Heizungsstreit Welche Rolle Fernwärme für die Energiewende spielt
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19. Juni 2023, 20:53 Uhr
Beim Heizungsstreit ging es lange nur um Wärmepumpen. Doch ein Großteil der Menschen in Deutschland bezieht Wärme aus Fernleitungen – vor allem in den Städten und im Osten Deutschlands. Die Bundesregierung sieht den Netzausbau als wichtigen Baustein der Energiewende. Was sind Vor- und Nachteile, was kostet Fernwärme und wie ökologisch ist sie?
- Ballungsräume und Ostdeutschland sind Fernwärme-Hochburgen.
- In Mitteldeutschland werden gut 1,2 Millionen Haushalte mit Fernwärme beheizt.
- Es gibt bundesweit Hunderte Fernwärmeanbieter und Netze - und alle sind lokale Monopolisten.
- Chemnitzer Versorger "Eins" ist in ganz Südsachsen aktiv.
- Preise für Fernwärme im Vergleich zu anderen Heizungsarten.
- Was kosten Fernwärmeleitungen und wie hoch sind die Leitungsverluste?
- Fernwärme ist wichtiger Baustein der Energiewende.
Nach Daten des Energiewirtschaftsverbands BDEW wurden im vergangenen Jahr 14,2 Prozent der 43,1 Millionen Wohnungen in Deutschland mit Fernwärme beheizt und oft zugleich mit Warmwasser versorgt. Das ist etwa jede siebte Wohnung. Der Anteil hat sich in den vergangenen 20 Jahren nur wenig erhöht, 2003 lag er bei 12,4 Prozent.
Städte und der Osten sind Fernwärme-Hochburgen
In Kraftwerken erzeugte Wärme, die durch isolierte Pipelines zu den Verbrauchern geleitet wird, ist überdurchschnittlich stark in Städten und Regionen mit hoher Wohndichte sowie im Osten Deutschlands verbreitet. Der Fernwärmeanteil beim Heizen liegt in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin bei 40 Prozent sowie in Mecklenburg-Vorpommern und Teilen Mitteldeutschlands bei etwa einem Drittel. Das dichtere Netz im Osten liegt vor allem an der DDR-Vergangenheit, als viele Neubaugebiete von großen Kohlekraftwerken aus mit Wärme versorgt wurden.
In weiten Teilen Süd- und Westdeutschlands dagegen liegt die Fernwärmequote oft unter einem Zehntel. Das geht aus einer Studie des Verbands BDEW für Erdgas, Strom, Heizwärme, Wasser und Abwasser von 2019 hervor.
Mitteldeutschland: 1,2 Millionen Wohnungen mit Fernwärme
Laut der BDEW-Studie wurden 2019 in den drei mitteldeutschen Bundesländern 23 bis 28 Prozent aller Haushalte mit Fernwärme versorgt, gut doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt. Da es sich im Osten oft um größere Wohnblocks mit vielen Wohnungen handelt, fällt der Anteil fernbeheizter Gebäude mit vier bis sechs Prozent hingegen vergleichsweise gering aus.
Demnach beliefern Kraftwerke in Sachsen 28,4 Prozent der Wohnungen/Haushalte mit Wärme, mit 600.000 der insgesamt 2,3 Millionen Wohnungen. In Sachsen-Anhalt sind es 27,1 Prozent oder gut 300.000 von 1,3 Millionen Wohnungen. In Thüringen waren es 23,8 Prozent der etwa 1,1 Millionen Wohnungen.
Hunderte Fernwärmeanbieter und noch mehr Netze
Dem Fernwärmeverband AGFW zufolge bieten bundesweit rund 500 Unternehmen Fernwärme an, zumeist handelt es sich um kommunale Versorger. Sie liefern nicht nur Energie, sondern betreiben auch die Kraftwerke und teils mehrere Fernwärmenetze mit einer Trassenlänge von über 31.000 Kilometern.
Der Fernwärmemarkt ist im Gegensatz zum Strom- und Gasmarkt nicht reguliert. Es gibt keine Entflechtungsregeln im Energiewirtschaftsrecht. Das bedeutet auch, dass jeder Fernwärmeversorger ein Monopol auf sein Wärmenetz besitzt und es Mitbewerbern nicht zugänglich machen muss, wie es am Strom- und Gasmarkt vorgeschrieben ist. Der Netzausbau lohnt sich jedoch erst ab einer bestimmten Anzahl an Abnehmern je Leitung.
Damit ist zumeist kein Wechsel des Wärmelieferanten möglich. Planung und Betrieb von Kraftwerk und Netz liegen in der Hand eines Unternehmens. Verträge dürfen laut Verbraucherzentrale für die Dauer von bis zu zehn Jahren abgeschlossen werden. Zudem gibt es in einigen Kommunen für Wohnneubauten einen Anschluss- und Benutzungszwang mit kommunaler Fernwärme – in der Regel jedoch mit der Option alternativer erneuerbarer Energien.
Andererseits ist Fernwärme sehr bequem: Der Kunde muss sich nicht um Brennstoffe, Heiztechnik oder Schornsteinfeger kümmern und Hausbesitzer sparen Platz.
Chemnitzer Anbieter "Eins" sachsenweit aktiv
Das Chemnitzer Versorgungsunternehmen "Eins" gehört nach eigenen Angaben zu den 20 größten Fernwärmeanbietern in Deutschland. Es versorgt etwa 400.000 Haushalte in Chemnitz und mehreren südsächsischen Kommunen mit Fernwärme, Energie, Wasser oder auch Internetanschlüssen. Dazu betreibt "Eins" in Chemnitz zwei Kraftwerksblöcke mit Braunkohle mit modernen Emissionsfiltern. Schrittweise soll die Kohle durch gasbetriebene Motorenkraftwerke ersetzt werden, die 60 Prozent weniger CO2 produzieren.
