Die SeaWatch3 liegt beschlagnahmt im Hafen von Licata hinter einem Zaun.
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Illegale Einreise in die EU Kriminalisierung von Seenotrettung: Fehler oder Abschreckungsmaßnahme?

22. November 2023, 07:59 Uhr

Die Bundesregierung hat Schleusern den Kampf angesagt - immer wieder wird betont, dass man sich dem "menschenverachtenden Geschäft" entgegenstellen wolle. Nun scheint das Innenministerium aber übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Denn durch eine geplante Änderung am Aufenthaltsgesetz könnten sich künftig auch gemeinnützige Organisationen, die an EU-Außengrenzen Geflüchteten helfen, strafbar machen. Wie schätzen Rechtsexperten das ein?

Künftig könnten sich Seenotretter strafbar machen, wenn sie Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten und in der EU an Land bringen. Denn das Bundesinnenministerium (BMI) plant in seinem Entwurf zum "Rückführungsverbesserungsgesetz" eine Änderung an Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes. Wird diese im Bundestag bestätigt, ist Hilfe bei der illegalen Einreise in die EU in Zukunft auch dann strafbar, wenn sie uneigennützig, also ohne eigenen Vorteil, geschieht.

Gemeinnützige Helfer, wie etwa Seenotretter, könnten dann in Deutschland genauso bestraft werden, wie gewerbsmäßige Schleuser. Nachdem dieser Umstand publik wurde, veröffentlichte das Innenministerium eine Erklärung, in der es klarstellte, dass eine Kriminalisierung der Seenotrettung keinesfalls beabsichtgt sei.

Nach Einschätzung diverser Rechtsexperten ist die Absicht des Bundesinnenministeriums bei der Änderung des Gesetzes jedoch völlig unerheblich für seine Auslegung. Rechtsanwalt Carsten Gericke, der sich für die Menschenrechtsorganisation ECCHR engagiert, erklärt gegenüber MDR AKTUELL: "Wenn es um die Anwendung des Paragrafen in der Strafverfolgung geht, hat das BMI überhaupt keine Handlungskompetenz. Meinung und Absicht des Ministeriums sind da völlig irrelevant."

Gericke zufolge würden humanitäre Organisationen, die an den EU-Außengrenzen arbeiten und dort Hilfe leisten, nach Anpassung der Vorschrift rein objektiv den Tatbestand des "Einschleusens von Ausländern" erfüllen. Es sei nicht abzusehen, wie Strafverfolgungsbehörden die neue Vorschrift letztlich anwenden werden. "Das schafft eine große Rechtsunsicherheit", sagt der Experte für internationales Straftrecht.

Mehr zur genauen Gesetzgebung

In Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes ist geregelt was unter dem Tatbestand "Einschleusen von Ausländern" verstanden wird. Strafbar macht sich diesem Paragrafen zufolge jeder, der wiederholt oder mehreren Ausländern auf einmal bei der illegalen Einreise nach Deutschland hilft. Dabei ist unerheblich, ob das gegen Geld geschieht.

Gleiches gilt für Hilfe zur Einreise in die EU – nur, dass dort bisher sehr wohl eine Rolle spielt, ob man dafür Geld erhält bzw. ob man "dafür einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt". Wer Ausländern also uneigennützig bei der Einreise in die EU hilft, macht sich bisher nach deutschem Recht nicht strafbar. Doch genau das soll sich mit der geplanten Anpassung des Gesetzes ändern. Paragraf 96 Aufenthaltsgesetz

Humanitäre Hilfe vor oder beim Grenzübertritt wird kriminalisiert

Axel Steier, Mitbegründer der Seenotrettungsorganisation "Mission Lifeline" aus Dresden, sagt, die geplante Gesetzesänderung würde die Arbeit seiner Organisation ungemein erschweren. "Egal ob es am Ende eine Verurteilung gibt oder nicht – dieser Paragraf macht dann auf jeden Fall Ermittlungen möglich und das baut natürlich Druck auf und behindert unsere Arbeit."

Steier weist aber auch darauf hin, dass die Seenotrettung nur ein Aspekt sei: Kriminalisiert, würden besonders Organisationen, die Menschen im europäischen Ausland vor dem Grenzübertritt helfen. "Der "Blindspots e.V." aus Leipzig zum Beispiel, die sind in Bosnien aktiv. Wir selbst waren auch schon in Mazedonien, haben dort Menschen, die sich im Wald versteckt haben, Kleidung und Essen gebracht." Derartige Unterstützung könnte Steier zufolge ebenfalls als Hilfe bei der illegalen Einreise in den Schengenraum verstanden werden.

