Häusliche Gewalt Wenn die Gewalt gegen Frauen immer weitergeht
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25. November 2024, 11:31 Uhr
Mehr Frauen berichten von häuslicher Gewalt, auch in Thüringen. Richtig kompliziert wird es oftmals danach: beim Familiengericht, im Streit um die gemeinsamen Kinder. Können neue Gesetze für mehr Gewaltschutz sorgen?
Gewalt gegen Frauen ist ein Dauerbrennerthema. In vielen Medien, auch im MDR, häufen sich die Berichte darüber - gerade rund um den 25. November, den Internationalen Tag der Beseitigung der Gewalt an Frauen. Der Ort, wo Frauen am häufigsten Gewalt erleben, ist das eigene Zuhause. Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren nicht etwa gesunken. Sie steigen, auch in Thüringen.
Die Frauen haben ihren Mann kennengelernt als einen anderen. Und schon als Kinder werden wir dazu erzogen, eine zweite Chance zu geben.
Missstände vor Gericht?
Der Anstieg häuslicher Gewalt kommt für Expertinnen und Experten nicht unbedingt überraschend. Viele Probleme sind gut dokumentiert. Es fehlen etwa Plätze in Frauenhäusern und Geld für Täterarbeit.
Zum Aufklappen: Was ist Täterarbeit?
Mit Täterarbeit wird die Arbeit mit potenziell oder tatsächlich gewalttätigen Menschen im Bereich der häuslichen Gewalt bezeichnet. Um Opfer zu schützen, soll mit ihr Gewalt beendet und verhindert werden, erneut Gewalt auszuüben.
Zielgruppe sind Menschen, die in einer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft Gewalt ausgeübt haben oder befürchten, in Zukunft Gewalt auszuüben. An einem Beratungsprogramm nehmen meist Menschen teil, denen das von einem Gericht zur Auflage gemacht wurde. Allerdings ist eine Teilnahme auch auf Eigeninitiative möglich. Generell können alle Menschen aufgenommen werden, die ihre Tat eingestehen und ein Mindestmaß zur Mitarbeit zeigen.
Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt
Darüber hinaus ist immer wieder von einem Punkt die Rede, der stutzig macht: Der Schutz vor häuslicher Gewalt sei oft vor dem Familiengericht gefährdet. Nämlich dann, wenn Opfer und Täter gemeinsam Kinder haben. Häufig würden Familiengerichte eher auf eine Einigung der Eltern drängen und den Gewaltschutz vernachlässigen. Kann das sein in einem Rechtsstaat?
Es gibt keine repräsentativen Studien dazu. Familiengerichte verhandeln hinter verschlossenen Türen. Themen wie Sorgerecht und Umgang mit gemeinsamen Kindern sind zu privat für die Öffentlichkeit. Und doch gibt es Hinweise, dass etwas schiefläuft.
Gerade hat der Soziologe Wolfgang Hammer seine neue Studie zum Gewaltschutz bei Familiengerichten vorgestellt. Der Vorwurf: Viele Gerichte und Jugendämter seien von Vorurteilen gegenüber Müttern geleitet, die von Gewalt berichten. Hammers Methode gilt allerdings als umstritten. Kritisiert wird vor allem, dass Hammer zu wenige Fälle analysiert, um eine wissenschaftlich fundierte Aussage treffen zu können.
Dann gibt es noch die Expertenkommission Grevio des Europarats, die kontrolliert, ob die europäischen Länder die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt einhalten. Grevio hat Deutschland schon 2022 aufgefordert, in der Entscheidung über Umgangs- und Sorgerechte den Gewaltschutz besser zu beachten. Das alles erscheint erst einmal schwer nachzuvollziehen, bis man mit Betroffenen spricht.
Zum Aufklappen: Was ist die Istanbul-Konvention?
Die Istanbul-Konvention wurde 2011 von 45 Ländern unterschrieben, auch von Deutschland. Die Länder haben sich darin verpflichtet, Frauen vor Gewalt zu schützen - mit ganz unterschiedlichen Maßnahmen vom Strafrecht bis zum Zugang zu Opferschutzangeboten. Der Bundestag hat die Istanbul-Konvention 2018 noch einmal ratifiziert, also bestätigt. Sie ist seitdem deutsches Recht und betroffene Frauen können sich darauf berufen.
Quelle: Tagesschau
Auf den Fußboden geworfen
MDR THÜRINGEN hat mit mehreren Frauen gesprochen, die von häuslicher Gewalt berichten. Eine von ihnen ist Monika Fischer. Sie hat eigentlich einen anderen Namen, der der Redaktion bekannt ist.
Er hat mich auf den Fußboden geschmissen, hat mir auf den Hals gedrückt und hat immer mit der Faust neben meinen Kopf geschlagen.
