Frau hält ihre Hand abwehren vor Gesicht
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Gewalt gegen Frauen Juristin: "Verurteilung für Mord macht eine getötete Frau nicht wieder lebendig"

06. Dezember 2024, 18:15 Uhr

Fast jeden Tag ein Femizid in Deutschland im Jahr 2023. 52.330 Frauen und Mädchen, die eine Sexualstraftat anzeigten. 25 Prozent mehr weibliche Opfer bei digitaler Gewalt als noch im Vorjahr. Die Zahlen des aktuellen Lagebildes "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten" lösten Betroffenheit aus. Seitdem bewegt sich etwas in der Politik – so hat die Union einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Opferschutzes vorgelegt. Was Expertinnen an dem Entwurf kritisieren.

Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag will den Opferschutz verbessern – insbesondere für Frauen. Dazu hat sie schon im Juli einen Gesetzentwurf im Bundestag vorgebracht, der nun am Mittwoch im Rechtsausschuss mit verschiedenen Expertinnen und Experten diskutiert wurde.

Der Gesetzentwurf konzentriert sich hauptsächlich auf Erhöhungen des Strafmaßes für verschiedene Delikte. Die Union fordert zum Beispiel höhere Mindeststrafen bei Gruppenvergewaltigungen, Stalking und Körperverletzungen mit einem Messer. Außerdem soll es ein neues Mordmerkmal geben: Ein Tötungsdelikt soll als Mord klassifiziert werden können, wenn der Täter dabei seine "körperliche Überlegenheit" ausgenutzt habe.

Was ist Mord?

Von Mord spricht man der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge bei der vorsätzlichen Tötung eines Menschen bei Vorliegen besonderer Mordmerkmale. Das Gesetz (§ 211 StGB) kenne zum einen Merkmale, die in der Person des Täters liegen: Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier und sonstige niedrige Beweggründe. Es gebe aber auch Merkmale, die in der Tatausführung liegen: Heimtücke, Grausamkeit, mit gemeingefährlichen Mitteln, zur Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat.

Opferschutz: Gutes Ziel, höhere Strafen aber falscher Weg

Dass eine Verbesserung und Stärkung des Opferschutzes wichtig und wünschenswert ist, darin waren sich alle im Rechtsausschuss geladenen Sachverständigen einig. Ebenso einig waren sie sich, dass der Vorschlag der Union, insbesondere das vorgeschlagene neue Mordmerkmal, dafür nicht geeignet sei. Wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass hohe Strafen keine präventive Wirkung hätten und Täter nicht davon abhielten, eine Tat zu begehen.

Das betonte auch Holger-C. Rohne, Vorsitzender der Taskforce "Anwalt für Opferrechte" des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und von der FDP benannter Experte. Rohne sagte MDR AKTUELL, Straferhöhungen seien in Bezug auf Opferschutz nur Symbolpolitik. "Die Motivation, eine Tat zu begehen, ist losgelöst von der Vorstellung, wie sich es anfühlen könnte, diese oder jene Strafe ertragen zu müssen", erklärte er. Das sei kriminologisch seit Jahrzehnten erwiesen. Häufig gingen die Täter einfach davon aus, nicht entdeckt zu werden.

Expertinnen: Tatmotiv entscheidend, nicht körperliche Überlegenheit

Rohne verwies auch auf die ungenaue Formulierung des vorgeschlagenen neuen Mordmerkmals, die der Justiz "erhebliche Probleme" bei der Anwendung machen könnte. Es bleibe unklar, ab wann jemand als "körperlich überlegen" gelte. "Ab 51 Prozent stärker? Ab deutlich stärker? Oder ab sehr viel stärker?" Unklar bleibe auch, was passiere, wenn ein Täter nicht sein körperliche Überlegenheit, sondern eine Waffe nutze. "Ist das dann weniger verwerflich und sollte geringer bestraft werden?

Dilken Çelebi und Catharina Conrad vom Deutschen Juristinnenbund kritisierten zudem, dass die Formulierung das Stereotyp der "schwachen Frau" und des "starken Mannes" reproduziere und die wirtschaftliche und strukturelle Dimension geschlechtsspezifischer Gewalt verkenne. Çelebi erklärte: "Nicht die scheinbare körperliche Überlegenheit des Mannes, sondern die Tatmotivation ist entscheidend – dass eine Frau Ziel von Gewalt wird, weil sie eine Frau ist." Sie waren von Bündnis 90/Die Grünen als Expertinnen geladen.

Gerichte bestrafen Femizide oft nicht so hoch, wie sie könnten

Die Expertinnen und Experten hielten sich auch nicht mit Empfehlungen zurück, wie sich der Opferschutz stattdessen verbessern ließe. Einige Expertinnen verwiesen darauf, dass das Strafrecht es bereits ermögliche, hohe Strafen für geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt zu verhängen. Richter und Richterinnen würden aber das bestehende Strafmaß nur selten ausschöpfen.

