Eine Frau in Schutzkleidung hält in einem Automatisierungslabor einen Test-Wafer
Mit der Verstärkung der Halbleiterproduktion könnte sich Mitteldeutschland unabhängiger machen. Dafür bedarf es aber auch an Fachkräften aus dem Ausland. Bildrechte: picture alliance/dpa/Sebastian Kahnert

Fachkräftesicherung durch Zuwanderung AfD als Risiko für mitteldeutsche Halbleiter-Industrie?

20. September 2023, 05:00 Uhr

Intel in Magdeburg und TSMC in Dresden sind die prominentesten Beispiele: Mitteldeutschland hat nach den angekündigten Großinvestitionen verschiedener Halbleiterhersteller einen stark wachsenden Bedarf an Fachkräften. Ohne Zuwanderung wird sich dieser nicht decken lassen. Dabei sehen Wirtschaftsverbände eine starke AfD als Standortrisiko.

Neuansiedlungen in der Halbleiterindustrie erhöhen Personalbedarf

Mit ihren angekündigten Neuansiedlungen gehören die Chip-Produzenten Intel in Magdeburg oder TSMC in Dresden zu den derzeit größten Hoffnungsträgern der mitteldeutschen Wirtschaft. Aber auch Infineon, Bosch und Globalfoundries wollen ihre Kapazitäten im "Silicon Saxony" ausbauen. An beiden mitteldeutschen Standorten hofft man zudem auf weitere Arbeitsplätze durch Ansiedlungen der Zulieferindustrie. Ohne ausländische Fachkräfte werden die Stellen nicht zu besetzen sein.

Doch die zuletzt stark gestiegenen Umfragewerte der AfD könnten auf ausländische Fachkräfte abschreckend wirken. In den mitteldeutschen Ländern erreichte die Alternative für Deutschland zuletzt mit teilweise deutlich über 30 Prozent ihre höchsten Umfragewerte im deutschlandweiten Vergleich. Wie sehr bedroht eine zuwanderungskritische Partei wie die AfD die Zukunft der Halbleiter-Standorte in Mitteldeutschland?

IW-Studie: AfD-Aufschwung als Risiko für Fachkräftegewinnung

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat aktuell Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände zu von der AfD ausgehenden Risiken für die Wirtschaft befragt. Dabei sieht eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Verbandschefs durch das Erstarken der Partei eine Gefahr für die Fachkräftegewinnung. "Unsere Befragung zeigt, dass von den Hauptgeschäftsführern der deutschen Verbände in West- und Ostdeutschland 68 Prozent mit großen und weitere 26 Prozent mit geringen Risiken für die Fachkräftesicherung rechnen", berichtet Knut Bergmann vom IW. Mit Blick auf die akuten wirtschaftlichen Auswirkungen verweist zudem fast die Hälfte aller Befragten darauf, dass eine stärker werdende AfD es schwerer macht, in AfD-Hochburgen ausländische Fachkräfte zu gewinnen.

Sächsische Verbandschefs mit Sorge um Halbleiter-Standorte

Repräsentanten der mitteldeutschen Wirtschaft sind angesichts der hohen AfD-Umfrageergebnisse beunruhigt. Das zeigt eine Auswertung der Antworten auf Anfragen der MDR Wirtschaftsredaktion. "Besonders die bereits heute international tätigen Unternehmen aus der Halbleiter-Branche sorgen sich zunehmend um das Image ihrer sächsischen Standorte. Die Rekrutierung wichtiger Spezialisten aus dem Ausland könnte weiter erschwert werden", sagt Frank Bösenberg, Geschäftsführer des Branchenverbands "Silicon Saxony". Zudem bestehe die Sorge, dass ein immer schlechteres Image und eine Häufung diskriminierender Erlebnisse von Mitarbeitenden und deren Familien dazu führen könnten, dass bereits gewonnene Fachkräfte wieder abwandern.

