DDR-Zusatzrenten "Es geht um Gerechtigkeit nach 30 Jahren Deutsche Einheit."
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21. Juni 2021, 12:04 Uhr
Im Zuge des Corona-Konjunkturpakets haben sich Bund und Länder auf eine Neuverteilung der finanziellen Lasten von Zusatzrenten aus DDR-Zeiten geeinigt. 17 Berufs- und Personengruppen warten dagegen weiter auf eine Anerkennung ihrer DDR-Zusatzrenten, die 1992 einfach gestrichen wurden. Denn im Gegensatz zu Ingenieuren, Lehrern oder ehemaligen NVA-Mitarbeitern, bekommen BalletttänzerInnen, Eisenbahner und andere Gruppen ihre DDR-Zusatzrenten bis heute nicht ausgezahlt.
Den ostdeutschen Rentnern bei der Politik Gehör verschaffen - das hat sich der ehemalige Reichsbahner Dietmar Polster zur Aufgabe gemacht. DDR Zusatzrenten sind Lebensleistung und die müssen endlich anerkannt werden. "Es gibt nach wie vor Rentenungerechtigkeit für insgesamt 17 Berufs- und Personengruppen. Es geht bei den Reichsbahnern los, über die Krankenschwestern, über die Postler, über die Bergleute in Espenhain bis hin zu den geschiedenen Frauen in der DDR", so Dietmar Polster, Sprecher der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft Sachsen.
Sonderzulagen für harte Arbeit
Dietmar Polster arbeitet mehr als 40 Jahre bei der Bahn - unter anderem als Fahrdienstleiter. Reichsbahner wie er gehören dem öffentlichen Dienst an. In diesen Berufen verdient man meist deutlich weniger, als in den Kombinaten der Volkswirtschaft. Zum Ausgleich gibt es eine höhere Rente in Form von Sonderzulagen. Zum Beispiel: Menschen, die harte Arbeit in der Kohle leisten oder BalletttänzerInnen können über Erschwerniszuschlag ihre Rente aufstocken.
Dietmar Polster geht 2014 in den Ruhestand, die hart erarbeitete Sonderzulage bekommt er nicht. Und beginnt dagegen zu kämpfen. "Das bedeutet einfach, ich habe 150 bis 200 Euro weniger in meinem Portemonnaie pro Monat und das seit 2014 und es gibt viele Eisenbahner für die ich mitkämpfe, die schon vor zehn oder 15 Jahren in Rente gegangen sind, für die sind das richtige Summen", erklärt Polster.
Kein Geld für in der DDR geschiedene Frauen
Ähnlich benachteiligt ist auch Margit Wolf. Die 78-jährige Leipzigerin wird in der DDR geschieden. Anders als Frauen in Westdeutschland, erhält sie damals keine Rentenpunkte ihres Mannes als Versorgungsausgleich. Das ändert sich auch mit der Wiedervereinigung nicht. Margit Wolf studiert noch, als ihre Tochter geboren wird. Sie bricht das Studium ab.
"Meine Tochter war immer krank, jeden Monat musste ich sie aus dem Kindergarten holen. Und da habe ich mir gesagt, ich höre auf zu arbeiten und betreue sie lieber selbst. Und als ich merkte, dass es mit der Ehe doch nicht so weiter ging, habe ich mir einen Beruf gesucht und habe mich dann scheiden lassen", so Wolf. Die junge Mutter bringt es bis zur Direktorin im Verpackungsmittelwerk Leipzig. Denn sie hatte ihre Abschlüsse Stück für Stück nachgeholt. Doch 1992 wird das Werk geschlossen. Margit Wolf kann - und so geht es vielen Frauen dieser Generation - nie wieder richtig Fuß fassen auf dem Arbeitsmarkt. Sie erlebt einen Bruch der Karriere und auch eine Schlechterstellung bei der Rente. Zwei Millionen Menschen, die sich in der DDR eine Zusatzrente erarbeitet haben, geht es zur Wende ähnlich.
