Wahlkampfthema zur Bundestagswahl 2025 Gewalt gegen Frauen: Alle reden mit, keiner denkt weiter
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07. Dezember 2024, 20:29 Uhr
Fast jeden Tag gibt es in Deutschland einen Femizid. Gewalt gegen Frauen und Mädchen steigt, macht das im November veröffentlichte Lagebild zu "geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten" klar. Seitdem ist das Wettrennen der Parteien um den ersten Platz im Opferschutz eröffnet. Gewalt gegen Frauen als Wahlkampfthema: Aufmerksamkeit ist wichtig, kommentiert MDR-AKTUELL-Autorin Elisabeth Winkler. Nur ärgerlich, dass die Parteien in ihren Lösungsvorschlägen nicht weiterdenken.
- Es ist gut und wichtig, dass das Thema endlich die nötige Aufmerksamkeit bekommt.
- Die Union schießt mit ihrem Vorschlag zu Strafverschärfungen am Ziel vorbei.
- Es ist ein gesamtgesellschaftliches Umdenken nötig.
- Mit dem Gewalthilfegesetz sollen gewaltbetroffene Frauen und Kinder erst ab dem Jahr 2027 Hilfe bekommen.
Grundsätzlich ist es gut und wichtig, dass das Thema endlich die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Ärgerlich nur, dass keine der Parteien bei ihren Lösungsvorschlägen über den Wahlkampf hinausdenkt.
Union schießt mit Vorschlag zu Strafverschärfungen am Ziel vorbei
Am Mittwoch wurde im Rechtsausschuss des Bundestags ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion "zur Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen" diskutiert, der für den Opferschutz weitgehend nutzlos ist, weil er sich größtenteils auf Strafverschärfungen konzentriert und damit außer Acht lässt, was in der Kriminologie seit Jahren Konsens ist: Hohe Strafen wirken nicht präventiv, sie halten nicht von Straftaten ab.
Zugleich schafft es die Union, in ihrem Vorschlag das patriarchale Denken zu reproduzieren, was für Frauen letztlich die Wurzel allen Übels ist – mit dem Vorschlag, ein neues Mordmerkmal einzuführen: "unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit". Frauen werden nicht von Männern getötet, weil sie körperlich schwächer sind. Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein Ausdruck historisch gewachsener, ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern – auf wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Ebene, nicht auf körperlicher.
Gesamtgesellschaftliches Umdenken nötig
Davon abgesehen ist es längst möglich, Männer, die ihre Partnerin oder Ex-Partnerin töten, für Mord zu verurteilen und lebenslänglich einzusperren: über das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe". Leider werden die von Richtern viel zu selten gesehen. Der Bundesgerichtshof hat etwa entschieden, dass eine Tötung nicht als aus niederen Beweggründen heraus zu bewerten ist, wenn "die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt sieht, was er eigentlich nicht verlieren will".
Wir stellen damit in der deutschen Rechtssprechung das Besitzdenken des Mannes immer noch über die Selbstbestimmung der Frau. Anstatt also ein Mordmerkmal einzuführen, das sich in denselben Denkmustern bewegt, sollte sich die Union lieber für ein gesamtgesellschaftliches Umdenken einsetzen, das sich bis auf die Richterbänke dieser Republik durchschlägt.
Gewalthilfegesetz: Jetzt beschließen, 2027 helfen
Auch das Gewalthilfegesetz, am 27. November von der verbleibenden Bundesregierung beschlossen, ist nicht zu Ende gedacht. Das Ziel des Gesetzes: einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen.
Um das Gesetz durch den Bundestag zu bekommen, ist die rot-grüne Minderheitsregierung auf Stimmen von Union oder FDP angewiesen. Die sollen nun zeigen, dass ihnen wirklich was am Schutz von Frauen liegt, dass sie "nicht nur reden, sondern auch handeln wollen", wie es SPD-Politikerin Emily Vontz bei Instagram formulierte – eine Anspielung auf Friedrich Merz, der die steigenden Zahlen zu Gewalt an Frauen zuvor in einem eigenen Video "beschämend" genannt und angekündigt hatte, sich für den Schutz von Frauen einzusetzen.
Gewalthilfegesetz: Zu viel Zeit, zu wenig Geld
Weigern sich Union und FDP, ihre Zustimmung zum Gewalthilfegesetz noch vor den Neuwahlen zu geben, verhindern sie also, dass gewaltbetroffene Frauen und Kinder zeitnah Hilfe bekommen? Nein. Sie verhindern, dass gewaltbetroffene Frauen und Kinder im Jahr 2027 Hilfe bekommen. Denn das Gesetz soll erst 2027 inkrafttreten, der Rechtsanspruch auf Schutz vor häuslicher Gewalt soll ab 2030 wirksam werden.
Dazu kommt ein Finanzierungsplan, der allenfalls die laufenden Kosten der schon jetzt überlasteten Frauenhäuser abdeckt – nötige Investitionen für ein flächendeckendes Netz entsprechender Anlaufstellen werden nicht mitgedacht. Dementsprechend wirkt der Druck, den SPD und Grüne in die Verabschiedung des Gesetzes legen, eher wahlkampftaktisch als frauenrechtlich motiviert.
Die Anträge, die Union, Linke und FDP am Freitag zum Gewalthilfegesetz eingebracht haben, lassen vermuten, dass ein Konsens zwischen den Parteien auf der Sachebene durchaus möglich wäre. Dort werden nämlich viele Maßnahmen, die bereits im Entwurf von SPD und Grünen stehen, wieder aufgegriffen. Doch dafür müsste man den Schutz von Frauen vor parteipolitisches Ego stellen.
MDR (ewi)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 04. Dezember 2024 | 12:45 Uhr
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