DDR-Zusatzrente Härtefallfonds: Nur geringe Anerkennung für Ostrentner
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02. Januar 2024, 10:05 Uhr
Aktuelle Zahlen der Stiftung des Bundes zur Abmilderung von Härtefällen aus der Ost-West-Rentenüberleitung zeigen, dass der sogenannte "Härtefallfonds" ostdeutsche Betroffene enttäuscht. Nicht einmal jeder Sechste der ohnehin geringen Zahl der in Frage kommenden Antragsteller bekommt die erhoffte Einmalzahlung von 2.500 oder 5.000 Euro. Warum ist das so und warum schneiden andere Betroffenengruppen besser ab?
Nur knapp 14 Prozent der Härtefall-Anträge von Ostrentnern bewilligt
"Der Härtefallfonds ist ein 'Frustfonds', ein Affront gegenüber vielen Ostdeutschen. Er erkennt die Lebensleistung vieler Menschen nicht an." – So kommentiert Dietmar Polster, der langjährige Verhandlungsführer der Berufs- und Personengruppen der ehemaligen DDR zur Klärung noch offener Rentenfragen die aktuellen Zahlen der Bundesregierung zum Härtefallfonds.
Nach MDR-Anfrage bekamen – Stand 13.12.2023 – bei bisher 2.435 bearbeiteten Anträgen, die auf Fälle der Ost-West-Renten-Überleitung entfallen, gerade 335 Betroffene eine Anerkennung und damit die erhoffte Einmalzahlung von 2.500 Euro. Das entspricht einer Anerkennungsquote von 13,76%. Nimmt man die Gesamtzahl aller bisherigen Bewilligen von 9.288, also einschließlich der Bewilligungen für jüdische Zuwanderer und für Spätaussiedler, so liegt die Anerkennungsquote für Ostrentner sogar bei nur 3,6%.
Kritik übt deshalb der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann von der Partei der Linken: "Dass inzwischen über 86 Prozent der Härtefall-Anträge von Ostrentnern abgelehnt wurden, führt den gesamten Fonds ad absurdum. Diese hohe Ablehnungsquote ist eine schallende Ohrfeige für die Lebensleistung der Ostdeutschen insgesamt."
Höhere Quote bei jüdischen Zuwanderern
Überaus erfolgreich sind Anträge jüdischer Zuwanderer, zumeist aus Russland und Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, deren Erfolgsquote bei 82,29% liegt. Hier bekommen also vier von fünf Antragstellern die Einmalzahlung, während es bei den ostdeutschen Rentnern nur jeder Sechste ist. Warum das so ist und warum eine Neiddebatte völlig fehl am Platz ist, erklären wir später.
Nur wenig höher als bei den Ostrentnern ist die Bewilligungsquote bei den sogenannten Spätaussiedlern, also Deutschen, die nach der Wende aus ehemaligen Ostblockstaaten, insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen. Diese beträgt 14,7%.
Ost-West | jüdische Zuwanderer | Spätaussiedler | |
---|---|---|---|
Anträge | 20.000 | 52.000 | 89.000 |
Anteil | 12,42% | 32,3% | 55,28% |
Bearbeitet | 2.435 | 7.703 | 17.773 |
Ost-West | jüdische Zuwanderer | Spätaussiedler | |
---|---|---|---|
Anteil | 3,6% (33 Anträge) | 68,25% (6.339 Anträge) | 28.14% (2.614 Anträge) |
% innerhalb der Gruppe | 13,76% | 82,29% | 14,7% |
Gesamt | Ost-West | jüdische Zuwanderer | Spätaussiedler |
---|---|---|---|
18.623 | 2.100 | 1.364 | 15.159 |
Was ist der Härtefallfonds genau?
Seit über 30 Jahren kämpfen insgesamt 17 Berufs- und Personengruppen der ehemaligen DDR um die Anerkennung von Rentenansprüche, die ihnen infolge der Ost-West-Rentenüberleitung nach der Wiedervereinigung nicht oder nur unvollständig gewährt werden. Dazu zählen z.B. ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn, der DDR-Post, Krankenschwestern, Balletttänzerinnen, Mitarbeiter der Braunkohleveredelung oder in der DDR geschiedene Frauen.
