Arbeitswelt Wie Prototypen beim Bau sozialer Einrichtungen helfen können
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06. Juli 2023, 15:50 Uhr
Im Rahmen der Zukunftstour besucht MDR AKTUELL das Krankenhaus in Eisenberg. Dort gehen die TV-Kollegen der Frage nach, wie man für Pflegekräfte attraktiv bleibt und was die Klinik anders macht als andere. Unter anderem haben die Waldkliniken ihr neues Bettenhaus zunächst an einem Prototypen getestet. Dabei haben sie ihr Personal aktiv einbezogen und somit möglichen Planungsfehlern vorgebeugt. Ist das ein Modell für die Zukunft?
- Für das Bettenhaus der Waldkliniken in Eisenberg wurde ein Prototyp gebaut.
- Lohnt es sich, Prototypen beim Planen sozialer Einrichtungen zu verwenden?
- Planungsfehler können dank Prototypen vor dem eigentlichen Bau bemerkt und korrigiert werden.
- Bei einem Prototypen können Mitarbeiter in Planungsprozesse einbezogen werden.
Um ein neues Produkt zu entwickeln, wird meistens zuerst ein Prototyp produziert. Besonders bekannt ist die Verwendung von Prototypen in der Produktentwicklung, in der Forschung und in der Informatik. Es gibt aber auch eine mögliche Anwendung in einem anderen Planungsbereich: in Architektur und Bau.
Was ist ein Prototyp? Ein Prototyp ist ein Objekt, an dem die Funktionalität getestet wird. Mit dem durch die Tests ermittelten Feedback wird der Entwurf verbessert, bis die Entwickler zufrieden sind. Dann wird auf Basis der Prototypen das Endprodukt fertiggestellt.
Prototyp eines Bettenhauses in Eisenberg
So ist es in den Waldkliniken im thüringischen Eisenberg gewesen. Dort wurde 2016 ein 1:1-Modellbereich im Patientengarten errichtet, wo ein Teil des neuen Bettenhauses nachgebaut wurde. Es wurden Beleuchtungen, Tapeten, Bettgitter, Vorhänge und Flure getestet. Auch die Platzierung von Lichtschaltern, Waschbecken und anderen Einrichtungsgegenständen wurde durchgegangen. So wurde nach Angaben eines Krankenhaus-Sprechers der Einbau einer falschen Türklinke, eines schlecht nutzbaren Waschbeckens oder einer zu schweren Tür verhindert. Durch den Test der Fassade wurde sich bewusst dafür entschieden, diese komplett mit Holz zu verkleiden, damit sich keine Vögel einnisten.
Außerdem wurden beim Prototyp-Bettenhaus Arbeitsabläufe durchgegangen. Dabei wurde auch die "Unit-Struktur" getestet. Hier sollen sich Pflegekräfte je um acht bis zehn Patienten kümmern. Auf der Station gibt es keine abgeschlossenen Zimmer für das Personal, sondern offene Stützpunkte. Diese sind mit ergonomischen Sitzmöbeln und großen Monitoren ausgestattet. So soll das Personal jederzeit ansprechbar für Patienten und Gäste sein.
Schon bei Planung der ersten McDonalds-Filiale wurde ein Prototyp verwendet
Eines der bekanntesten Beispiele für die Planung mit Prototypen ist die erste McDonalds-Filiale. Richard und Maurice McDonald entwarfen die perfekte Küche nicht beim ersten Versuch. Stattdessen brachten sie ihr Küchenpersonal auf einen Tennisplatz, auf dem mit Kreide die Küchenstationen im 1:1-Maßstab aufgezeichnet wurden. Die Angestellten simulierten die Abläufe, wodurch sichtbar wurde, wo Probleme auftraten. Dieses Feedback wurde verwendet, um Stationen zu verschieben und benötigte Zeiten zu verringern. Der finale Prototyp wurde umgesetzt. Das Ergebnis war ein Burger, der nur wenige Minuten braucht, um zubereitet zu werden.
Doch lohnt sich allgemein eine Anwendung von Prototypen zur Gestaltung der Arbeitsplätze im sozialen Bereich?