Dorothea Hecht, Juristin der Frauenhauskoordination und von der SPD als Expertin geladen, sagte MDR AKTUELL: "Es gibt in der Justiz ein mangelndes Bewusstsein für geschlechtsspezifische Gewalt". Sie verwies beispielhaft auf die richterliche Praxis bei Tötungen von Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner. Hier entscheide die Frage, ob er dies aus "niederen Beweggründen" getan hat, darüber, ob die Tat als Mord eingestuft und mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet wird.

Dass niedere Beweggründe vorliegen, wird gerade bei sogenannten Trennungstötungen oft in Frage gestellt. Der Bundesgerichtshof hat etwa entschieden, dass die Tötung nicht als aus niederen Beweggründen heraus zu bewerten ist, wenn "die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt sieht, was er eigentlich nicht verlieren will". Das widerspricht jedoch der Istanbul-Konvention.

Istanbul-Konvention Die Istanbul-Konvention des Europarats ist das internationale Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Sie definiert Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Menschenrechtsverletzung und als Zeichen der Ungleichstellung von Frauen und Männern. Seit Februar 2018 ist die Konvention in Deutschland geltendes Recht. Frauenhauskoordination e.V.

Auch Opferrechtsanwalt Rohne erklärte: "Warum ich keinen niedrigen Beweggrund habe, wenn ich von einem Besitzdenken ausgehend eine Tötung begehe, erschließt sich mir nicht." Er wies darauf hin, dass oft auch verschiedene andere Opferrechte missachtet würden, etwa das Informationsrecht: "Es gibt ein Recht darauf, dass einem der Verfahrensstand mitgeteilt wird. Das passiert ganz häufig nicht und selbst dann nicht, wenn man es beantragt." Ähnlich sei es bei dem Recht auf Akteneinsicht.

Warum ich keinen niedrigen Beweggrund habe, wenn ich von einem Besitzdenken ausgehend eine Tötung begehe, erschließt sich mir nicht.

Holger-C. Rohne Opferrechtsanwalt

Rohne schlägt vor, das Netz an Gewaltambulanzen in Deutschland flächendeckend auszubauen. Dort können Gewaltopfer, die noch nicht bereit sind, eine Anzeige zu machen, die Spuren der Gewalt, die ihnen angetan wurde, rechtssicher dokumentieren lassen.

Fortbildungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt

Juristin Dorothea Hecht fordert, schon im Studium der Rechtswissenschaften Lehrinhalte zu geschlechtsspezifischer Gewalt zu vermitteln. Spätestens während der Berufsausübung müssten Fortbildungen angeboten und eine verpflichtende Teilnahme organisiert werden. "Wenn eine Person, die da in Robe und Richterstuhl sitzt, darüber nichts weiß, dann kann sie auch nicht richtig reagieren." Außerdem müsse man die Expertise von Beratungsstellen, von Frauenhausmitarbeiterinnen viel mehr einbeziehen.

Erst am Mittwoch hatte das Deutsche Institut für Menschenrechte den ersten "Monitor Gewalt gegen Frauen" veröffentlicht. Dieser überprüft die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. Das Urteil: Die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland weise noch gravierende Lücken auf. Auch hier kamen die Studienautorinnen zu dem Schluss, dass geschlechtsspezifische Gewalt in Politik und Rechtsprechung "oft individualisiert, nicht als Ausdruck des strukturellen Machtungleichgewichts zwischen Männern und Frauen erkannt und dementsprechend bagatellisiert werde".

Konzentration auf Präventionsmaßnahmen zu Gewalt gegen Frauen

Weitere Forderungen konzentrierten sich grundsätzlich auf präventive Maßnahmen. Hecht sagte MDR AKTUELL, es brauche eine nationale Gesamtstrategie zum Umgang mit Gewalt gegen Frauen. Dabei sei aber auch die Finanzierung zentral, immerhin fehlten aktuell 14.000 Frauenhausplätze. Strafverschärfungen seien jedenfalls nicht die Antwort auf Femizide. "Die Verurteilung für Mord macht eine getötete Frau nicht wieder lebendig", sagte Hecht.

Die Verurteilung für Mord macht eine getötete Frau nicht wieder lebendig.

Dorothea Hecht Juristin der Frauenhauskoordination

Auch die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Barbara Havliza, die von der Unionsfraktion als Expertin benannt wurde, warb dafür, die Hilfs- und Beratungsangebote für Opfer stärker in den Blick zu nehmen und die psychosoziale Prozessbegleitung auszuweiten.

Insbesondere von den Expertinnen, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen benannt hatten, wurde mehrfach gefordert, das von der Bundesregierung Ende November beschlossene Gewalthilfegesetz auch im Bundestag zu verabschieden.

MDR (ewi)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 04. Dezember 2024 | 12:45 Uhr

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