmuseum ist ein Ort des Stolzes und der Vergangenheit.
Ein Dutzend Männer, ehemalige Bergleute, ölen und pflegen hier in ihrer Freizeit altes Bergbaugerät. Sie halten die Erinnerung wach an die stolze Vergangenheit des Landkreises, die über Jahrzehnte in der Überzeugung mündete: "Ich bin Bergmann, wer ist mehr?"
Stolz vergangener Tage
Bis direkt vor die Tore der Stadt Leipzig wühlten sich die Schaufelbagger im Tagebau Espenhain. Nun ist der Kohleausstieg längst beschlossen. Die Tagebaue sind mit Wasser gefüllt und bilden eine Seenkette.
Der Ausstieg aus der Braunkohle beschere dem Mitteldeutschen Revier einen erheblichen Strukturwandel, sagt Landrat Henry Graichen. Ziel müsse sein, daraus Energie und Innovationskraft für den Landkreis zu gewinnen.
Es ist mein Ziel, aus diesem Strukturwandel Energie und Innovationskraft für unseren Landkreis zu gewinnen.
Nachhaltige Energie auf ehemaliger Tagebaufläche
Zahlreiche Windräder und Flächen für Solaranlagen erzeugen bereits regenerativen Strom. In Witznitz recken sich 1,1 Millionen Solarmodule der Sonne entgegen. Eine moderne Landmarke für den Strukturwandel. Sie steht auf einer ehemaligen Tagebaufläche.
Ein Eingriff in die bestehende Struktur ist es aber, wenn Windkraftanlagen und Solarparks auf Ackerflächen entstehen sollen. Daher müssten der ländliche Raum besser genutzt werden, meint Bernd Laqua. Er ist der Bürgermeister von Bennewitz und sitzt als Abgeordneter für die Linke im Kreistag. Es gehe ihm darum, nicht nur Photovoltaik und Wind einzupflanzen, sondern auch die pflanzlichen und holzattraktiven Produkte - sprich Wälder und Felder - zu erhalten. Am Ende müssten Dörfer noch aussehen wie Dörfer.
In zwei Schritten zu grünem Wasserstoff
Grüner Wasserstoff soll in Zukunft die Braunkohle ersetzen. Er gilt als klimafreundliche Alternative, weil der Strom für die Elektrolyse des Wassers aus erneuerbaren Energien stammt. Deshalb will der Landkreis gemeinsam mit Partnern aus der Wissenschaft bis 2027 die wasserstoffbasierte Technologie in der Region entwickeln. Es wären zwei Schritte voran: Erst wissenschaftliche Grundlagen legen, dann Firmen finden, die sich ansiedeln und produzieren.
Die Region verfüge über jahrelange Erfahrung als Energieregion, sagt der Landrat. Vor allem der Chemiestandort Böhlen bringe Erfahrungen bei der Herstellung und Verwendung von Wasserstoff mit.
Wir setzen in der Region bewusst auf die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff, er bildet für die Ansiedlung von Unternehmen, die nachhaltig produzieren, einen wichtigen Standortfaktor.
So soll also Grüner Wasserstoff einen Weg in die Zukunft weisen.
Kommunalpolitik will Grundlagen schaffen
Während die Ingenieure an der Energiequelle der Zukunft forschen, befassen sich die Kommunalpolitiker mit der Gegenwart. Mit ganz irdischen Themen. Ihre Entscheidungen im Kreistag schaffen Grundlagen, damit der Wandel gelingen kann. Der Breitbandausbau für das Internet ist ein Thema. Straßenausbau und ÖPNV sind andere.
Matthias Berger, Oberbürgermeister aus Grimma, sitzt für die Unabhängige Wählervereinigung im Kreistag. Er sieht Erfolge bei kleinen Dingen wie der Gelben Tonne oder dem sogenannten Rufbus.
Es gibt die Stadtbusse, diese A- und B-Linie bei uns in der Region. Das sind jetzt in vielen Orten Rufbusse.
Bessere ÖPNV-Anbindung auf dem Land
Diese Rufbusse verstärken das Angebot im ÖPNV inzwischen an vielen Orten im Landkreis. Sie sorgen für eine bessere Anbindung der ländlichen Gebiete. Der ÖPNV gehört zur Daseinsvorsorge, zu den Dingen, die der Landkreis erfüllen muss. Erfolge auf dem Gebiet schreiben sich natürlich alle Fraktionen gerne auf ihre Fahne.