Nach Unternehmensangaben wird Chemnitz aktuell zu knapp 40 Prozent mit Fernwärme versorgt. Perspektivisch seien mehr als 60 Prozent möglich. Wie "Eins" MDR AKTUELL mitteilte, braucht das aber "Zeit und politische Flankierung". Das geplante Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung sei ein richtiger Schritt. Auch "Eins" setzt künftig auf die Wärmepumpentechnik. Sprecherin Cindy Haase zufolge sind für die Zukunft Großwärmepumpen als klimaneutrale Wärmeeinspeiser geplant.
Preise für Fernwärme im Vergleich zu anderen Heizungsarten
Die Fernwärmekosten fallen je nach Anbieter unterschiedlich aus. Anschluss und Technik kosten rund 5.000 bis 15.000 Euro plus Montage, dabei gibt es staatliche Förderung. Betreibt ein Anbieter mehrere Fernwärmenetze, so hat häufig jedes Netzgebiet seinen eigenen Preis – teils sogar innerhalb derselben Stadt. Die Fernwärmepreise setzen sich in der Regel zu etwa 25 Prozent aus dem Grundpreis und zu 75 Prozent aus dem Arbeitspreis je nach Verbrauch zusammen. Dabei kann laut Verbraucherzentrale während der Vertragslaufzeit einmal im Jahr die maximal bereitgestellte Wärmemenge gesenkt oder erhöht werden, um Kosten anzupassen.
Die reinen Heizkosten mit Fernwärme für eine 70-Quadratmeter-Wohnung lagen im Abrechnungsjahr 2022 laut Heizspiegel bei im Schnitt gut 1.000 Euro. Ein Faktor war dabei damals günstiges Gas als Brennstoff in vielen Kraftwerken zur Strom- und Wärmeproduktion. Fernwärme war teurer als eine Pelletheizung, aber günstiger als die Wärmepumpe oder Heizen mit Erdgas oder Heizöl. Doch mit dem seit 2021 stark gestiegenen Gaspreis sind haben auch die Fernwärmepreise kräftig angezogen und ein Ende des Trends ist nicht in Sicht.
Was kosten Fernwärmeleitungen und wie hoch sind die Leitungsverluste?
Die Kosten für Fernwärmeleitungen hängen von Rohrdurchmessern und Bodenbeschaffenheiten beim Bau ab. Große Fernleitungen mit 40 Zentimetern Innendurchmesser in Innenstädten sind deutlich teurer als die Hausanschlussleitung für ein Mehrfamilienhaus mit vier Zentimeter Durchmesser in einer Wohnstraße. Der Anschluss im städtischen Bereich kostet nach Angaben von "Eins" ab etwa 500 Euro pro Meter – abzüglich staatlicher Förderung für den Kunden. Viele Abnehmer auf kurzer Strecke machen Leitungen günstiger.
Bei Fernwärme gibt es nach Auskunft von Cindy Haase von "Eins" durchschnittlich 10 bis 15 Prozent Verlust beim Wärmetransport, besonders viel im Winter. Das liege vor allem an teils jahrzentealter Leitungstechnik mit schlechter Dämmung und daran, dass noch überwiegend sehr heißer Wasserdampf mit mehr als 110 Grad Celsius übertragen werde. Mit der derzeit überall stattfindenden Absenkung der Netztemperaturen sinken demnach die Verluste deutlich. Neue Leitungen seien auch deutlich besser wärmegedämmt.
Fernwärme als Faktor der Energiewende
Wie umweltfreundlich Fernwärme ist, hängt vom Energieträger, der Effizienz im Kraftwerk und Leitungsverlusten ab. Viele Anbieter haben Gaskraftwerke, die umweltfreundlicher sind als Kohle oder Öl - und perspektivisch auf Wasserstoff als emissionsfreien Brennstoff umgestellt werden sollen. Weitere Brennstoffe sind aktuell Müll oder Pellets. Auch die Abwärme industrieller Prozesse wird genutzt, es gibt Geothermiekraftwerke oder Großwärmepumpen. Dabei ist Kraft-Wärme-Kopplung zur parallelen Strom- und Wärmeerzeugung meist Standard.
Für die Bundesregierung spielt bei der Energiewende Fernwärme eine große Rolle. Cindy Haase vom Chemnitzer Versorger "Eins" erklärte, Fernwärmenetze bieten die Option, mit umweltfreundlichen Kraftwerken den Anteil erneuerbarer Wärme für alle stetig zu verbessern. Deshalb wird der Neubau und Ausbau von Netzen sowie der Anschluss neuer Kunden vom Bund gefördert. Zudem wird angestrebt, dass die Kommunen Fernwärme flächendeckend anbieten. Ziel ist, die Fernwärme bis 2045 komplett zu "dekarbonisieren" - also auf fossile Brennstoffe weitgehend zu verzichten und CO2-Emissionen zu minimieren.
Die Fernwärmebranche hält bis 2050 unter bestimmten Bedingungen eine Verdreifachung der Wärmenetzanschlüsse für möglich – auf bis zu 20 Millionen Haushalte. Reserven sieht sie vor allem in Mehrfamilienhäusern in Ballungszentren. Kritik übt der Verband an dem im Gebäudeenergiegesetz vorgesehenen Zeitplan, bestehende Wärmenetze bis 2030 auf mindestens 50 Prozent erneuerbare Wärme oder Abwärme umzustellen. Der BDEW fordert längere Übergangsfristen und deutlich mehr Fördermittel vom Bund.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 12. Juni 2023 | 19:30 Uhr