Krise in der Bundesregierung Ampel ringt um Einigung – Habeck bietet Intel-Kompromiss an
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04. November 2024, 20:07 Uhr
Bundeskanzler Olaf Scholz ringt mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner weiter um eine Einigung in der Wirtschaftspolitik. Vizekanzler Habeck signalisierte nun Kompromissbereitschaft bei der Verwendung der frei werdenden Intel-Milliarden. FDP-Chef Lindner hatte gefordert, mit den nicht benötigten Mitteln Haushaltslöcher zu stopfen. SPD und Grüne wollen trotz der neuen Verstimmungen in der Ampel-Koalition am Regierungsbündnis mit der FDP festhalten.
- Bundeskanzler Scholz führt Krisengespräche mit Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner
- Habeck kommt Lindner bei Verwendung der Intel-Milliarden entgegen
- Scholz ruft Koalitionspartner zu Kompromissbereitschaft auf
- Anlass der neuerlichen Ampel-Krise: das jüngste Papier von Lindner für eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik
Entscheidende Tage für die Zukunft der Ampel-Koalition: Der Streit um den Kurs der Wirtschaftspolitik droht zu einem Bruch des Bündnisses zu führen. Vor dem Koalitionsausschuss am Mittwochabend versucht deshalb Bundeskanzler Olaf Scholz, seine Regierung durch eine Reihe von Krisengesprächen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner zu retten. Am Montagmittag empfing Scholz die beiden Minister im Bundeskanzleramt. Noch ist keine gemeinsame Linie in Sicht.
Bereits am Sonntagabend waren Scholz und Lindner zu Beratungen zusammengekommen. Details wurden nicht bekannt. In den kommenden Tagen soll es weitere Gespräche geben über die Frage, ob sich die Regierung noch auf gemeinsame Maßnahmen beim Kampf gegen die Wirtschaftsschwäche Deutschlands einigen kann.
Habeck kommt Lindner in Debatte um Intel-Milliarden entgegen
Einen Kompromissvorschlag unterbreitete Vizekanzler Habeck am Montagnachmittag: Der Grünen-Politiker bot an, die frei werdenden Intel-Milliarden zu nutzen, um Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen. Für die Förderung der Chipfabrik des US-Konzerns in Magdeburg waren insgesamt zehn Milliarden Euro eingeplant, vier Milliarden Euro davon im kommenden Jahr. Intel hatte jedoch Mitte September angekündigt, den Bau des Werks vorerst auf Eis zu legen. Daraufhin hatte FDP-Chef Lindner gefordert, die Mittel für den Haushalt zu verwenden.
Aus dem Wirtschaftsministerium hieß es zunächst jedoch, das Geld sei im Klima- und Transformationsfonds (KTF) vorgesehen und stehe nicht dem Kernhaushalt zur Verfügung. Nun erfolgte die Kehrtwende – Habeck kam Lindner entgegen: Es sei "selbstverständlich", dass man einen Beitrag leiste, sagte der Vizekanzler am Montag in Berlin. Zugleich warnte er vor einem Scheitern der Koalition: Dies sei "die schlechteste Zeit" dafür, sagte er mit Blick auf den Ukraine-Krieg, die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA und die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland.
Scholz: "Ich bin der Kanzler"
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte die Erwartung, dass die angeschlagene Ampel-Koalition ihre Arbeit fortsetzt. Die Regierung sei gewählt, im Amt und werde ihre Aufgaben erledigen, sagte er in Berlin am Rande eines Treffens mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte auf Nachfrage von Journalisten. Scholz sagte: "Ich bin der Kanzler. Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderungen bewältigen, vor denen wir stehen." Der SPD-Politiker verlangte Kompromissbereitschaft von den Koalitionspartnern: Nötig sei "Pragmatismus", nicht "Ideologie".
Zuvor hatten Politiker von SPD und Grünen verlautbart, trotz der neuen Verstimmungen in der Ampel-Koalition am Regierungsbündnis mit der FDP festhalten zu wollen. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagte im ARD-Morgenmagazin, er sei zuversichtlich, dass sich die drei Parteien auf ein gemeinsames Konzept zur Ankurbelung der Wirtschaft einigen könnten: "Alle müssen sich am Riemen reißen. Weglaufen gilt nicht."
Alle müssen sich am Riemen reißen. Weglaufen gilt nicht.
Auch Grünen-Chef Omid Nouripour forderte die Ampel-Partner zum Durchhalten auf. "Wir wollen den Bruch nicht. Wir gehen auch davon aus, dass andere vertragstreu sind und wir die Arbeit, die wir hier miteinander machen, zu Ende bringen", sagte er in Berlin.
Derweil sieht FDP-Fraktionschef Christian Dürr die Ampel in der Pflicht, zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes auf den Weg zu bringen. "Es müssen jetzt Ergebnisse geliefert werden", sagte Dürr nach einem erneuten Treffen der FDP mit Wirtschaftsverbänden.
Lindner-Papier fordert Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik
Anlass für die neuerliche Ampel-Krise ist ein Grundsatzpapier von Finanzminister Lindner zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, das am Freitag an die Öffentlichkeit gelangt war. Darin fordert Lindner eine "Wirtschaftswende" mit einer "teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen", um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Konkret gefordert wird etwa die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen und ein Kurswechsel in der Klimapolitik.
Zuvor hatte Vizekanzler Habeck in einem Papier zur Modernisierung Deutschlands ganz andere Vorschläge gemacht. Der Grünen-Politiker will mit milliardenschweren Subventionen Investitionen von Unternehmen in Deutschland fördern. Zudem soll der Staat die Infrastruktur mit hohen Summen aufpäppeln. Scholz hatte sich unterdessen ohne Lindner und Habeck mit Industrievertretern und Gewerkschaften getroffen, um Arbeitsplätze zu erhalten.
dpa,AFP,Reuters(mze,das)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 03. November 2024 | 18:04 Uhr