Arbeitsmarkt Goodbye, Thüringen? Wie sich der Erfolg der AfD auf ausländische Fachkräfte auswirkt
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22. Juli 2023, 05:00 Uhr
Umfragen oder Sonneberg-Wahl: Die AfD fährt konstant Erfolge ein. Gleichzeitig steht die Wirtschaft vor einem massiven Fachkräftemangel. Wie reagieren ausländische Fachkräfte auf den Zuspruch für die Partei?
Der demografische Wandel klopft an: 385.000 Thüringer Fachkräfte werden voraussichtlich bis 2035 aus ihrem Job ausscheiden. Das hat das Ifo-Institut jüngst errechnet und betont: Die Möglichkeiten, Fachkräfte für den thüringischen Arbeitsmarkt zu gewinnen, sind weitgehend ausgeschöpft. Eine Möglichkeit, den Personalbedarf zu stillen, bleibt nach wie vor die Gewinnung ausländischer Fachkräfte.
Die Politik müht sich redlich: Der Freistaat Thüringen versucht zum Beispiel hiesigen mittelständischen Firmen zu helfen, südamerikanische Mechatroniker oder vietnamesische Fleischarbeiter anzulocken. Und auch die großen Player wie CATL am Standort Arnstadt versuchen händeringend, ihren Bedarf nach zusätzlichen Arbeitskräften mit Personal aus allen Ländern zu decken.
AfD gewinnt an Zuspruch
Gleichzeitig hat mit der Thüringer AfD eine nationalistische und vom hiesigen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Landespartei an deutlichem Zuspruch gewonnen: Rund ein Drittel der Bevölkerung würde die Partei Umfragen zufolge momentan wählen, eine Mehrheit traute ihr im Kreis Sonneberg das höchste Verwaltungsamt zu. Wirtschaftsexpertinnen wie die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier warnen längst vor den möglichen Folgen des AfD-Erfolgs. Dringend benötigte Arbeitskräfte aus dem Ausland könnten abgeschreckt werden, sagt sie.
Was aber denken ausländische Fachkräfte darüber, die nicht nur zum Arbeiten, sondern natürlich auch zum Leben nach Thüringen gekommen sind? Erfahren sie mehr Diskriminierung in ihrem Alltag? Es ist nicht leicht, dazu Gesprächspartner zu finden. Die, die reden wollen, möchten meist anonym bleiben und fürchten sich vor Anfeindungen oder beruflichen Konsequenzen.
Landratswahl in Sonneberg erschreckt
Vivek heißt eigentlich anders und ist vor einigen Jahren als Arzt aus Indien nach Thüringen gekommen. Vivek verfolgt die Politik in Thüringen. Nicht so sehr wie die in seiner Heimat, aber unter anderem die Landratswahl in Sonneberg hat er beobachtet. Sie habe ihn erschreckt. Er kennt Alltagsdiskriminierung und Situationen, in denen die Toleranz und Geduld von Patienten deutschen Ärzten gegenüber größer ist als für ihn, mit dunkler Hautfarbe und indischem Akzent. Aber diese Situationen seien eine Seltenheit, betont er. "Wenn ich in der Klinik eins zu eins den Patienten betreue, habe ich nicht den Eindruck, dass ein Drittel nicht von uns behandelt werden will."
In seinem sozialen Netzwerk in der Stadt, in der er lebt, fühlt Vivek sich wohl. Käme allerdings ein gutes Angebot aus einer eher ländlicheren Gegend, würde er angesichts der verstärkten Zustimmung für die Rechten zweimal überlegen, dort hinzugehen: "Besonders in den kleineren Städten würde ich persönlich selbst vielleicht nicht mehr wohnen wollen, auch wenn ich da eine bessere Stelle finde. Weil man hat ja schon immer ein bisschen Angst, dass was passieren könnte."
Rassismus hat sich seit 2015 verschlimmert
Noch deutlicher äußert sich Anna. Sie kam vor einigen Jahren aus Polen nach Thüringen, lebt hier mit ihrer Familie und kennt viele andere migrierte Fachkräfte. Auch Anna will nicht alle über einen Kamm scheren und nennt auch Chefs, von denen sie weiß, dass sie mit einer guten Willkommenskultur vorangehen.
