Revision BGH-Urteil im Fall "Lina E." erwartet
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19. März 2025, 06:54 Uhr
Das Verfahren gegen Lina E. war der aufsehenerregendste Prozess gegen die linksradikale Szene seit langer Zeit. Das Urteil wurde am Oberlandesgericht Dresden nach fast 100 Verhandlungstagen gesprochen – sowohl Verteidigung als auch Anklage legten danach Revision ein.
- Die Leipziger Studentin Lina E. war wegen Angriffen auf Rechtsextreme zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt worden.
- Die Bundesanwaltschaft legte Revision ein, weil sie die strafmildernden Umstände, die das Gericht hat gelten lassen, nicht anerkennt.
- Die Verteidigung führt ins Feld, dass der Nachweis über die Beteiligung der Studentin an einem konkreten Angriff nicht hinreichend belegt werden konnte.
Am Mittwoch entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) über die Revision im Fall der Leipziger Studentin "Lina E.". Nachdem das Oberlandesgericht (OLG) Dresden Lina E. und drei Männer Ende Mai 2023 wegen Mitgliedschaft in beziehungsweise der Unterstützung einer linksextremen kriminellen Vereinigung schuldig gesprochen hatte, gingen die Verteidigung und der Generalbundesanwalt gegen das Urteil am Bundesgerichtshof in Revision.
Mündliche Verhandlung bereits im Februar
Die Verhandlung darüber fand Anfang Februar in Karlsruhe statt. Dabei wurden zwischen den Parteien vor allem konkrete Rechtsfragen erörtert und die entsprechenden rechtlichen Standpunkte ausgetauscht. Zeugen wurden nicht gehört. Auch eine erneute Beweisaufnahme fand nicht statt. Mit dem Urteil besteht nach gut vier Jahren die Chance, dass das Verfahren mit einem höchstrichterlichen Urteil beendet wird.
Das ursprüngliche Verfahren am OLG Dresden war mit einer Laufzeit von rund anderthalb Jahren und 98 Verhandlungstagen das größte Verfahren gegen die linksradikale Szene der jüngeren Vergangenheit. Der Staatsschutzsenat des Dresdner Gerichts gelangte dabei zu der Überzeugung, dass die vier Verurteilten über einen Zeitraum von mehreren Jahren gezielt Angriffe auf Rechtsextremisten in Sachsen und Thüringen geplant und durchgeführt hatten.
Fünf Jahre und drei Monate für Lina E.
Lina E. wurde zusätzlich wegen Körperverletzung verurteilt und erhielt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Zu ihren Gunsten wertete der Staatsschutzsenat damals die Haftbedingungen, da die Frau während der Untersuchungshaft an Rheuma erkrankt war.
Strafmildernd wurde außerdem die "identifizierende Berichterstattung" einiger Medien gegen die Angeklagte gewertet. Beispielsweise veröffentlichte das rechtsextreme "Compact"-Magazin noch vor Prozessbeginn Fotos und biografische Details der Angeklagten, die sie aus Sicht des Gerichts auch zukünftig einer erheblichen Gefahr von Vergeltungsangriffen aus der rechtsextremen Szene aussetzen. Am Ende setzte das OLG den Haftbefehl gegen die Leipziger Studentin auch aus diesen Gründen außer Vollzug.
Bundesanwaltschaft moniert strafmildernde Umstände
Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Revisionsantrag diverse Punkte hervorgehoben. Vor allem die für die strafmindernden Umstände genannte "identifizierende Berichterstattung" sah sie als nicht deutlich genug charakterisiert und beanstandete diese im OLG-Urteil. Es sei laut Bundesanwalt Matthias Krauß nicht klar, wie heftig die Auswirkungen dieser Berichterstattung gewesen seien. "Die Details sind völlig unklar geblieben" erklärte er nach der Sitzung der Presse.
Außerdem hatte die Bundesanwaltschaft ursprünglich moniert, dass Lina E. vom OLG nicht als Rädelsführerin der kriminellen Vereinigung bestraft worden war. Eine "herausgehobene Stellung" attestiert sie ihr weiterhin. Bundesanwalt Matthias Krauß rückte in der Verhandlung am BGH aber davon ab, eine nicht erfolgte Verurteilung gegen Lina E. wegen Rädelsführerschaft zu beanstanden, offenbar, weil die Behörde nicht genug über die Binnenstruktur der Gruppe weiß.
Verteidigung bezweifelt Beteiligung an konkretem Angriff
Die Verteidigung hob mit ihrer Revision vor allem auf die Verurteilung im Fall eines Angriffs auf einen Kanalarbeiter ab, der im Januar 2018 in Connewitz angegriffen wurde, weil er eine Mütze der rechtsextremen Kleidungsmarke "Greifvogel Wear" trug. Die Verteidigung ist überzeugt, dass die Beweisaufnahme in diesem Fall fehlerhaft war, da zwar immer davon gesprochen wurde, dass sich "eine Frau" an diesem Überfall beteiligt habe, jedoch keine hinreichenden Beweise geliefert worden sind, dass es sich dabei um Lina E. handelte.
Dieser Punkt dürfte besondere Beachtung finden. In den letzten Monaten haben sich mehrere Frauen aus der linken Szene selbst gestellt oder müssen sich mittlerweile vor Gericht wegen gezielter Angriffe auf Rechtsextremisten am Rand des "Tag der Ehre" im Februar 2023 in Budapest verantworten. Frauen, die die Bundesanwaltschaft der vom OLG Dresden verurteilten kriminellen Vereinigung um Lina E. zuordnet.
Bei erfolgreicher Revision wäre wieder OLG Dresden am Zug
Sollte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil das Verfahren aufgrund von festgestellten Rechtsfehlern tatsächlich an das Oberlandesgericht in Dresden zurückverweisen, wird sich ein neuer Senat mit den offenen Punkten beschäftigen. Das teilte Meike Schaaf, Sprecherin des OLG Dresden, dem MDR auf Nachfrage mit. Wie sich der folgende Ablauf gestalten würde, darüber könne jedoch noch nichts gesagt werden. Schaaf: "Über eine Terminierung entscheidet, wenn es notwendig ist, der dann zuständige Senat."
MDR
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 19. März 2025 | 06:11 Uhr