Ran an den Wähler Grüner Realitätscheck im Osten

14. Juli 2023, 11:01 Uhr

Der erste Lack ist ab: Der grüne Glanz der Ampelkoalition hat Kratzer bekommen, der Streit um das Heizungsgesetz hallt nach, die Umfragewerte gehen zurück. Darunter offenbaren sich für die Grünen auch strukturelle Probleme, vor allem im Osten. Ein Stimmungsbild von MDR-Hauptstadtkorrespondentin Kristin Schwietzer.

Der Weg zum Wähler ist steil. Er führt Kathrin Göring-Eckardt nach Sachsen, Chemnitz und später hinauf ins Erzgebirge, nach Stollberg. Die Bundestagsvizepräsidentin tritt in die Pedale, eine Fahrradtour für die Demokratie nennt sie das. In Chemnitz trifft sie junge Filmemacherinnen, die ihr Projekt für Chemnitz als Kulturhauptstadt 2025 vorstellen. (K) Einheit heißt der Dokumentarfilm, den Vanessa Beyer und Elizabeth Steglich hier vorstellen. Sie lassen die Generation Z zu Wort kommen. Die Anfang 20-Jährigen, für die die Deutsche Einheit einfach nur ein Kapitel im Geschichtsbuch sein könnte, aber eben das gerade nicht ist. Vielmehr sollen die dokumentarischen Interviews zeigen, welche Spuren dieser enorme Umbruch hinterlassen hat, oftmals schön, aber manchmal auch schmerzhaft. Und es offenbart, dass es eben längst noch nicht Geschichte ist.

Unterschiede zwischen Ost und West wirken weiter nach

Die alten Probleme wirken nach. Auch die Generation Z fragt sich, wann es den ersten DAX-Konzern in Ostdeutschland geben wird. Auch sie sehen sich zum Teil immer noch mit den Problemen der Elterngeneration konfrontiert, wie etwa schlechteren Löhne im Osten und ofmals auch immer noch schlechteren beruflichen und persönlichen Perspektiven. Macht es einen Unterschied, ob die Eltern in der DDR geboren wurden? Auch das spiele eine Rolle, sagen die beiden Frauen über ihr Projekt. Es geht um Rechtsextremismus, aber auch um die Sorgen der einseitigen Stigmatisierung ihrer ostdeutschen Heimat.

Göring-Eckardt sucht den Bürgerdialog

Für Göring-Eckardt ein Wohlfühltermin ohne Konfrontation. Das Gespräch mit den Wählern wird die grüne Spitzenpolitiker hier im Erzgebirge eher selten suchen. Sachsen, das Erzgebirge, ist ein schwieriges Terrain für grüne Politik, vor allem für grüne Bundespolitik. Doch der Streit um das umstrittene Heizungsgesetz etwa holt Göring-Eckardt auch auf ihrer Reise durch Ostdeutschland ein. Wegwischen kann und will sie das nicht, nur nachholen, was die Grünen im Bund verpasst haben: ihre Politik zu erklären. In Stollberg erwartet sie eine Diskussionsrunde mit Bürgermeistern, Gewerkschaftern und Kommunalpolitikern.

Wo sie die eigenen politischen Versäumnisse sieht, will einer wissen. Göring-Eckardt geht in die Offensive, räumt Fehler der Ampel-Koalition ein: "Das eine ist natürlich die Frage, warum habt ihr das nicht von Anfang an besser gemacht. Und die Frage kann man zurecht stellen. Auf der anderen Seite geht es jetzt häufig um das Wie. Wieviel Förderung kriege ich, funktioniert das eigentlich bei mir. Und die Handwerker machen sich jetzt auf den Weg und überlegen, wie das jetzt gehen kann."

Grüne kämpfen mit schlechten Umfragewerten

Zuversicht vermitteln, gerade rücken, was beim Wähler als Verunsicherung angekommen ist. Gerade in Ostdeutschland schlägt das ins Kontor. Der letzte Thüringen-Monitor des MDR sieht die Grünen gerade mal bei 5 Prozent. Im nächsten Jahr soll hier ein neues Landesparlament gewählt werden. Ausgang ungewiss. Die AfD hat auf dem Papier auch hier alle anderen Parteien hinter sich gelassen. Noch sind das Umfragen.

Im Osten fehlt den Grünen die Basis

Doch die demokratische Mitte ist alarmiert. Da wird jetzt viel organisiert, Podiumsdiskussionen, bürgernahe Veranstaltungen. Seit Sonneberg ist klar: Die AfD hat die etablierten Parteien an einer empfindlichen Stelle getroffen, an der Basis, ihrer kommunalen Verankerung. Das ist vornehmlich ein Problem der sogenannten Volksparteien, CDU und SPD. Sie sind es gewohnt, die Bürgermeister und Landräte in dieser Republik zu stellen.

Doch es trifft auch die kleinen Parteien. Auch den Grünen fehle die kommunale Verankerung, sagt die Politikwissenschaftlerin, Sabine Kropp: "Die Hochburgen der Grünen befinden sich nach wie vor vor allem in den Großstädten oder Universitätsstädten mit einem ausgeprägten akademischen Milieu. Ihre Wählerklientel umfasst überdurchschnittlich gut gebildete und gut verdienende Bevölkerungsschichten."

Der Osten aber sei nach wie vor anders geprägt und strukturiert, sagt Kropp. Das durchschnittliche Einkommen sei in Teilen Ostdeutschlands immer noch geringer als im Westen: "Die Grünen leiden zudem unter einer schwachen kommunalen Repräsentanz in weiten Teilen Ostdeutschlands. Ihnen fehlt damit die lebensweltliche Verankerung im Alltag."

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Unterschiede werden im Westen oft nicht gesehen

Dabei kann das Gespräch am Gartenzaun manchmal Wunder wirken. In Stollberg passiert das eher beiläufig. Bei einem älteren Paar kommt die grüne Spitzenpolitikerin Kathrin Göring-Eckardt ins Gespräch über Bio-Kartoffeln, Stollberg, Land und Leute. Es gebe da Unterschiede, die ihre Kollegen aus dem Westen nicht sehen. "Und deshalb sehe ich das auch ein bisschen als meinen Job an, bei uns in der Fraktion aber auch im Deutschen Bundestag, insgesamt darauf aufmerksam zu machen, dass die Lage hier eine andere ist." Mit dem Bus kommt man hier nicht weit und mit der Bahn nur auf vielen Umwegen. Viele hier sind aufs Auto angewiesen.

Grüne Wünsche hin oder her. Am Gartenzaun in Stollberg erhofft man sich da, von der Bundespolitik, auch von den Grünen, dass sie künftig einmal öfter den Realitätscheck an der Basis machen.

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