Kommentar Ein rigider Sparkurs ist alles andere als gerecht

25. November 2023, 05:00 Uhr

Karlsruhe schiebt der Schuldenmacherei der Bundesregierung den Riegel vor und die Kläger von der Union feiern das Urteil als Leuchtturm der Generationengerechtigkeit. CDU und FDP fordern einen rigiden Sparkurs und fiskalische Disziplin. Ich verstehe unter Generationengerechtigkeit etwas anderes und das Bundesverfassungsgericht übrigens auch.

Doppel-Klatsche statt Doppel-Wumms

Da hat die Union einen deftigen Punktsieg errungen. Karlsruhe spricht Recht und die Ampel hält den Atem an. Haushaltssperre, Sonderhaushaltssperre, 60 Milliarden Euro sind futsch. Auch der Klima-und Transformationsfonds in Höhe von 200 Milliarden Euro scheint nicht mehr zu halten.

Aus dem wuchtigen "Doppel-Wumms" des Kanzlers ist eine "Doppel-Klatsche" für die Bundesregierung geworden. Während innerhalb wie außerhalb der Regierungsfraktionen von Kritikerinnen und Kritikern die Koalition in Frage gestellt wird, sitzt die Opposition mit Popcorn am Rand und schaut zu.

Was fehlt jetzt?

Tschüss Klimapolitik?! Auf einen Schlag fehlen der Bundesregierung die finanziellen Mittel für fast sämtliche Kernprojekte, auf die sie sich geeinigt hatte. Die Sonderfonds' waren der Kit, der die Koalition erst ermöglichte. Anders wären Haushaltsdisziplin (FDP) und Investitionen (Grüne und SPD) gar nicht denkbar gewesen.

Das war es dann wohl mit dem Industriestrompreis, dem Aufbau eines Wasserstoffnetzes, der Modernisierung maroder Bahnstrecken und dem Neubau selbiger, mit Strom- und Gaspreisbremsen für Privathaushalte und Unternehmen, mit Industrieansiedlungen in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die deprimierende Liste ließe sich noch lange fortführen. All das steht jetzt in Frage, all das basiert auf Schuldenfinanzierung.

Dass es dabei, wie derzeit immer wieder von FDP und Union vorgetragen, einzig und allein um klimapolitische Projekte ginge, entlarvt sich bei genauerer Betrachtung sehr schnell als Irrglaube. Die im Klima- und Transformationsfonds und dem Währungsstabilisierungsfonds angedachten Projekte finanzieren die Transformation der deutschen Wirtschaft. Wird die deutsche Industrie nicht fitgemacht, wird sie abgehängt.

Was machen denn die anderen?

Werfen wir einen Blick auf die Mitbewerber des freien Marktes. Im weltweiten Vergleich ist der deutsche Schuldenberg vergleichsweise niedrig. Die deutsche Staatsschuldenquote der Wirtschaftsleistung liegt bei 66 Prozent. China steht bei 77 Prozent, die USA bei 121 Prozent – der EU-Durchschnitt liegt bei 84 Prozent. Darüber hinaus legen China und die USA milliardenschwere Schuldenprogramme auf, um ihre Wirtschaft in eine klimaneutrale Zukunft zu führen.

Was bedeutet das für uns?

Dass Teile der Bundesregierung das Karlsruher Urteil jetzt zum Anlass nehmen wollen sich "gesund zu sparen", könnte fatale Folgen haben. Die Klimawende und die damit einhergehende industriepolitische Transformation werden trotzdem stattfinden, nur eben ohne uns. Wohlstand wird dort generiert, wo Regierungen die Zeichen der Zeit erkannt haben und mit Investitionen den Umbau ihrer Wirtschaft vorantreiben. Ohne Investitionen verliert Deutschland schlichtweg den Anschluss.

Und nein – 60 Milliarden lassen sich nicht durch Einsparung im Sozialsystem wieder reinholen. Wer behauptet, Kürzungen beim Bürgergeld seien jetzt angezeigt, betreibt Populismus auf dem Rücken derer, die am härtesten von Inflation und Energiekrise betroffen sind. Außerdem sind Kürzungen beim Bürgergeld gar nicht möglich. Erinnern wir uns daran, dass die Anhebung der Sozialleistungen eine Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts war, nach dem es grundgesetzwidrig ist, wenn Menschen in Deutschland unter dem Existenzminimum leben müssen.

Das Bundesverfassungsgericht hat Recht!

Wenn Deutschland jetzt nicht alles dafür tut, seine Industrie auf Vordermann zu bringen, was nur mit erheblichen Subventionen möglich ist, können wir unseren Beitrag zum 1,5-Grad Ziel nicht mehr erreichen. Dazu hat sich die Bundesregierung aber international verpflichtet. Darüber hinaus urteilte auch das Bundesverfassungsgericht 2021, dass die Bundesregierung mehr dafür tun müsse, um ihre selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen.

Es sei eine "Notwendigkeit", so das höchste deutsche Gericht, dass wir jetzt "mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umgehen, und sie der Nachwelt in solchem Zustand hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten."

Die tatsächlichen Krisen kommen erst noch

Es sind eben jene nachfolgenden Generationen gemeint, für die Union und FDP meinen, sparen zu müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Vielleicht brauchen die nachfolgenden Generationen Investitionen! Auch wenn die Zinsen in Zeiten der hohen Inflationsraten ins Kontor schlagen, würde die Bundesregierung damit immer noch günstiger fahren, als jetzt sämtliche notwendigen Subventionen einzustellen.

Laut dem aktuellen UN-Klimaschutzbericht steuert die Welt derzeit auf eine Erderwärmung von drei Grad zu. Die Kosten die durch eine Katastrophe dieses Ausmaßes entstehen würden, sind astronomisch hoch. Die daraus entstehenden Probleme von Fluchtbewegungen, Hungerwellen, Unwettern, Überschwemmungen, Hochwassern und Dürren werden alles bislang Gekannte in den Schatten stellen. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern wissenschaftlich belegt.

Ausreden sind billig, Gerechtigkeit teuer

Die Illusion, jetzt durch Einsparungen den kommenden Generationen einen Gefallen zu tun, ist in nahezu esoterischer Art und Weise wirtschaftsliberal. Weniger Staat bedeutet weniger Klimaschutz, weil die großen Aufgaben der Transformation von russischem Gas auf klimaneutrale Alternativen ohne den Staat nicht zu schaffen sind. Sowohl Atomkraft als auch Gas wären auf lange Sicht teurer, als die Transformation in eine klimaneutrale Zukunft.

Generationengerechtigkeit wird nicht dadurch erzeugt, dass man jetzt spart. Es führt nur zu größeren Belastungen und noch mehr Chaos für die nachfolgenden Generationen. Wer das leugnet, beweist keine Weitsicht. Sondern betreibt machtpolitische Spielchen, die in der aktuellen Krise niemandem nutzen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 24. November 2023 | 14:00 Uhr

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