Gelungen sind mit Sicherheit die Einführung der Jugendbeteiligung, vom Rufbus und vom Klimaschutzmanagement. Wir haben Verbesserungen in der Digitalisierung erreicht, in der Jugendhilfe.
Weniger Erfolg hatten die Parlamentarier bei der Rettung der Muldentalkliniken. Nach monatelangem Tauziehen haben sich die Fraktionen im Kreistag geeinigt, die Krankenhäuser zu privatisieren. Der Kreis kann sich den Betrieb schlicht nicht mehr leisten.
Markkleebergs Oberbürgermeister Karsten Schütze ist seit 30 Jahren in der Kommunalpolitik. Er kennt beide Perspektiven: die als Oberbürgermeister und die als Abgeordneter im Kreistag. Dort ist er der Chef der SPD-Fraktion. Auch er sieht ein Haushaltsdefizit und sorgt sich um die Zukunft des Kreises.
Wir haben ein enormes Haushaltdefizit und da mache ich mir echt Sorgen, wie das die nächsten Jahre weitergehen soll.
Das Defizit lasse den Abgeordneten wenig Möglichkeiten, findet Tommy Penk von den Grünen: "Wir wollen eigentlich gestalten, nicht verwalten. Daher fordert er eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen. Nur das schafft die nötigen Spielräume, um zu gestalten."
Das Bindeglied zwischen Gemeinden und Freistaat ist klamm
Der Landkreis ist eine Zwischeninstitution. Ein Bindeglied zwischen den Gemeinden und der Verwaltung im Freistaat. Ein Prozent seiner Aufgaben sind freiwillig. 99 Prozent sind Erfüllungsaufgaben, meint der Grimmaer Oberbürgermeister Matthias Berger. Er sieht kaum eigenen politischen Spielraum. Und für die Pflichtaufgaben sei kaum mehr Geld in der Kasse.
Der Landkreis ist im Grunde genommen Pleite, das muss man ganz bitter sagen.
Neue Jobs gesucht
Im Zukunftsatlas der Regionen liegt der Landkreis Leipzig im Mittelfeld. Mit ausgeglichenen Chancen und Risiken. Der Strukturwandel bleibt das vorherrschende Thema. Das Ende der Braunkohleverstromung ist beschlossen. Neue Arbeitsplätze müssen gefunden werden. Maik Kunze, der CDU-Fraktionsvorsitzende, sieht kaum Spielraum für Wünsche.
Ich hatte ausgeführt, dass wir ein riesen Defizit haben und das ist erstmal wichtig, das zu schließen und da müssen Wünsche hinten angestellt werden.
Die AfD, so formuliert es der Fraktionsvorsitzende, der Böhlener Ingo Weitzmann, will das Gesundheitswesen auf solide Füße stellen. Der Landkreis brauche mehr Pflegeeinrichtungen und ein gesundes Gesundheitssystem.
Für die Grünen möchte Tommy Penk den Klimaschutz zur Chefsache erheben und die Bürger an Energiewende beteiligen und das nicht nur praktisch und inhaltlich, sondern auch finanziell.
Die Bürger im Blick hat auch die SPD. Karsten Schütze wünscht sich ein effektives Landratsamt, das noch mehr dienstleistungsorientiert auch für die Kreisbürgerinnen und Bürger arbeitet. Ein freundliches und zugewandtes Landratsamt, das koste erstmal wenig, könne aber viel bewegen.
Zahlen, Daten und Fakten zum Landkreis Leipzig
• Sitz des Kreistags: Borna
• Kommunen: 30 (davon 19 Städte und 11 Gemeinden)
• Fläche: 1.651 km²
• Einwohner gesamt: 261.119 (Stand: 30.06.2023)
• Nicht-EU-Ausländer: 8.185 (3,45 Prozent)
• Durchschnittsalter: 48
• Arbeitslosenquote: 5,2
• Pro-Kopf-Einkommen: 23.549 Euro
Quelle: Landkreis Leipzig | Statistisches Landesamt
MDR (cba)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 12. Mai 2024 | 19:00 Uhr