Das Logo der Wohnungsgenossenschaft Dippoldiswalde an der Fassade eines Wohnblocks
Die Miete in Genossenschaftswohnungen kostet in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Schnitt etwa 5,30 Euro pro Quadratmeter. Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael

Klimaneutralität Höhere Klimakomponente bei Wohngeld gefordert

16. Juli 2023, 05:00 Uhr

Die soziale Verträglichkeit gehört zum zentralen Streitpunkt beim Heizungsgesetz. Das sieht zwar jetzt nach einem Heizungstausch eine Deckelung der Mieterhöhung auf 50 Cent pro Quadratmeter vor. Die Immobilienbranche sieht dennoch gerade sozial orientierte Vermieterinnen und Vermieter bestraft. Soziale Sicherungssysteme wie das Wohngeld sollten nach Klimaaspekten ausgeweitet werden, fordern Verbände.

MDR AKTUELL Mitarbeiterin Rebecca Nordin Mencke
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Auf den ersten Blick scheinen Wohnungsgenossenschaften gerade im Osten vergleichsweise gut auf die Wärmewende vorbereitet: Ihre Gebäude stehen bei der Energieeffizienzklasse deutlich besser da als der bundesweite Schnitt und sind überdurchschnittlich häufig ans Fernwärmenetz angeschlossen. Die Fernwärme kann aktuell zwar immer noch aus klimaschädlicher Kohle oder Gas stammen – hier sind allerdings die Versorger in der Pflicht, die Wärme künftig aus mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien zu liefern.

Viel Fernwärme, hohe Energieeffizienz

Der Verband sächsischer Wohnungsgenossenschaften (vswg) beziffert den Fernwärme-Anteil seiner Bestände auf 75 Prozent. Lediglich rund 20 Prozent der Gebäude würden mit Gas versorgt, etwa drei Prozent mit Öl. Die von der EU bis zum Jahr 2033 vorgeschriebene Energieeffizienzklasse D wird dem Verband zufolge sogar in rund 90 Prozent seiner Bestände erfüllt oder sogar übertroffen. Insgesamt bündelt der vswg Genossenschaften mit rund 300.000 Wohnungen in Sachsen. Rund eine halbe Million Menschen wohnen darin.

Ähnlich sieht es beim Verband der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt aus, der etwa 150.000 Wohnungen für ungefähr 300.000 Mieterinnen und Mieter verwaltet. 80 Prozent oder mehr im Gebäudebestand der einzelnen Genossenschaften erfüllten mindestens Energieeffizienzklasse D, erklärt ein Sprecher. Im bundesweiten Schnitt verfehlten dagegen bis zu 45 Prozent der Gebäude den künftigen EU-Mindeststandard.

Dabei handelt es sich jedoch noch weitgehend um Schätzungen. Die Verbände fangen gerade erst an, sich genauere statistische Daten zu erstellen.

Wichtiger Beitrag im Gebäudesektor

Geht es um Nachhaltigkeit, sieht Wirtschaftswissenschaftlerin Theresia Theurl Wohnungsgenossenschaften grundsätzlich im Vorteil. In einem Papier für die Zeitschrift "Wirtschaftsdienst" schreibt die Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Wohnungsgenossenschaften hätten bereits "erheblich zu CO2- und Treibhausgasreduktionen im Gebäudesektor beigetragen". So seien Anreize zu nachhaltigem Wirtschaften ein "prägendes Wesensmerkmal" von Wohnungsgenossenschaften.

Vorlauftemperatur als Knackpunkt bei Fernwärme

Doch mit Blick auf die Fernwärme können sich auch die Genossenschaften nicht zurücklehnen. Als Hauptproblem bei den fernwärmeversorgten Beständen nennt der vswg die Vorlauftemperaturen: Sind bisher rund 100 Grad Standard, fürchtet der Verband, dass die Versorger mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien künftig weniger als 50 Grad liefern. Um die Wohnungen dennoch warm zu bekommen, müssten daher die Heizungsflächen deutlich vergrößert werden oder die bereits gedämmte Außenhülle weiter verstärkt werden. Die dafür notwendigen Baumaßnahmen könnten teils nur an unbewohnten Gebäuden vorgenommen werden.

Insgesamt rechnet der vswg damit, in 75 Prozent seiner Bestände 1.500 Euro pro Quadratmeter investieren zu müssen, um bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden. Statt jährliche Investitionen von derzeit 500 bis 600 Millionen Euro wären dazu 800 Millionen Euro pro Jahr nötig.

Nachteile für sozial orientierte Wohnungswirtschaft befürchtet

Mit Mieten von durchschnittlich etwa 5,30 Euro pro Quadratmeter sind Genossenschaftswohnungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen noch vergleichsweise günstig. Zwischen elf und fast 14 Prozent der Wohnungen pro Bundesland sind genossenschaftlich organisiert – in den Städten deutlich mehr als auf dem Land.

  Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen
Anteil von Genossenschafts-Wohnungen (insgesamt) 13,8 % 13,3 % 11,4 %
Anteil von Genossenschafts-Wohnungen (in Städten) 19,2 % 24,1 % 19,2 %
Anteil von Genossenschafts-Wohnungen (in Landkreisen 11,1 % 9,1 % 8,5 %

Quelle: Destatis (Zensus 2011)

Nach dem derzeitigen Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes dürfen Mieten künftig nach einem Heizungstausch um höchstens 50 Cent pro Quadratmeter erhöht werden. Für andere energetische Modernisierungsmaßnahmen bleiben dann noch 1,50 Euro zulässige Mietsteigerung pro Quadratmeter. In Härtefällen sollen Mieter nach dem Gesetzentwurf Einspruch dagegen erheben können.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) kritisierte in einer Stellungnahme Anfang Juli, dass damit "gerade die sozial orientierte Wohnungswirtschaft und diejenigen Vermieterinnen und Vermieter bestraft werden, die einkommensschwachen Haushalten ein Zuhause bieten". Nicht die Vermietenden sollten auf den Kosten sitzen bleiben, wenn für Mietende die Belastungsgrenze erreicht werde – vielmehr müssten die sozialen Sicherungssysteme wie Wohngeld greifen, fordert der Verband.

BID: Mindestens 50 Prozent Zuschuss bei Einbau von Wärmepumpe

Wie sich die Investition in einen Heizungswechsel umgekehrt auch für Immobilienunternehmen ohne Minus gestalten lässt, hat der BID anhand von drei Modellen errechnet: So koste der Einbau einer Wärmepumpenheizungsanlage in einfachen Fällen 140 Euro pro Quadratmeter, in durchschnittlichen Fällen 250 Euro und in schwierigen Fällen 400 Euro pro Quadratmeter. Um gleichzeitig die Miete nicht mehr als 50 Cent pro Quadratmeter erhöhen zu müssen, braucht es demnach 70 Prozent Zuschuss, nur in einfacheren Fällen reichen 50 Prozent.

Wenn ein Immobilienunternehmen also für den Einbau einer Wärmepumpe 250 Euro pro Quadratmeter investiert und dafür 70 Prozent Zuschuss erhält, müsste die Miete um 31 Cent pro Quadratmeter steigen - damit das Immobilienunternehmen kein Minusgeschäft macht. Bei 50 Prozent Zuschuss müsste die Miete bereits um 68 Cent pro Quadratmeter steigen, bei 30 Prozent Zuschuss sogar um 1,02 Euro pro Quadratmeter.

Das Heizungsgesetz sieht zwar grundsätzlich auch eine mögliche Förderung von bis zu 70 Prozent für einen Heizungstausch vor. Vswg-Vorstand Mirjam Philipp beklagt dennoch: "Die Förderkulisse ist noch relativ unklar". Der Bund habe zwar erkannt, dass Bedarfe von mindestens 50 Prozent bestehen. Die Frage sei aber, wie lange der Bund diese Summen bereitstellen könne und ob die Förderbedingungen alle erforderlichen Investitionen abdeckten. Der BID drängt darauf, eine ausreichende Förderung für mindestens zehn Jahre gesetzlich zu garantieren.

Gebäude als Sorgenkind beim Klimaschutz

Ein klimaneutraler Gebäudesektor ist das erklärte Ziel der Bundesregierung. Neben dem Bereich Verkehr gehören Gebäude in Deutschland zu den großen Sorgenkindern beim Klimaschutz. Zwar hat die Bundesregierung zuletzt die Sektorenziele gekippt – theoretisch können damit Fortschritte in einem Bereich Defizite in einem anderen ausgleichen. Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigen aber Zahlen der vergangenen Jahre: 2022 stieß der Gebäudesektor in Deutschland nach Daten des Umweltbundesamtes rund 112 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus. Damit überschritt der Gebäudesektor die erlaubte Jahresemissionsmenge nach dem Klimaschutzgesetz um 4,6 Millionen Tonnen.

Bereits 2021 hatte der Bereich das Jahresziel um zwei Millionen Tonnen überschritten. Bis zum Jahr 2030 sollen die jährlichen Emissionen von Gebäuden auf 66 Millionen Tonnen sinken.

Status Quo auch für Immobilienbranche keine Option

Doch so teuer Sanierungsmaßnahmen für den Klimaschutz die Immobilienbranche insgesamt zu stehen kommt – einfach Abwarten ist keine Option. "Die CO2-Umlage ist ebenfalls ein Thema, das uns massiv bewegt", erklärt vswg-Vorstand Mirjam Philipp. Denn nicht nur die Kosten für fossile Brennstoffe wie Gas dürften weiter steigen und damit vor allem Mieterinnen und Mieter belasten. Philipp verweist auf Berechnungen, wie sich die CO2-Umlage weiter entwickeln könnte: Von aktuell 30 Euro pro Tonne könnte die Umlage bis zum Jahr 2027 auf 150 bis 200 Euro steigen. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von zwei Tonnen CO2 pro Wohnung und Jahr wären das also in wenigen Jahren schon 300 bis 400 Euro, die sich Mieter und Vermieter aufteilen müssen – je besser der energetische Zustand, desto höher ist der Anteil für Mieter. Beim vswg sind es 70 bis 80 Prozent.

Hinzu komme, dass fernwärmeversorgte Gebäude schon heute drei Mal so hohe CO2-Kosten zu tragen hätten wie gasversorgte Gebäude, kritisiert Philipp. "Das ist derzeit kaum vermittelbar." Sie spricht von einer Zwickmühle zwischen steigenden CO2-Kosten und Preisrisiken bei einem Heizungstausch – etwa dem Strompreis bei Wärmepumpen.

MDR (rnm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. Juli 2023 | 18:00 Uhr

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