Aber, sagt sie: "Es hat sich verschlechtert. Mittlerweile sprechen mehr Mitarbeiter offen rassistisch. Der Alltagsrassismus ist allgegenwärtig und keiner schämt sich mehr dafür." Sie kenne eine andere Person, die wegen Diskriminierung Thüringen verlassen habe.
Nach der ersten großen Flüchtlingsbewegung 2015 und zahlreichen Protesten gegen deren Aufnahme sei es schlimmer geworden, beobachtet Anna die Stimmung. Auch in ihrer eigenen Familie, auf der Seite ihres Mannes zeigen Ressentiments ihre Auswirkungen: "Ich wurde ausgeschlossen, weil ich mit meinen Kindern Polnisch spreche."
Wie steht die AfD zu ausländischen Fachkräften?
Wie steht die AfD selbst aber zu ausländischen Fachkräften? Im Thüringer Parteiprogramm von 2019 beschäftigt sie sich mit dem "Nachwuchs- und Nachfolgeproblem bei Handwerkern und Unternehmern" und schreibt: "Dass die Masseneinwanderung von gering- oder unqualifizierten Ausländern ohne Sprach- und teilweise ohne Schriftkenntnisse dazu keinen Beitrag leisten kann, ist offensichtlich." Arbeitsmigration könne nur einen geringen Beitrag leisten - Schuld daran seien vor allem das schlechte Lohnniveau und eine vergleichsweise hohe Steuerlast.
Noch lauter wurde Uwe Thrum, handwerkspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, im Frühjahr dieses Jahres: "Bevor wir weiter lauthals nach der Einwanderung von sogenannten Fachkräften schreien, sollten zunächst die eigenen Kapazitäten vollends ausgeschöpft und entsprechende Anreize gesetzt werden."
Anna, die den Thüringer Arbeitsmarkt dank ihrer Kontakte nun seit mehreren Jahren gut kennt, hat für solche Argumente nicht viel übrig. Sie sagt: "Ich muss mir nur mal anschauen, wer die ganzen Apfelbäume erntet, die Erdbeerfelder, den Spargel sticht. Da sehe ich kaum Deutsche."
Einfach nur arbeiten und hier leben
Und auch für Thoumama Hadidi ist der Weg der AfD der falsche. Der Ilmenauer Familienvater kam vor neun Jahren aus Syrien nach Deutschland. Dort arbeitete er als Rechtsanwalt, in Deutschland als Migrationsberater mit Sitz in Arnstadt. Hadidi möchte mit seinem echten Namen erzählen und weiß, wie sich Anfeindungen anfühlen: Als er noch ein Lebensmittelgeschäft in Ilmenau führte, fand er es eines Morgens mit Hakenkreuz und anderen Parolen beschmiert. Hadidi antwortete auf Facebook: "An den unbekannten Hater: Wenn du wirklich Interesse hast, was zum Guten zu ändern, komm vorbei, wenn der Laden geöffnet ist, und lass uns reden."
Thoumama Hadidi berät erwachsene Afghaninnen, Syrer, aber auch Menschen aus Rumänien oder Bulgarien beim Jobeinstieg in Thüringen. Für die sei die regionale Politik, die AfD, nicht explizit Thema - sie wollten einfach nur arbeiten und hier leben.
Er aber versteht nicht, warum die AfD nicht offensiver auf ausländische Fachkräfte setzt. Sein Leben sei Beispiel genug: Hadidi arbeitet seit 2016 in Thüringen, zahlt Steuern, hat die Staatsbürgerschaft und seine Kinder machen bald ihren Schulabschluss. "Es ist kein Problem, wenn du Fachkräfte hast. Aber wenn du nicht genug Fachkräfte hast, bedeutet das für mich, du brauchst die Leute. Es ist kein Zauber, die Leute hierher zu bringen. Ich brauche sie aus Deutschland, Europa, Afrika, Indien, der ganzen Welt. Weil wir Deutschland weiter aufbauen wollen. Damit es nicht nach unten geht."
