Analyse Ampel legalisiert Cannabis - als Modellprojekt

16. April 2023, 12:30 Uhr

Die beschränkte Freigabe von Cannabis ist zum Greifen nah. Richtig und überfällig, findet MDR-Korrespondent Torben Lehning. Doch er befüchtet, die Ampel könnte mit ihrem Kompromiss am Anspruch scheitern, das Kiffen wirklich zu entkriminalisieren.

Viele Cannabis-Konsumentinnen und -Konsumenten hatten sich schon gefragt, ob sie diesen Tag jemals erleben würden, doch jetzt ist es soweit. Weißer Rauch steigt auf über dem Regierungsviertel – die beschränkte Freigabe von Cannabis ist zum Greifen nah.

Für mich ist das eine richtige und längst überfällige Entscheidung. Doch die Ampel könnte an ihrem Anspruch scheitern, Cannabiskonsum zu entkriminalisieren und damit den Schwarzmarkt trockenzulegen, um Kinder und Jugendliche sowie erwachsene Konsumentinnen und Konsumenten besser zu schützen.

Die polarisierte Debatte

Es gibt kaum eine Debatte, die so polarisiert geführt wird, wie jene über die Legalisierung von Cannabis, auch bekannt als Marihuana, Bubatz, Gras oder Haschisch. Die einen verteidigen es als ungefährlich und unbedenklich – die anderen warnen vor gesundheitlichen Schäden und warnen vor einem Dammbruch in der Drogenpolitik. Beide Seiten haben ihre Argumente, die Wahrheit liegt wohl in der Mitte.

Die Ampel schafft nun Fakten und will noch in diesem Jahr ein Gesetz beschließen, dass den Konsum und den Besitz von Marihuana entkriminalisiert und beschränkt legalisieren soll. Das ist auch dringend nötig, denn die bisherige Drogenpolitik ist krachend gescheitert. Es wird Zeit für neue Ansätze der Drogenregulierung, -Prävention und -Bekämpfung und für die gibt es viele gute Gründe.

Nüchtern betrachtet ist Alkohol schädlicher als Cannabis

Laut Bundesregierung konsumierten knapp neun Prozent der Deutschen in den vergangenen 12 Monaten mindestens einmal Cannabis. Das sind konservativ geschätzt 4,5 Millionen Menschen, die trotz illegalen Cannabis-Erwerbs, Gras illegal erwerben und konsumieren.

Cannabis kann den Atemwegen schaden. Nach erwiesenen organischen Schäden, die Todesfälle zur Folge hatten, sucht man vergebens. Dem gegenüber stehen Analysen, die von jährlich etwa 74.000 Todesfällen in Deutschland durch Alkoholkonsum oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol ausgehen.

Doch Schluss mit dem Fingerzeig auf andere Rauschmittel. Cannabis ist keine Petersilie, sondern eine psychoaktive Droge, die bei missbräuchlichem Gebrauch Folgen haben kann. Auch Cannabis macht süchtig und kann gerade bei Kindern und Jugendlichen nachweislich zu Entwicklungsstörungen und psychischen Erkrankungen führen. Sowohl die Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten steigt, als auch die Zahl derer, die psychische Probleme durch ihren Konsum bekommen.

Was haben die denn geraucht?!

Was haben die denn geraucht?! Eine Frage, die viele Konsumentinnen und Konsumenten nicht beantworten können, weil sie ihr Cannabis im besten Fall beim Dealer ihres Vertrauens – im schlechtesten Fall aber auf der Straße erworben haben. Dort redet man eher wenig über Inhaltsstoffe und Gütesiegel, sondern hofft, nicht gesehen oder abgezogen zu werden.

Darüber hinaus wird das auf dem deutschen Schwarzmarkt angebotene Cannabis immer stärker und somit auch deutlich ungesünder. Die Dealer züchten immer stärkeres Cannabis. Ein immer höherer THC-Gehalt, dazu in manchen Fällen mit einer Beimischung von anderen giftigen Inhaltsstoffen oder anderen chemischen Drogen, machen den Konsum gefährlicher als er sein müsste und sein sollte.

Die Bekämpfung von deutscher Cannabis-Kriminalität erschöpft sich dabei zurzeit leider vor allem darin, Verbraucherinnen und Verbraucher für kleine Mengen, die sich in ihrem Besitz befinden, strafrechtlich zu verfolgen, während die völlig überlastete Polizei eigentlich deutlich dringlichere Aufgaben zu erledigen hätte.

Konsequent hinschauen

Die Devise der Bundesregierung scheint klar: Konsequent hinschauen, anstatt konsequent weggucken und später bestrafen. Die Verbotspolitik der letzten Jahrzehnte hat mehr Probleme geschaffen als gelöst. Ein Umdenken ist also dringend notwendig.