Das Problem entstand, weil die in der DDR erworbenen Rentenansprüche zwar laut Einigungsvertrag garantiert wurden, die Umsetzung dieser Vorgabe im dafür vorgesehen Rentenüberleitungsgesetz von 1991 nicht in jedem Fall passgenau erfolgte. Dafür waren die Rentensysteme der DDR und der alten Bundesrepublik zu unterschiedlich.
So blieben zahlreiche Rentenansprüche, zumeist Zusatzrenten, unberücksichtigt, wogegen sich die Betroffenen zur Wehr setzten. Die Sozialgerichte entschieden zumeist gegen die Betroffenen. Die Politik erkannte nach langen Protesten der Betroffenen schließlich Handlungsbedarf. So schrieb sich die letzte Merkel-Regierung 2017 die Schaffung eines Härtefallfonds in den Koalitionsvertrag, der die letzten noch offenen Fragen der Ost-West-Rentenüberleitung durch Einmalzahlungen endgültig klären und den Ärger der Betroffenen befrieden sollte.
Runder Tisch kämpft für Betroffene
Wie dieser Härtefallfonds gestaltet werden sollte, darüber gab es zwischen Regierung und den Betroffenen großen Dissens. Letztere bildeten einen sogenannten Runden Tisch und begannen mit dem für Renten zuständigen SPD-geführten Bundesministerium für Arbeit und Soziales um die Höhe der Einmalzahlungen zu verhandeln. Die Vertreter der DDR-Berufsgruppen forderten, dass möglichst alle Betroffenen Einmalzahlungen erhalten. Summen von bis zu 20.000 Euro pro Person standen zwischenzeitlich im Raum und machten den Betroffenen große Hoffnungen. Dafür wären jedoch bis zu acht Milliarden Euro nötig geworden – zu viel für den Bund.
Parallel führte der Bund auch Gespräche zum Beispiel mit dem Zentralrat der Juden. Neben Ostrentnern und sogenannten Spätaussiedlern sollten auch jüdische Zuwanderer vom Härtefallfonds profitieren. Die Vertreter des Zentralrates forderten einen fünfstelligen Betrag, also mindestens 10.000 Euro.
Die Bundesregierung bestand dabei stets auf die schon im Koalitionsvertrag vereinbarte Bindung an die Grundsicherung, das heißt, nur Betroffene, die bedürftig sind und eine Rente "nahe der Grundsicherung" beziehen, sollten vom Härtefallfonds profitieren.
Minimallösung und verschiedene Beteiligungen der Länder
Letztendlich kam es zu einer Minimallösung. Zunächst stellte die Regierung Merkel 2021 kurz vor ihrer Abwahl für den Härtefallfonds eine Milliarde Euro in den Haushalt des Jahres 2022 ein. Diese eine Milliarde Euro galt aber nur für den Fall, dass die Bundesländer ebenfalls eine Milliarde Euro beisteuern, womit der Härtefallfonds mit zwei Milliarden Euro ausgestattet gewesen wäre. Das lehnten die Bundesländer jedoch ab.
Nach der Wahl und der Bildung der Ampelkoalition wurden aus einer Milliarde Euro nur noch 500 Millionen Euro. Die Bundesländer wurden aufgefordert, ihrerseits 500 Millionen Euro beizusteuern. Auch das lehnten die meisten Bundesländer ab. Nur die Länder Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Berlin und Hamburg sind dem Fonds beigetreten. Das hat zur Folge, dass die Einmalzahlungen in diesen Ländern 5.000 Euro betragen, während Betroffene im restlichen Deutschland 2.500 Euro bekommen.
Hohe Hürden für Ostrentner
Warum bekommen so wenige Ostrentner Geld aus dem Härtefallfonds? Das liegt vor allem an den strengen Zugangskriterien für den Fonds.
So kommen für eine Einmalzahlung nur Rentner in Frage, die nicht mehr als 830 Euro Rente im Monat beziehen. Bei den meisten Betroffenen geht es aber um Zusatzrentenansprüche, wie z.B. bei Mitarbeitern der ehemaligen Reichsbahn.