Auch Christian Haase, Landesvorsitzender des Verbands der Familienunternehmer Sachsen, sieht in Forderungen der AfD wie etwa nach dem Austritt aus der EU oder einer strikten Unterbindung von Zuwanderung eine Sackgasse für die einheimische Wirtschaft. "Wir suchen händeringend Fach- und Arbeitskräfte für nahezu alle Tätigkeiten und ein Abkoppeln vom Ausland wäre das Aus für die deutsche Wirtschaft. Das gilt auch für die dringend benötigten Fachkräfte für die sächsische Halbleiterindustrie."

"Silicon Saxony"-Chef Bösenberg verweist darauf, dass sich die Positionen der AfD ausschließlich gegen asylbegründete Zuwanderung richten. Er gibt aber zu bedenken, dass der grundsätzlich negative Tenor beim Thema Einwanderung den Ruf Sachsens beeinträchtigt. Ein negatives Standort-Image ist Bösenberg zufolge einer Zuwanderung von internationalen Fachkräften nicht zuträglich. "Das heißt zwar nicht, dass niemand mehr kommt, aber das volle Potenzial wird nicht genutzt", erklärt Bösenberg. Entscheidend sei aber das Image – ob man dieses zu Recht oder Unrecht hat, sei dabei unerheblich.

Auf Anfragen beim Verband der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt, beim Magdeburger Kreisverband des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) und beim Familienunternehmer-Verband Sachsen-Anhalt liegen der MDR-Wirtschaftsredaktion bisher keine Antworten vor. Der Allgemeine Arbeitgeberverband der Wirtschaft für Sachsen-Anhalt lehnt eine Stellungnahme ab mit der Begründung, sich nicht zu rein politischen Themen äußern zu können.

Wirtschaftsverbände wollen sich nicht von AfD vereinnahmen lassen

Aus der aktuellen Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft wird deutlich, dass neben dem Risiko einer steigenden Akzeptanz der in Teilen rechtsextremen Partei weitere Standortrisiken eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehörten etwa der niedrige Digitalisierungsgrad, der allgemeine Fachkräftemangel, hohe Belastung durch Abgaben und exzessive Bürokratie. Zudem schätzten die Befragten die EU und ihre Einrichtungen als reformbedürftig ein. Allerdings sind dem IW-Bericht zufolge die Verbandsvertreter besorgt, mit derlei Äußerungen zur EU-Skepsis in der Bevölkerung beizutragen und so die AfD zu unterstützen.

Ein ähnliches Bild zeichnet Christian Haase vom Verband der sächsischen Familienunternehmer. "Aktuell sind nicht wenige Bürger von der Politik enttäuscht und das ist mitunter auch verständlich", sagt er. "Gleichzeitig", so Haase weiter, "macht es uns aber große Sorgen, wenn der Unmut darüber von Parteien aufgegriffen wird, die die Gesellschaft spalten oder sich auf Kosten eines Standortes gegen die Einwanderung von Fachkräften verschließen".

So viel zusätzliche Arbeitskräfte braucht die mitteldeutsche Chip-Industrie

Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft konnten zwischen Juli 2022 bis Juni 2023 über 82.000 offene Stellen nicht besetzt werden. "Im Großraum Dresden waren es im Jahresdurchschnitt 2022/23 allein knapp 2.200 Fachkräfte, für die es innerhalb dieser Region keine passend qualifizierten Arbeitslosen gab", erklärt Dirk Werner, Spezialist für berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am IW.

Die Beratungsgesellschaft "Strategy& Deutschland" hat den zukünftigen Personalbedarf der Standorte Dresden und Magdeburg auf Grundlage der Ankündigungen der Unternehmen geschätzt. Demnach ergibt sich in Dresden in den nächsten Jahren ein Mehrbedarf von etwa 3.000 Mitarbeitern. Genauso viele seien es bei Intel in Magdeburg – zumindest in der ersten Ausbaustufe. Später könnte die Zahl der Beschäftigten bei Intel auf bis zu 10.000 steigen. Auch in Dresden würde sich nach konservativer Schätzung die Zahl an zusätzlichen Arbeitskräften inklusive der Bedarfe bei den Zulieferern maximal auf 10.000 erhöhen.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 24. August 2023 | 06:00 Uhr

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