Ein Vorfall in Fischers früherer Beziehung blieb ihr besonders in Erinnerung. "Er hat mich auf den Fußboden geschmissen, hat mir auf den Hals gedrückt und hat immer mit der Faust neben meinen Kopf geschlagen. Ich habe wirklich gedacht, der schlägt zu. Das kann man sich gar nicht vorstellen." Monika Fischers Ex-Freund streitet alle Vorwürfe ab. Im Gegenteil: Er wirft Fischer vor, ihn bedroht und beleidigt zu haben. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Zurück zum Ex-Partner
Monika Fischer hat mehrere Strafanträge zurückgezogen und ist immer wieder zu ihrem Ex-Partner zurückgekehrt. "Ich habe vieles ertragen zum Wohle des Kindes", sagt sie rückblickend. Auch finanzielle Sorgen spielten eine Rolle. Als Fischer sich keine Mietwohnung mehr leisten konnte, ist sie in das gemeinsame Haus zurückgezogen. Dort kam es - so berichtet es Monika Fischer - zu noch mehr Gewalt.
Ich habe vieles ertragen zum Wohle des Kindes.
Inzwischen lebt sie in einer anderen Wohnung mit dem Kind. Das Haus geht kaputt. Noch mehr Streit, noch mehr Gerichtstermine. Schließlich befinden sich die beiden aktuell in einer Auseinandersetzung um das Umgangsrecht des Vaters mit dem Kind.
Fischer sieht sich von Familiengericht und Jugendamt nicht ernst genommen. Die Gewalt spiele keine Rolle. "Stattdessen lasse ich mir vom Vater sagen, ich manipuliere das Kind, damit es keinen Kontakt zu ihm will."
Geld und Liebe
Geschichten wie die von Monika Fischer sind alles andere als ungewöhnlich. Die wenigsten Fälle häuslicher Gewalt werden überhaupt zur Anzeige gebracht. Und viele Opfer gehen nach Gewaltfällen in den Haushalt zurück. Geldsorgen können eine große Rolle spielen.
Und auch eine persönliche Bindung verschwindet nicht plötzlich, selbst wenn Menschen Gewalt erleben. Ellen Van Hooff kennt das aus ihrer täglichen Arbeit. Sie leitet die Interventionsstelle Erfurt, die Opfern häuslicher Gewalt akut hilft. "Die Frauen haben ihren Mann kennengelernt als einen anderen. Und schon als Kinder werden wir dazu erzogen, eine zweite Chance zu geben. Das ist eine starke Kraft." Und es macht die Entscheidungsfindung vor dem Familiengericht nicht einfacher.
Ein Kind manipulieren und entfremden?
Frauen, die von Gewalt berichten, hören mitunter folgende Vorwürfe: Die Frauen würden Kinder bewusst vom Vater "entfremden". Das heißt: Den Umgang mit ihm einschränken, das Kind manipulieren, damit es den Vater nicht sehen will. Solche Frauen seien "bindungsintolerant", könnten es also nicht ertragen, wenn das Kind nicht nur zu ihnen, sondern auch zum Vater eine Bindung aufbaut.
Auch Frauen aus Thüringen haben dem MDR von genau solchen Vorwürfen erzählt, im Zusammenhang mit Berichten häuslicher Gewalt. Es kommt durchaus vor, dass Täter genau diese Argumentation nutzen, um zu vermitteln, die Frau habe die Gewalt nur erfunden.
Eine schwere Abwägung
Folgen Familiengerichte zu häufig einer solchen Argumentation? Georg von Schmettau, Familienrichter am Amtsgericht Gotha und seit Jahren beschäftigt mit häuslicher Gewalt, will keine pauschale Kritik an seinen Kolleginnen und Kollegen betreiben. "Alles ist letztlich ein Abwägungsprozess. Und der ist schwer genug."
Wenn wir nur die Aussage der Mutter haben und die Aussage des Vaters, sonst nichts, keine Beweisanzeichen, keine Indizien: Diese Fälle machen uns am meisten Arbeit.
Besonders schwierig ist die Abwägung zwischen dem Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern und den Berichten von Gewalt. Familiengerichte haben viele Möglichkeiten, Opfer häuslicher Gewalt zu schützen. Wenn die Gewalt bewiesen ist oder die Täter sie zugeben, arbeiteten die Gerichte sehr effektiv - so Georg von Schmettau. Täterberatung, Kontaktverbote, begleiteter Umgang mit den Kindern: All das können Familiengerichte anordnen - und zwar außerhalb des Strafrechts.
In der Vergangenheit nicht gut aufgestellt
Schwierig wird es aber, "wenn wir nur die Aussage der Mutter haben und die Aussage des Vaters, sonst nichts. Keine Beweisanzeichen, keine Indizien. Diese Fälle machen uns am meisten Arbeit." Und Fakt ist: Viele Frauen berichten davon, dass sie zunächst Gewalt erlebten und dann gezwungen waren, beim Umgang mit den Kindern immer wieder auf den Täter zu treffen.