Anwendung von Prototypen im sozialen Bereich
Professor Doktor Jochen Koch arbeitet an der Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem im Bereich des strategischen Planens. Er befürwortet die Nutzung von Prototypen. Koch sagt, durch einen Prototyp könne man die immer wieder eintretenden Änderungsnotwendigkeiten im Planungsprozess berücksichtigen und letztlich auch Planungszeiten verkürzen. Koch glaubt zudem, dass durch die Verwendung von Prototypen und die Erfahrungen damit später auftretende Probleme vermieden werden können: "Der Realisationzeitpunkt wird vorgezogen, und dadurch bekomme ich Feedback – wichtiges Feedback, das ich einbauen kann und das mir dann vielleicht den gesamten Prozess auch leichter zu gestalten erlaubt." Koch zufolge können sich auch Laien viel besser in den Planungsprozess einbringen, wenn es einen Prototypen gibt.
Laien können sich viel besser einbinden, wenn sie einen Prototyp haben.
Experte für offenere Planungskonzepte
Koch zufolge wird aktuell bei öffentlichen Planungsverfahren in der Regel ein Auftrag mit detaillierten Voraussetzungen gegeben, wobei oft wichtige Faktoren außer Acht gelassen würden.
So könne etwa bei einem Prototypen für eine Kindertagesstätte berücksichtigt werden, wieviel Platz die Erzieherinnen und Kinder tatsächlich benötigen und welche Raumaufteilungen sich anbieten. Zudem könnte die Umgebung einbezogen werden.
Als Negativ-Beispiel nennt Koch ein Jugendfreizeitheim in Berlin-Dahlem. Als Wohnungen in dessen Nähe entstehen sollten, musste der Bauherr eine fünf Meter hohe Schallschutzmauer zum Außenbereich des Heims hin errichten, um die Bauerlaubnis zu erhalten. Die Stadt wollte damit potentielle Beschwerden über Lärm vermeiden. Für Koch ist das ein klassischer Planungsfehler, den man durch einen Prototypen im Vorfeld schon hätte beheben können.
Mitarbeitende einbeziehen
Der Experte verweist auf einen weiteren Vorteil von Prototypen: Durch die Einbindung von Mitarbeitenden in die Planung und die Berücksichtigung ihrer Expertise könne sich auch das Arbeitsklima verbessern, da sich Menschen ernst genommen und wertgeschätzt fühlten.
Auch in der Informationsbroschüre zum Bau der Waldkliniken in Eisenberg wird erklärt, dass: "[Der] Modellbereich weit mehr als nur ein Testraum [war], er diente vielmehr dazu, die in den Waldkliniken arbeitenden Menschen abzuholen und zum integralen Teil des neuen Krankenhauskonzepts zu machen." Im Nutzertest in Eisenberg wurden unterschiedliche Mitarbeitende eingeladen, den Prototypen zu testen – von der Pflege, Reinigung, Physiotherapie, Hygiene und Service. Insgesamt gab es etwa 100 Beteiligte. Verbesserungsvorschläge seien nahezu zu 100 Prozent angenommen worden.
Digitale Prototypen als Zukunft
Ein potenzielles Problem sieht Koch allerdings bei den Kosten für die Prototypen – vor allem dann, wenn Prototypen nicht Bestandteil der späteren Lösung sind und andere Verwendung finden, sondern wieder abgerissen werden müssen. In der Zukunft sieht der Professor jedoch die Möglichkeit, digitale Prototypen zu nutzen. Diese könnten dank moderner Technik sogar begehbar sein. Im Fall der Waldkliniken Eisenberg wird der Modellbau nun als Tagungsort angeboten. Auch hier habe es Kritik an den Kosten für den Prototypen in Höhe von 700.000 Euro gegeben, heißt es von der Klinik. Allerdings habe sich diese Summe bereits mehrfach rentiert.
Das größte Problem sieht Koch momentan jedoch in der aktuellen Organisation des öffentlichen Planungsverfahrens. Er befürchtet, dass die Erschaffung eines Prototypen neue Ausschreibungen mit sich bringen wird, welche Kosten- und Zeitgewinn wieder aufheben könnten.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 06. Juli 2023 | 21:45 Uhr