Abschreckung für Freiwillige in der Flüchtlingshilfe

Imke Behrends und Julia Winkler von der Menschenrechtsorganisation "Borderline Europe" sorgen sich vor allem um die abschreckende Wirkung, die die Gesetzesänderung auf Freiwillige haben könnte. "Man muss nur mal nach Griechenland schauen, wo Gewinnabsicht schon lange keine Voraussetzung mehr für die Strafverfolgung ist. Dort ist Seenotrettung praktisch nicht existent."

Behrends und Winkler verweisen auf zahlreiche Prozesse, die in Griechenland, und auch Italien, gegen Seenotretter geführt wurden und teils noch geführt werden. In Griechenland werden zudem immer wieder auch Geflüchtete selbst zu teils jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt, weil sie bei der Steuerung der Fluchtboote geholfen haben. "Also selbst wenn das Innenministerium sagt, Seenotrettung wird nicht verfolgt – mit der Gesetzesänderung ist die gesetzliche Möglichkeit dann da", sagt Behrends. "Und wer weiß, wie sich die politischen Einstellungen in den kommenden Jahren entwickeln?"

Dabei sei Seenotrettung wichtiger denn je: "Allein in diesem Jahr sind schon 2.500 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen", sagt Julia Winkler. Dass die Existenz von Seenotrettung ein Anreiz zur Flucht über das Mittelmeer sei, weist sie zurück: "Ob es Seenotretung gibt oder nicht, hat keinen Einfluss darauf wie viele Menschen kommen, es hat nur Einfluss darauf, wie viele sterben."

Zunehmende Kriminalisierung von Schleusung gefährdet Flüchtlinge

Auf X, vormals Twitter, schrieb das Bundesinnenministerium (BMI), Ziel seiner Gesetzesänderung sei nicht die Kriminalisierung der Seenotrettung, vielmehr gehe es darum, den Kampf gegen "das menschenverachtende Geschäft" der Schleuser zu verschärfen. Doch die Gesetzesänderung hat keine Auswirkung auf gewerbsmäßige Schleuser. Für deren Bestrafung gebe es bereits eine Rechtsgrundlage, sagt Carsten Gericke.

Für Behrends und Winkler von Borderline Europe ist die scharfe Rhetorik des BMI gegen Schleuser Heuchelei. "Es wird so getan, als wollte man mit dem Vorgehen gegen Schleuser Geflüchtete schützen, dabei ist nachgewiesen, dass eine stärkere Kriminalisierung von Schleusungen genau das Gegenteil bewirkt." Durch die härtere Verfolgung, werde das Geschäft der Schleusung umso mehr in kriminelle Hände verlagert, die damit in großem Stil Gewinn machten.

"Es ist Heuchelei zu kritisieren, wie Schleuser mit Geflüchteten umgehen, während man mit der eigenen Politik dafür sorgt, dass die Wege nach Europa immer unsicherer werden", sagt Julia Winkler und fügt hinzu: "Da soll man lieber ehrlich sein und zugeben, dass es vor allem darum geht, die Einreise Geflüchteter zu vermeiden und nicht darum, sie vor Gewalt durch Schleuser zu schützen." Das könne man nach dem Gesetz nämlich sowieso.

Kriminalisierung von Seenotrettung womöglich nur ein Fehler

Laut Rechtsanwalt Carsten Gericke ist es auch durchaus möglich, dass dem BMI mit der geplanten Anpassung ein Fehler unterlaufen ist. Die Stellungnahmefristen, die Anwälten, Menschenrechtsorganisation, etc. für den Entwurf zum "Rückführungsverbesserungsgesetz" eingeräumt wurden, seien ungewöhnlich kurz gewesen. "Da hatte eigentlich keine Organisation, die ich kenne, Zeit hinreichend Stellung zu nehmen. Und so können handwerkliche Fehler passieren, die gar nicht beabsichtigt waren", sagt Gericke.

Der einfachste und sauberste Weg, zu verhindern, dass Seenotrettung und andere humanitäre Hilfeleistungen ungewollt kriminialisiert werden, sei die Änderung von Paragraf 96 fallen zu lassen, sagt Gericke. Genau das haben am Dienstag auch rund 50 Seenotrettungs- und Menschenrechtsorganisationen in einer Stellungnahme von der Regierung gefordert. Schließlich habe man sich im Koalitionsvertrag zur Pflicht zur Seenotrettung bekannt.

(ewi/epd)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 21. November 2023 | 12:30 Uhr

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