Interview mit Experten Gips als Baustoff: Wie ist der Stand beim Recycling?
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05. November 2024, 15:35 Uhr
Gips ist als Rohstoff in der Bauindustrie nicht wegzudenken. Die Hälfte des jährlichen Bedarfs wird mit Gips aus der Braunkohleverstromung gedeckt. Da dieser Teil nach dem Kohleausstieg wegfällt, werden neue Abbaugebiete gesucht. Das wird von Naturschützern heftig kritisiert. Möglich ist es auch, Gips aus alten Baustoffen zu recyceln. Wir haben beim Bundesverband der Gipsindustrie e.V. nachgefragt, wie viel dadurch bereits kompensiert werden kann und welche Grenzen es derzeit hier noch gibt.
Der Gips-Bedarf wird etwa zur Hälfte durch REA-Gips gedeckt. Der Kohleausstieg wird zum Rückgang des Nebenproduktes führen. Gibt es Schätzungen, wie groß die zu ersetzende Lücke werden könnte?
Dr. Hans-Jörg Kersten: Die Inlandsnachfrage nach REA-Gips beträgt nach einer Studie im Auftrag des Bundesverbandes Baustoffe rund vier Millionen Tonnen pro Jahr. Im Zeitraum von 2005 bis 2018 wurden rund sieben Millionen Tonnen pro Jahr REA-Gips hergestellt, wobei mittlerweile die Versorgung des Auslandes (Skandinavien und Benelux-Staaten haben keine eigenen Naturgipsvorkommen) und die Zuführung in Vorratslager wie auch die Versorgung der Zementindustrie mit REA-Gips weitgehend zum Erliegen gekommen und wieder auf Naturgips umgestellt worden sind.
Wie unterscheiden sich Aufwand und Kosten bei der Gipsgewinnung und beim Recycling?
Die primäre Gipsherstellung erfolgt über- oder unter Tage durch Sprengung oder Lösen des Gesteins und Mahlung in kleine Kornfraktionen, nachdem die Lagerstätten durch Zwischenlagerung des Oberbodens zugänglich gemacht sind.
Beim Recyceln werden von Baustellen Gipsabfälle (vorwiegend Platten) gesammelt, dann müssen in einem Aufbereitungsprozess Störstoffe wie Beton, Dämmstoffe oder Fliesen entfernt werden, der Karton- oder Papierfaseranteil der Platten abgesiebt und die in den Platten vorhandenen Schrauben und Nägel mit Magnetabscheidern entfernt werden. Ferner erfolgt auch hier die Feinmahlung des gewonnenen Gipses.
Sowohl aus der Sicht des Sammelaufwandes an den vielen Baustellen (Rückbau und Transporte), der Ausbeute an verwendbarem Gips, wie auch des Aufwandes beim Recyclingprozess selbst ist die Aufbereitung zu Recyclinggips deutlich teurer, als die Gewinnung von Naturgips aus heimischen Lagerstätten. Moderne Recyclinganlagen sind mit ihrer Produktionskapazität in der Lage, eine kontinuierliche Zudosierung in die Herstellung von Massenprodukten zu gewährleisten. Zeitlich problematisch ist lediglich die ausreichende Versorgung der Recyclinganlage mit Gipsabfällen.
Wird das Recyceln von Gips bezuschusst? Gibt es Förderprogramme?
Das Recyclen von Gips finanziert sich rein marktwirtschaftlich ohne Subventionen aus der Ersparnis des Abfallerzeugers gegenüber einer Deponierung. In anderen Ländern Europas wird dies durch eine Deponiegebühr beziehungsweise ein Deponieverbot für recyclingfähige Gipsabfälle unterstützt.
Förderprogramme gibt es unserer Kenntnis nach vor allem im Bereich der Recyclingforschung.
2014 gingen die ersten Gips-Recyclinganlagen in Deutschland an den Start. Wie viele Anlagen gibt es heute und wo?
Momentan gibt es in Deutschland vier Anlagen in Betrieb:
- Raum Halle/Leipzig: MUEG Mitteldeutsche Umwelt- und Entsorgung GmbH
- Rheinland-Pfalz/Saarland: REMONDIS GmbH & Co. KG, Region Südwest
- Nordrhein-Westfalen: New West Gypsum Germany GmbH und Tadick Rohstoffhandels GmbH
Diese werden durch weitere Sammelstellen der Entsorgungswirtschaft beliefert.
Und außerdem Eine weitere Gipsrecyclinganlage in Baden-Württemberg wurde auf Produktionsabfälle umgestellt und nimmt aufgrund einer Unternehmensentscheidung daher keine Gipsabfälle aus dem Bausektor mehr an. Weitere Sammelstellen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein existieren, die Gipsrecyclinganlagen in den Niederlanden und in Dänemark mitversorgen. Zwei weitere Gipsrecyclinganlagen sind in Mecklenburg-Vorpommern (Fa. Buhck, Holthusen) und in Nordrhein-Westfalen (Fa. Gb-GmbH, Bocholt) in Planung.
Wie hat sich die Recyclingquote seit 2014 entwickelt?