"Die Ursache liegt in den viel zu harten Kriterien. Diese entmutigen die Menschen, überhaupt einen Antrag zu stellen. Und wer doch die Formulare ausfüllt, wird in der Regel abgelehnt. Zum Beispiel ist die Rentenobergrenze von 830 Euro völlig weltfremd. Die Kriterien müssen gelockert werden", sagt Sören Pellmann, Bundestagsabgeordneter der Linken.
Kritik kommt auch von Petra Köpping, SPD, die für Soziales zuständige sächsische Staatsministerin. Sie hatte sich während der Verhandlungen zum Härtefallfonds für einen leichteren Zugang zu Leistungen eingesetzt. "Letztlich ist jedoch festzustellen, dass nach dem Beschluss der Bundesregierung und der erfolgten Errichtung der Stiftung Härtefallfonds in dieser Legislatur auf Bundesebene kein Verhandlungsspielraum mehr gegeben sein wird, so die Politikerin. Auch deswegen sei die Ministerin mit der Regelung der Bundesregierung zum Härtefallfonds nicht zufrieden.
Zahl der Anträge unter den Erwartungen
Die hohen Hürden beim Härtefallfonds führen offenbar insgesamt zu einer viel geringeren Zahl von Anträgen als erwartet. Angesichts der strengen Zugangskriterien verzichten viele Betroffene einen Antrag zu stellen, ganz einfach, weil die Erfolgsaussichten so gering sind. So haben bislang gerade 20.000 ostdeutsche Rentner einen Antrag gestellt. Der Runde Tisch der Berufs- und Personengruppen ging bei den Verhandlungen von 500.000 Betroffenen aus, eine Zahl, die möglicherweise etwas zu hoch sein mag, schreitet doch die "biologische Lösung", wie viele Betroffene sagen, voran. Im Klartext: Die Leute sterben ganz einfach weg.
Die geringe Resonanz scheint auch die Politik zu überraschen. So schreibt uns ein Sprecher des Bundesbeauftragten für Ostdeutschland auf MDR-Anfrage: "Die Zahlen zeigen, dass der Kreis der potentiell Zuwendungsberechtigten noch nicht den ursprünglichen Erwartungen entsprechend erreicht wurde. Eine Maßnahme war deshalb, Anfang September 2023 noch mal gezielt mit Informationsschreiben an Sozial- und Wohlfahrtsverbände für den Härtefall-Fonds zu werben, mit Erfolg. Die Zahlen der Neuanträge sind weiterhin hoch. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung beschlossen, den Ablauf der Antragsfrist einmalig auf den 31. Januar 2024 zu verlängern.
Hinzu käme, so der Sprecher, dass sich mit dem Land Berlin erst im September ein weiteres Bundesland entschlossen hat, dem Härtefallfonds beizutreten. Auch durch diesen Schritt sei eine zusätzliche Bewerbung für die Möglichkeit der Antragstellung zu erwarten.
Hohe Bewilligungsrate bei jüdischen Zuwanderern
Äußerst erfolgreich sind Härtefallfonds-Anträge für jüdische Zuwanderer. Hier ist die Zahl der Anträge mit 52.000 mehr als doppelt so hoch wie bei den ostdeutschen Antragstellern. Von bisher 7.703 bearbeiteten Fällen aus dieser Gruppe wurden 6.339 bewilligt, das ergibt eine Quote von 82,29%. Das heißt, vier von fünf Antragstellern bekamen die Zusage für eine Einmalzahlung.
Eine Neiddebatte ist in diesem Fall jedoch unangebracht. Die hohe Bewilligungszahl ist nicht Folge einer möglichen Bevorzugung jüdischer Zuwanderer, sondern liegt im Rentenrecht begründet. In diesem Fall versteht man unter jüdischen Zuwanderern sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge. Die letzte DDR-Regierung ermöglichte jüdischen Menschen aus ehemaligen Sowjetrepubliken die Übersiedlung nach Deutschland – als Zeichen der Wiedergutmachung für die Verbrechen des Naziregimes und auch, um jüdisches Leben in Deutschland wieder zu fördern. Rund 219.000 Menschen kamen bis 2005 als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland.
