Grundgesetz
1949 hob das Grundgesetz als rechtliche Grundlage die westdeutsche BRD aus der Taufe. Bildrechte: imago/Schöning

75 Jahre Grundgesetz Ramelow will Volksabstimmung über Grundgesetz als Verfassung

23. Mai 2024, 06:00 Uhr

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat gefordert, das Grundgesetz per Volksabstimmung in Verfassung umzubenennen. Er hofft, dass dadurch das Regelwerk zusätzlich legitimiert werden würde. Aus den anderen Parteien kommt Kritik an dem Vorstoß.

Anlässlich des 75. Jahrestags der Grundgesetz-Verkündung hat Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) vorgeschlagen, das Regelwerk per Volksabstimmung endgültig in "Verfassung" umzubenennen. Ein solcher Schritt würde in Ostdeutschland eine "emotionale Fremdheit" gegenüber dem Grundgesetz überwinden helfen, erklärte er in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Anmerkung der Redaktion In einem Kommentar unter diesem Artikel hat Bodo Ramelow die Gründe für seinen Vorschlag noch einmal konkretisiert. Es geht gewissermaßen darum, Artikel 146 einzulösen und das Grundgesetz durch eine Volksabstimmung als gesamtdeutsche Verfassung zu legitimieren. In Artikel 146 des Grundgesetzes heißt es: "Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

Hintergrund ist, dass das Grundgesetz nach dem Zweiten Weltkrieg die rechtliche Grundlage der Bundesrepublik darstellte und damit seinen Ursprung in der Gründung des westdeutschen Teilstaates hat. Damals erhielt das Regelwerk nicht den bedeutsamen Titel "Verfassung" sondern wurde lediglich "Grundgesetz" genannt, um die deutsche Teilung nicht zu vertiefen und ihren vorübergehenden Zustand zu betonen, wie die Bundesregierung erklärt.

Volksabstimmung soll Grundgesetz zusätzlich legitimieren

Ramelow wies nun darauf hin, dass in Artikel 146 bereits vorgesehen ist, dass das Grundgesetz eines Tages von einer Verfassung abgelöst wird. Demnach ist die Gültigkeit des Grundgesetzes auf den Tag befristet, "an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist".

Der Thüringer Ministerpräsident sagte, eine Volksabstimmung sei auch nötig, weil es viele Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger "und andere Schwurbler" gebe, die alle aus Artikel 146 herleiteten, dass es die Bundesrepublik nicht gebe. Eine Volksabstimmung zugunsten einer Verfassung und damit dem deutschen Staat mache laut Ramelow klar, "dass all die Schreihälse nur eine radikale Minderheit sind". Größere inhaltliche Änderungen am Grundgesetz wünsche er sich nicht. 

Ramelow nannte es richtig, dass 1990 die Wiedervereinigung durch einen raschen Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik vollzogen und nicht erst die Erarbeitung einer gemeinsamen Verfassung abgewartet wurde.

Michael Brenner, Professor für deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 21 min
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Andere Parteien halten Vorschlag für unvollständig oder unnötig

Bundesjustizminister Marco Buschmann äußerte sich zurückhaltend, den Artikel 146 aus dem Grundgesetz zu streichen, der 1949 den vorläufigen Charakter der Verfassung für Westdeutschland angesichts der deutschen Teilung festgeschrieben hatte. Die Debatte darüber sei "ein wenig theoretisch". "Wir sollten mit dem Grundgesetz weiterarbeiten. Es ist faktisch seit der Wiedervereinigung unsere gemeinsame und gelebte Verfassung", sagte der Justizminister.

Dr. Reiner Haseloff und Dr. Dietmar Woidke
Dr. Reiner Haseloff und Dr. Dietmar Woidke sind gegen Volksabstimmung über Grundgesetz. Bildrechte: IMAGO / Rainer Weisflog

Die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Dietmar Woidke (SPD) und Reiner Haseloff (CDU), lehnten eine entsprechende Volksabstimmung ab. Es gebe weiterhin bestehende Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West, die endlich abgebaut werden müssten, sagte Woidke dem "Stern". Von Volksabstimmungen zum Artikel 146 Grundgesetz habe aber kein einziger Ostdeutscher etwas.

Haseloff erklärte, 75 Jahre nach seiner Verkündung sollte es nicht darum gehen, über das Grundgesetz abzustimmen, sondern vielmehr es weiter mit Leben zu füllen, es zu achten und zu bewahren. Beide Ministerpräsidenten positionierten sich damit gegen einen Vorstoß Ramelows.

Unter Thüringer Koalitions- wie Oppositionsparteien der Linken findet der Vorstoß des Ministerpräsidenten nur wenig Anklang. CDU-Landeschef Mario Voigt sagte, eine Verfassungsdebatte lenke von den eigentlichen Problemen ab. Ähnlich sieht das FDP-Landeschef Thomas Kemmerich. Das Grundgesetz sei bewährt, flexibel und modern - und eine Abstimmung nicht notwendig. Thüringens AfD-Sprecher Torben Braga wollte den Vorschlag nicht kommentieren.

Dorothea Marx vom Koalitionspartner SPD sagte, eine Abstimmung nur über den Verfassungs-Titel ohne inhaltliche Modernisierung schaffe wenig Mehrwert. Die Thüringer Grünen-Spitzenkandidatin Madeleine Henfling findet, Ramelows Vorstoß stärke nur die Kritiker des Grundgesetzes.

Juristisch umsetzbar soll der Vorschlag laut Staatsrechtler Prof. Dr. Hubertus Gersdorf von der Uni Leipzig jedoch sein. Er begrüßte den Wunsch, das Grundgesetz per Volksabstimmung zusätzlich zu stärken. Es sei eine "exzellente Verfassung", so der Wissenschaftler.

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MDR (ls,ost,das)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Abend | 23. Mai 2024 | 22:00 Uhr

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