Die Recyclingquote hat sich entsprechend unserer Pressemeldung vom 9. September 2024 sehr positiv entwickelt: Bei einem Abfallaufkommen der Kategorie Bau- und Abbruchabfälle auf Gipsbasis aus dem Bausektor von unter 700.000 Tonnen pro Jahr entspricht dies einer Recyclingquote von ca. 10 % des Abfallaufkommens, das zurzeit aufgrund der baukonjunkturellen Lage leider parallel mit dem Neubau und der Renovierung zurückgeht.
Wo wird Recyclinggips hauptsächlich eingesetzt?
Recyclinggips wird vorwiegend bei der Produktion von Gipsplatten genutzt, aber auch für Estriche und Putze mit verwendet.
Bei welchen Bauvorgängen kann Recyclinggips (noch) nicht wieder eingesetzt werden? Wo sind die Grenzen und warum?
Rund 25% des Gipsbedarfes wird als Abbinderegler für Zement (beziehungsweise daraus hergestellten Beton) benötigt. Da hier Gips chemisch abreagiert, kann er nicht zurückgewonnen werden.
Weitere Ausschlusskriterien, die ein Recycling strikt ausschließen, sind schadstoffbezogen (zum Beispiel Querkontamination mit asbesthaltigen Spachtelmassen), durch den engen bautechnischen Verbund mit dem Untergrund wie bei Baugipsen bedingt, oder dadurch gegeben, dass der rückgewinnbare Gipsanteil sehr niedrig ist (wie nur ca. 30% Gipsanteil bei Estrichen), so dass ein Recycling mit der Zielsetzung der Gewinnung eines Naturgips-identischen Materials mit > 80% Reinheit wenig erfolgversprechend ist.
Welche Gipsabfälle können überhaupt recycelt werden?
Heute schon recyclingfähig sind Gipsabfälle aus Gipsplatten, Gipsfaserplatten, Gips-Wandbauplatten, Stuckelemente sowie Spezialgipse aus industriellen Anwendungen (letztere teilweise).
Zum Recycling von Anhydrit-Estrichen und abgefrästen Gipsputzen gibt es grundsätzlich positive Forschungsergebnisse hinsichtlich der Recyclingfähigkeit, die aber aufgrund des Trennaufwandes und der Arbeitsplatzbedingungen beim Rückbau (zum Beispiel Stäube aus mitverbauten Baustoffen) allerdings noch nicht in die Praxis umgesetzt wurden.
Was hat sich bei der Abgabe bei Deponien geändert? Mit welchem Erfolg?
Die Situation der Deponien (Annahmepreise) sind für Gipsabfälle in einem weiten Spektrum vertreten und stark kommunal beeinflusst, zwischen Materialakquise zur Finanzierung oder zum Abschluss der Deponie (günstig) bis zur Abwehr zur Schonung von Deponieraums (teuer).
Daneben gibt es auch Verfüllungen, die vor allem im Ausland für eine Verwertung von Gipsabfällen günstig angeboten werden und dadurch neben den Deponien Gipsabfälle dem Recyclingmarkt entziehen. Obwohl es gesetzlich grundsätzlich vorgeschrieben ist, Gipsabfälle zu recyceln, dürfen Abfallbesitzer zum Beispiel ökonomische Gründe geltend machen, um eine sonstige Verwertung oder eine Beseitigung nutzen zu können.
Sie fordern eine gesetzliche Grundlage für Recycling-Gips. Das Recycling werde von entgegenstehenden rechtlichen Rahmenbedingungen erschwert. Warum?
Derzeit muss jede Recyclinganlage in einem behördlichen Verfahren einzeln klären lassen, ob der Recyclinggips ein Produkt (Rohstoff) oder weiterhin ein Abfall ist. Wir fordern daher, dass Recyclinggips mit bestimmten Qualitätskriterien und einer vorgesehenen Verwendung im ebenfalls immissionsschutzrechtlich überwachten Bereich (den Gipswerken) aus dem Abfallregime entlassen wird. Dies wäre rechtlich durch eine "Abfallende-Verordnung" auf Bundesebene oder sogar europaweit möglich. Gegenstand dieser Verordnung sollte auch eine klare Festlegung sein, ab wann ein Recyclingmaterial als asbestfrei gilt, da hier unterschiedliche Maßstäbe in den Ländern der EU angewandt werden.
Welche Rahmenbedingungen (außer Förderungen) müssen sich noch ändern, damit die Quote weiter steigen kann?
Geeignete bessere Rahmenbedingungen wären ein Deponieverbot für recyclingfähige Gipsabfälle oder eine entsprechende Deponiesteuer. Als weitere Maßnahme würden wir eine Regelung zum Ende der Abfalleigenschaft für Recyclinggips begrüßen (s. o.).
Hinweis: Als nicht geeignet sehen wir Rohstoffsteuern auf Naturgips, da dadurch nur das Bauen verteuert wird. Dies ist der Fall, weil das Aufkommen an Recyclinggipsen bei Weitem nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. Deshalb lehnen wir auch verpflichtende Substitutionsquoten in Gipsbaustoffen ab.
MDR (cbr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 05. November 2024 | 20:15 Uhr