Spricht man mit ausländischen Arbeitnehmern in Thüringen, ist Diskriminierung im Job oder Privaten immer wieder ein Thema. Auch beim Projekt "Faire Mobilität in Thüringen" des DGB-Bildungswerks Thüringen weiß man das. Tina Morgenroth, Projektmitarbeiterin, sagt, die negative Stimmung in der Bevölkerung sei in den letzten Monaten spürbarer geworden.
"Das hat auch viel mit dem gesellschaftlichen und politischen Klima zu tun: Wie fühle ich mich als Migrantin oder Migrant in Thüringen? Und da gibt es immer wieder ausländische Beschäftigte, auch Kolleginnen aus unserem Team, die sich nicht wohl fühlen und Thüringen verlassen." Sie könne es nachvollziehen, so Morgenroth, wenn die Menschen gingen.
Konkret äußere sich eine mangelnde Willkommenskultur auch immer wieder an strukturellen Probleme in Betrieben: "Arbeitsanweisungen sind in nicht verständlichen Sprachen, was Probleme verursacht. Dann spielen auch Vorurteile und Stereotype der deutschen Kolleg*innen gegenüber ausländischen Beschäftigten eine Rolle. Diskriminierung begegnet unseren Ratsuchenden häufig. Das spielt auch außerhalb der Arbeit eine Rolle, das ist einfach nicht ewig aushaltbar."
Dennoch verweisen die Beraterin und auch die Aussagen einer polnischen Arbeiterin, mit der der MDR THÜRINGEN sprechen konnte, darauf, dass es für Arbeitsmigranten in Thüringen aus wirtschaftlicher Sicht generell nicht wirklich attraktiv ist. Die polnische Frau arbeitet in der Logistikbranche. Sie spricht von einem ausbeuterischen Arbeitsumfeld: Die Mitarbeiter würden ausgenutzt; obwohl viele polnische Firmen im Unternehmen arbeiteten, gäbe es wichtige Aushänge nicht in ihrer Sprache, Versprechungen würden nicht eingehalten. Sie sagt: "Ich habe mich an Thüringen gewöhnt, aber der Verdienst und das Arbeitsklima auch unter den Mitarbeitern ist schlecht."
Bei der "Fairen Mobilität" haben sie oft mit Fällen zu tun, in denen Löhne nicht ganz oder während Krankheit gar nicht gezahlt wurden. "Unsere Erfahrung ist, dass die Leute oft weiterziehen, wenn sie sich ihrer Ausbeutung bewusst werden. Häufig ist die Arbeit im Niedriglohnbereich, in den Betrieben gibt es wenig Mitbestimmung, in weniger als der Hälfte aller Betriebe Tarifbindung. Das sind keine guten Ausgangsbedingungen, um sich dauerhaft ein Leben in Thüringen aufzubauen."
AfD setzt auf Automatisierung und Robotik
Eine Kritik, die für die AfD fruchtbaren Boden bietet mit ihrer Kritik am Wirtschaftsstandort Thüringen. Auf Anfrage schreibt der Landtagsabgeordnete René Aust, dass seine Partei die Aussagekraft von "dramatisierenden Prognosen" wie der Ifo-Studie bezweifelt.
Und: es gehe nicht darum, ausländische Fachkräfte in die zweite Reihe einzuordnen, sondern darum, dass "heimische Potenziale vorrangig entwickelt werden". Die AfD setze mehr als andere auf das Potenzial von Automatisierung und Robotik in Betriebsabläufen.
Anna, die seit Jahren in Thüringen arbeitet, stellt fest: "Ausbeutung am Arbeitsplatz trifft nicht nur Ausländer. Aber Ausländer auszubeuten ist viel einfacher, da die Menschen viel mehr Einzelkämpfer sind." Und Thoumama Hadidi, mittlerweile deutscher Staatsbürger in Ilmenau, erklärt, er tue alles für Deutschland, will all das zurückgeben, was ihm das Land ermöglicht hat.
"Wir müssen zusammen halten in dieser Ausnahmesituation", so Hadidi. "Die Leute wählen AfD, weil sie das kleine Bild sehen und nicht das große. Sie denken, die Ausländer kommen hierher, sitzen rum mit dem Geld vom Staat, kaufen sich ein Auto und so weiter. Aber sie sehen nicht, was die Leute wirklich schaffen."
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 14. Juli 2023 | 13:00 Uhr
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