Anpassung an BRD-Rentensystem
Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wird das DDR-Rentenrecht mit den 27 Zusatzversorgungssystemen in bundesdeutsches Recht überführt. In diesem Zuge verkündete Regierungssprecher Matthias Gehler 1990 in einer Pressekonferenz:
Löhne, Gehälter, Stipendien, Mieten, Pachten und Renten, sowie andere wiederkehrende Versorgungszahlungen zum Beispiel Unterhaltszahlungen werden im Verhältnis 1 zu 1 umgestellt. [...] Das Rentensystem in der DDR wird dem Rentensystem in der BRD angepasst.
Das so genannte Rentenüberleitungsgesetz sieht eine Stichtagsregelung vor. Das bedeutet, Ansprüche aus den Zusatzversorgungssystemen werden nach einer kurzen Übergangsfrist gestrichen. Eine Klagewelle überzieht die Gerichte ab Mitte der 90er-Jahre. Für einige Berufszweige wird eine Fristverlängerung erwirkt.
Mammutprozess in Karlsruhe
Bergleute etwa, die ihr Leben lang unter Tage geschuftet haben, sollen ihre Sonderzulagen bis Renteneintritt 1996 bekommen. 1998 beginnt am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Mammutprozess. Es liegen mehr als einhundert Streitfälle auf dem Tisch. DDR- Eliten wie Ärzte und Lehrer, denen die Renten gekappt wurden, fühlen sich um ihre Lebensleistung betrogen.
Einer davon ist Moritz Mebel, ehemaliger Professor an der Charité in Berlin, der 1967 die erste erfolgreiche Nierentransplantation in der DDR durchführte. Nach einer der Verhandlungen in Karlsruhe sagte er 1998 in einem Fernsehinterview: "Ich vermag nicht verstehen, warum im vereinten Deutschland ich auf einmal, und ich sage es pointiert, ein Bürger zweiter Klasse sein soll. Wo ist hier die Gleichberechtigung der Bürger in Deutschland für ihre Lebensleistung?"
Auch BalletttänzerInnen kämpfen
Nach Karlsruhe folgen viele weitere Klagen - bis hin zum Europäischen Gerichtshof. 30 Jahre kämpfen die Betroffenen inzwischen - so auch die Balletttänzerinnen Hadmut Fritsche und Monika Ehrhardt-Lakomy. Auch dieser Berufsgruppe steht die Zusatzversorgung zu. "Mehr als 15 Jahre, maximal 20 Jahre, konnte und kann man in diesem Beruf nicht arbeiten", so Ehrhardt-Lakomy. Die Zusatzzahlungen im Rentenalter waren für unsere Berufsgruppe notwendig - und im Übergangsvertrag stand das auch noch drin. Doch nach 1991 sind wir unter dem Punkt 'ungerechtfertigte Leistungen' gefallen - warum, kann ich nicht erklären."
Im Laufe der vielen Verhandlungsjahre wird eines immer wieder hervorgehoben: Zwar haben die betroffenen Berufsgruppen ihre Beiträge eingezahlt, aber die Sozialkassen der DDR sind im Zuge der Einheit eingegliedert worden. Auch die Karlsruher Richter bestätigen im Wesentlichen die bereits bestehenden Gesetze. Das die Zusatzrenten damit gekippt werden steht für Dietmar Polster im Widerspruch zum Grundgesetz, das besagt, dass Eigentumsansprüche aus eigener Arbeit geschützt sind. Er setzt sich, wie auch Fritsche und Erhard-Lakomy, für eine politische Lösung ein.
"Eine goldene Brücke" als Lösung
"Der Kern der Problematik ist, dass wir die Rentengerechtigkeitslücke schließen wollen über die Gerichtsbarkeit im Moment nicht möglich, aus diesem Grund eine politische Entscheidung herbei führen möchten gemeinsam mit dem Bundestag. Die politische Lösung kann über eine Abfindungsregelung laufen, so dass wir die Lebensleistungen der Betroffenen anerkennen können", so Polster. Und auch die Tänzerinnen meinen: "Wir haben uns für eine Befriedung entschieden. Eine goldene Brücke. Jetzt muss dieser Vorschlag nur noch angenommen werden. Und der lautet: Pro Nase 25.000 Euro. Das klingt viel. Ist es aber nicht im Verhältnis zu dem, was wir hätten bekommen müssen. Es geht um Gerechtigkeit nach 30 Jahren Deutsche Einheit."
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR Zeitreise | Reizthema Rente - damals und heute | 20. Oktober 2019 | 22:20 Uhr