Um Gelder aus dem Härtefallfonds zu bekommen, müssen jüdische Zuwanderer vor dem 1. April 2012 mindestens 40 Jahre alt gewesen sein und sie müssen heute eine Rente von unter 830 Euro beziehen. Das ist sehr oft der Fall. Denn für die Gruppe der jüdischen Zuwanderer gibt es eine rentenrechtliche Besonderheit: Anders als bei ostdeutschen Rentnern oder Spätaussiedlern (deutschstämmige Bürger aus Osteuropa, meist ehemaligen Sowjetrepubliken) bekommen jüdische Zuwanderer für ihr Berufsleben vor der Übersiedlung keine Rentenansprüche in Deutschland anerkannt. Ihre Rentenbiografie beginnt also erst mit der Übersiedlung nach Deutschland. Ab diesem Zeitpunkt konnten diese Menschen nur selten eine Rente von über 830 Euro erwirtschaften, so dass sehr viele jüdische Zuwanderer heute eine Sozialrente (Grundsicherung) erhalten.
Dies bestätigt auch die sächsische Sozialministerin Petra Köpping: "Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auf die Stiftungsleistung erscheint für die Personengruppe der jüdischen Kontingentflüchtlinge, die im Ergebnis aufgrund der bestehenden Rechtslage die geringsten Rentenanwartschaften erwerben konnte, insgesamt wahrscheinlicher zu sein."
Für den Zentralrat der Juden in Deutschland gibt es noch einen weiteren möglichen Grund für die hohe Bewilligungsquote. So schreibt Sprecher Benjamin Stern: "Die Anträge jüdischer Zuwanderer werden in den allermeisten Fällen über die jüdischen Gemeinden gestellt. Hierbei erhalten Antragsteller auch Unterstützung in ihrer Muttersprache, was den Prozess vereinfacht. Überdies sind die Angestellten der Gemeinden bei der Antragstellung geschult. Somit werden unvollständige oder wenig erfolgversprechende Anträge gar nicht erst eingereicht, was die Quote der bewilligten Anträge erhöht."
Anträge noch bis 31. Januar 2024 möglich
Noch ist es möglich, Anträge für Zahlungen aus dem Härtefallfonds zu stellen. Die Antragsfrist läuft am 31. Januar 2024 ab. Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung (SPD) erwartet, dass bis dahin noch zahlreiche Anträge eingehen: "Es ist ein gutes Zeichen, dass sich zuletzt die Dynamik der Antragstellung für den Härtefallfonds erhöht hat. Die gezielte Informationskampagne zu den Leistungen lohnt sich und die Fristverlängerung stellt hoffentlich sicher, dass alle potentiell Berechtigten rechtzeitig ihren Antrag auf Leistungen der Stiftung stellen. Angesichts der Zeit, die es gedauert hat, den Härtefallfonds auf den Weg zu bringen, sollte es jetzt das gemeinsame Ziel sein, möglichst vielen Betroffenen zu helfen."
Angesichts der Zeit, die es gedauert hat, den Härtefallfonds auf den Weg zu bringen, sollte es jetzt das gemeinsame Ziel sein, möglichst vielen Betroffenen zu helfen.
Die betroffenen Ostrentner, die bisher vom Runden Tisch Rentengerechtigkeit vertreten wurden, wollen sich mit dem Ergebnis nicht zufriedengeben. Sie wollen weiterkämpfen, haben dazu einen Verein gegründet und fordern einen Gerechtigkeitsfonds, der Zahlungen für alle Betroffenen ermöglicht. Initiator und Vereinsvorsitzende Dietmar Polster fordert, dass dafür die strengen Zugangskriterien zum Härtefallfonds abgeschafft werden müssen. "Das wäre ein erster Schritt", so Polster, "und dann muss man über das Geld reden". Acht Milliarden Euro könnten die Forderungen der Ostrentner kosten. Ob die Umsetzung angesichts der desaströsen Haushaltslage des Bundes realistisch erscheint, spielt für Polster dabei keine Rolle und er meint: "Die Hoffnung stirbt zuletzt."
Auch Linkenpolitiker Sören Pellmann unterstützt die Idee und fordert, den Härtefallfonds für alle Betroffenen zu öffnen: "Dass bisher nur 335 Anträge bewilligt wurden und damit Ostrentner am schlechtesten abschneiden, ist skandalös. Auch beim Härtefallfonds werden die Ostdeutschen benachteiligt."
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 26. November 2023 | 18:00 Uhr