Die jetzt angedachte Straffreiheit für das Mitführen von kleinen Mengen Cannabis, das dürfte vielen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes eine Streichung aus dem Strafregister bescheren – zu recht. Eine entlastete Justiz und eine entlastete Polizei würden es den Gesetzgebern danken.

Die Bundesregierung scheint die wesentlichen Probleme des Cannabis-Konsums erkannt zu haben: Es braucht mehr Aufklärung, keine Tabuisierung und vor allem braucht es mehr Kontrolle beim Anbau und Konsum von Cannabis. Der Anspruch der Bundesregierung: Cannabis vom Dunkelfeld ins Hellfeld zu holen, könnte dennoch scheitern.

Gras drüber wachsen lassen

Die Vorstellung, dass alle Kifferinnen und Kiffer sich jetzt, nur, weil sie es dürfen, drei Pflanzen Cannabis auf ihren Balkon stellen und somit Gras über den Schwarzmarkt wachsen lassen, wird nicht aufgehen. Für viele Menschen stellt schon die Aufzucht eines unverwüstlichen Kaktus ein schier unüberwindliches Hindernis dar. Cannabis ist da deutlich anspruchsvoller. Die meisten Menschen werden auch weiterhin lieber konsumieren als gärtnern. Viele von uns freuen sich über Opas Selbstgebrannten auf der Familienfeier, werden dadurch aber nicht sofort zu Hobby-Destillateuren.

Willkommen im Kiffer-Reformhaus?

Viel realistischer ist da der Erwerb von Gras in den von der Bundesregierung angepeilten Cannabis-Clubs. Diese sollen bis zu 500 Mitglieder haben dürfen. Es soll ihnen gestattet sein, pro Mitglied 50 Gramm im Monat abzugeben. Wie gut das Angebot genutzt wird, dürfte maßgeblich davon abhängen, wie teuer die Vereine ihre Erzeugnisse an die Mitglieder weitergeben können. Sie sollen laut Bundesregierung "nicht gewinnorientiert" sein. Die große Frage ist: Wie soll das funktionieren?

Um Cannabis für Vereinsmitglieder anzubauen, braucht es Anbauflächen, Technik und Beschäftigte. Von der Miete bis zu den Sicherheitsmaßnahmen wird das ein teurer Spaß. Gewinnorientierung hin oder her - das Geld muss durch den Verkauf wieder eingenommen werden.

Es braucht also politische Ideen für günstige Anbau- und Vertriebsbedingungen, sonst wird der Cannabis-Verein weitaus teurer sein als der Schwarzmarkt und somit zu einer Art Kiffer-Reformhaus für Besserverdienende avancieren. Der Großteil von Konsumentinnen und Konsumenten raucht und isst nur gelegentlich Cannabisprodukte und will kein Abo. Der Schwarzmarkt könnte durch sie überleben.

Aus den Fehlern der Niederlande lernen

Wirklich erschwingliche Preise dürften sich vor allem dann einstellen, wenn die regionalen Modellprojekte mit einer kontrollierten Abgabe von Cannabis in Geschäften, erfolgreich verlaufen. Eine wissenschaftliche Evaluierung dieser Modellprojekte – wie sie jetzt angestrebt wird – war aber unumgänglich. Die EU hätte das Gesetz sonst vor seinem Inkrafttreten einkassiert.

Wenn EU und Bundesregierung den Verlauf der Modellprojekte positiv bewerten, könnte das deutsche Modell der beschränkten Legalisierung, deutlich erfolgreicher verlaufen als die Legalisierung in den Niederlanden. Dort ist kiffen in Cannabis-Clubs zwar erlaubt, der Anbau aber läuft über den Schwarzmarkt. Das hat zu enorm guten Einnahmequellen geführt und somit auch den Verkauf von chemischen Drogen in die Höhe schnellen lassen.  

Ernst machen

Wenn die Bundesregierung die Cannabis-Clubs jetzt nicht kaputt reglementiert, den freien Verkauf nach erfolgreichen Modellversuchen ermöglicht und Drogenprävention und Kinder- und Jugendschutz wie angekündigt ernsthaft in den Vordergrund stellt, hat die beschränkte Legalisierung von Cannabis in Deutschland das Potential, ein Erfolgsprojekt zu werden.

Bislang hört und sieht man von konkreten Plänen zur Umsetzung des Kinder- und Jugendschutzes allerdings nur sehr wenig. Nicht nur hier haben die Regierungsfraktionen im Gesetzgebungsprozess noch einiges an Arbeit vor sich. 

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Podcast Kekulés Gesundheits-Kompass 57 min
Bildrechte: MDR/Stephan Flad

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 12. April 2023 | 13:00 Uhr

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