Angst vor Enteignung auf TikTok Friedrich Merz fordert private Investitionen in Infrastruktur und geht viral
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04. November 2024, 11:59 Uhr
Seit seiner Rede auf dem Parteitag der CSU kursieren bei TikTok Behauptungen, CDU-Chef Friedrich Merz "wolle an eure Girokonten". Tatsächlich will Merz mehr private Investitionen in die deutsche Infrastruktur. Wie sinnvoll das für private Anleger ist.
Friedrich Merz ist viral gegangen. Ein Ausschnitt seiner Rede beim CSU-Parteitag am 12. Oktober wurde auf TikTok millionenfach angesehen. Darin sagt er: "Auf den deutschen Konten, Sparkonten und laufenden Girokonten liegen 2,8 Billionen Euro. Stellen Sie sich einen kurzen Augenblick vor, wir wären in der Lage, davon nur 10 Prozent zu mobilisieren – mit einem vernünftigen Zinssatz, für die öffentliche Infrastruktur in Deutschland [...]”
Die Konsequenz: In den Kommentarspalten fürchten die Leute um ihr Geld. Etwa beim TikTok von Creator turbo__tom, der sein Video überschreibt mit "Merz will an eure Girokonten" und in seiner Videobeschreibung das Wort "Enteignung" benutzt.
Entwarnung kommt von Rechtswissenschaftler Stephan Madaus: "Weder Herr Merz noch der Staat kann einfach auf deutsche Privatkonten zugreifen." Das Bankenaufsichts- und Abwicklungsrecht kenne keine derartige Eingriffsbefugnis zum Zwecke der Staatsfinanzierung.
Und auch die CDU hat gleich zwei TikToks veröffentlicht, in denen sie klarstellt: Dass Friedrich Merz an eurer Geld ran möchte, seien "Fake-News". Richtig sei, es gebe viel Geld, das auf Sparkonten liege. Dieses Geld werde nicht investiert und verliere sogar wegen der Inflation immer weiter an Wert. Friedrich Merz appelliere deshalb an euch, euer Geld zu investieren, wenn ihr das könnt.
In den Videos der CDU heißt es auch: "Damit könnt ihr nicht nur mehr aus eurem Geld rausholen, sondern gleichzeitig etwas Gutes tun. Beispielsweise für die Bildung oder Klimaschutzprojekte und auch für die gesamte Infrastruktur unseres Landes."
Studie: Private Investitionen nötig für Erhalt öffentlicher Infrastruktur
Hintergrund ist, dass es im Bereich der Infrastruktur in Deutschland einen riesigen Investitionsbedarf gibt. In den kommenden Jahren sollen allein für Autobahnen, Eisenbahn und Energieinfrastruktur rund 400 Milliarden Euro nötig sein. Das hat der Ökonom Lars P. Feld, der in Freiburg lehrt und unter anderem Bundesfinanzminister Christian Lindner berät, in einer Studie festgestellt, die er im Auftrag der Fondsgesellschaft Union Investment erstellt hat.
Angesichts der aktuellen Haushaltslage ist aber unklar, woher dieses Geld kommen soll. Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist strikt dagegen, weitere Schulden zu machen und lehnt deswegen auch Wirtschaftsminister Robert Habecks Idee eines schuldenfinanzierten staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds ab. Mit dem würde Habeck gern die deutsche Wirtschaft ankurbeln.
Eine Lösung sei, private Investoren einzubinden, meint Feld. In Deutschland gebe es privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaften, an denen der Staat beteiligt ist, etwa die Autobahn GmbH.
"Werden diese Gesellschaften mit bestimmten Kompetenzen wie eigener Einnahme- oder Kreditfähigkeit ausgestattet, könnten attraktive Geschäftsmodelle entstehen, die sich als Anlageobjekte für entsprechende Fonds anböten", sagte Feld. Im Energiebereich schlägt er die Gründung einer Netz-Infrastrukturgesellschaft vor, die die staatlichen Beteiligungen an den Übertragungsnetzbetreibern bündelt und in die Geldgeber dann investieren könnten.
In eine ähnliche Richtung hatte Friedrich Merz wenige Sekunden vor dem viralen Teil seiner Rede, der im Netz als Enteignungsplan interpretiert wurde, argumentiert. Er hatte erklärt, es werde gar nicht anders gehen, dass man für die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur neben öffentlichen Mitteln auch privates Kapital zu Verfügung stelle.
Privat in Infrastrukturfonds investieren – wie sinnvoll ist das?
Also, wie Merz das vorschlägt, das Geld vom Girokonto nehmen und in einen Infrastrukturfonds stecken? Wie finanziell sinnvoll das für private Verbraucher ist, hängt Hermann-Josef Tenhagen, dem Chefredakteur von "Finanztip", zufolge letztlich immer von der Sicherheit der Anlage ab. "Staatliche Stellen sind ziemlich sicher, weil die für gewöhnlich nicht pleitegehen". Wenn man dann noch mit zwei bis drei Prozent Rendite rechnen könne, sei das mindestens eine sichere Geldanlage.
Bei der Frage der Sicherheit sei aber zu beachten, über wen die Anlage laufe, sagt Tenhagen. "Wenn die Sparkassen oder Volksbanken selbst das Projekt stemmen, würde ich die Anlage als recht sicher einschätzen, weil die bis jetzt immer Pleiten vermieden haben." Bei privaten Projektgesellschaften sei das Risiko dagegen größer.
Public Private Partnership
Es geht bei diesem Investitionsmodell um sogenannte "Public Private Partnerships (PPPs)". Das sind laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Kooperationen von öffentlicher Hand und privater Wirtschaft beim Entwerfen, bei der Planung, Erstellung, Finanzierung, dem Management, dem Betreiben und dem Verwerten von zuvor allein in staatlicher Verantwortung erbrachten öffentlichen Leistungen.
Hermann-Josef Tenhagen nennt als Beispiel eine private Firma, die eine Autobahn baut und dort Maut einnimmt. Private Anleger können in das Projekt investieren und bekommen etwa über die Maut Rendite.
Der Finanzexperte stellt dennoch die makroökonomische Sinnhaftigkeit eines über private Anleger finanzierten Infrastrukturfonds in Frage. Es sei zu überlegen, ob es nicht für alle günstiger sei, wenn der Staat den Kredit aufnehme. "Einfach weil der Staat am Kapitalmarkt zu sehr viel günstigeren Konditionen Kredite aufnehmen kann als der durchschnittliche Bürger" – der ja auf seine Renditen auch noch Steuern zahlen müsse.
Das Modell der über Privat-Investitionen finanzierten Infrastrukturfonds ist Volkswirtschaftler Lars Feld zufolge nichts neues. Deutschland hinke nur im Vergleich zu anderen Ländern bei deren Einsatz hinterher. Tenhagen sagt, das liege einerseits an einer gewissen Skepsis gegenüber Public Private Partnerships, weil diese in der Vergangenheit nicht immer gut funktioniert hätten.
Der zweite Grund sei eben, dass sich die Bundesrepublik Deutschland immer besonders preiswert Geld leihen könne, so Tenhagen. "Weil wir diese niedrigen Schulden haben und deswegen niedrige Zinsen zahlen müssen." Andere Länder dagegen müssten recht hohe Zinsen zahlen.
MDR,dpa(ewi)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 29. Oktober 2024 | 12:08 Uhr