Richter Schmettau räumt ein: "Es bewegt sich nichts, wenn man einem Täter immer noch die Möglichkeit gibt, an die Mutter heranzukommen, um sie weiterhin zu demütigen. Das macht auch etwas mit den Kindern. An der Stelle waren Familiengerichte in der Vergangenheit - so meine Wahrnehmung - nicht gut aufgestellt. Die Grundrechte des Umgangs begehrenden Vaters wurden häufig zu hoch gesetzt."
Männer können sich besser darstellen
Das kann auch Sabine Schulenburg bestätigen. Die Erfurter Fachanwältin für Familienrecht vertritt unter anderem Opfer häuslicher Gewalt. "Ich habe vor Gericht oft erlebt, dass man die Aussagen der Frauen bagatellisiert und von ihnen verlangt, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Viele Gewaltopfer kommen vor Gericht nicht zu ihrem Recht. Aber dafür gibt es keine eindeutige Ursache. Ich sehe keinen grundsätzlichen Missstand in den Gesetzen oder der Rechtsprechung. Das Problem sind eher die gesellschaftlichen Muster."
Kindschaftsverfahren sind oft komplex und undurchsichtig. Subjektiver geht es kaum.
Sie meint zum Beispiel, Männer könnten sich vor Gericht oft besser darstellen. Allerdings ist der Anwältin eines wichtig zu betonen: Es gibt im Familiengericht keine einfachen Wahrheiten, vor allem nicht, wenn es um Kinder geht. "Kindschaftsverfahren sind oft komplex und undurchsichtig. Subjektiver geht es kaum. Sie können fünf Richter zu ein und demselben Fall befragen und bekommen fünf verschiedene Entscheidungen."
Neues Bundesgesetz liegt auf Eis
Es ist also kompliziert. Aber das ist noch keine Lösung. Denn letztlich bestätigen die Thüringer Gesprächspartner das, was bundesweit immer wieder beklagt wird: Gewaltopfer brauchen mehr Schutz, wenn es beim Familiengericht um gemeinsame Kinder geht. Diesen Handlungsbedarf hat auch die Bundesregierung in Berlin gesehen. Ein Gesetz sollte den Gewaltschutz in familiengerichtlichen Verfahren verbessern. Der Referentenentwurf aus dem Justizministerium lag bereits vor.
Jetzt ist die Ampel Geschichte. Ob das Gesetz vor der Neuwahl noch kommt, weiß gerade keiner, auch nicht das Ministerium selbst. Familienrichter Georg von Schmettau kennt den Entwurf und sagt: "Da steht ganz viel drin, was wir allerdings heute schon umsetzen können."
Es tut sich etwas
Darum geht es auch beim Arbeitskreis "Kinder bei Trennung und Scheidung" beim Amtsgericht Erfurt. Dort kommen unter anderem Richterinnen und Richter, Anwälte, Frauenhaus, Interventionsstelle zusammen. 2023 hat der Arbeitskreis den "Leitfaden häusliche Gewalt" erstellt, der vieles, was die Bunderegierung festlegen wollte, schon als Empfehlung formuliert.
Zum Beispiel: Eine getrennte Anhörung der Eltern oder ein besserer Informationsaustausch zwischen Gerichten und Frauenhäusern. Marjana Dunkel vom Erfurter Frauenhaus betont: "Der Arbeitskreis hat viel bewirkt, insbesondere wegen seiner interdisziplinären Ausrichtung. Dieser Prozess muss fortgeführt werden."
Und dafür braucht es nicht zuletzt: Geld. Nicht für mehr Plätze im Frauenhaus, sondern beispielsweise auch für Einrichtungen der Täterarbeit, wo sich Menschen dem eigenen Gewaltverhalten stellen können. Marjana Dunkel vom Erfurter Frauenhaus betont immer wieder, dass noch viel zu tun ist.
Trotzdem gibt es Gründe für vorsichtigen Optimismus. In Thüringen haben die wahrscheinlichen Koalitionspartner CDU, BSW und SPD die Umsetzung der Istanbul-Konvention explizit in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, genau wie eine "langfristige, auskömmliche und verlässliche Finanzierung" der Einrichtungen für Opferschutz und Täterarbeit.
Daran muss sich die neue Landesregierung messen lassen. Solche Maßnahmen können zwar nicht die Problematik bei Familiengerichten auflösen, von denen viele Betroffene auch in Thüringen berichten. Aber sie könnten dazu führen, dass das Thema insgesamt in der Gesellschaft ernster genommen wird.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. November 2024 | 19:00 Uhr