
Unter der Lupe – die politische Kolumne Schluss mit der Bescheidenheit – Ost-Ministerpräsidenten fordern mehr Einfluss in Berlin
Hauptinhalt
06. April 2025, 05:00 Uhr
Die Ministerpräsidenten und die Ministerpräsidentin aus Ostdeutschland erhöhen auf den letzten Metern den Druck auf die Verhandler in Berlin. Die letzten Streitpunkte sollen in den kommenden Tagen ausgeräumt werden. Täglich werden neue Namen für Ministerposten genannt. Kurz vor Abschluss fordern die Regierungschefs aus dem Osten noch einmal deutlich mehr "Ostkompetenz" im künftigen Kabinett.
- An der ostdeutschen CDU-Basis hat die Unterstützung für Friedrich Merz deutlich nachgelassen.
- Auch die SPD hat im Osten zu kämpfen.
- Die ostdeutschen Regierungschefs fordern mehr Ministerposten für Ostdeutsche im Bundeskabinett.
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt winkt ab. Ob er Lust habe, Minister in einem Kabinett Merz zu werden, will ein Reporter wissen. "Lust und Politik schließen sich aus", antwortet Reiner Haseloff kurz und knapp am Rande der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz. Damit ist die Sache für ihn erledigt. Nein, er will vorerst nicht.
Ganz aus dem Reich der journalistischen Fantasien dürfte diese Idee allerdings nicht entsprungen sein. Dass der dienstälteste Ministerpräsident überhaupt ins Gespräch gebracht wurde, zeigt vielmehr die Not seiner Partei am Verhandlungstisch in Berlin und im künftigen Kabinett mit fundierter Ostkompetenz und Erfahrung zu punkten. Auch, wenn das sehr unwahrscheinlich ist, Merz könnte einen wie ihn sicher gebrauchen. Denn im Osten scheint der Kanzlerkandidat seinen Kompetenzbonus zunehmend verbraucht zu haben.
Merz büßt Ostkompetenz ein
Die Zustimmung für seine manchmal erratischen Entscheidungen lässt nach. Sein Verhandlungsgeschick in den Koalitionsverhandlungen verärgert an der ostdeutschen Basis einige sogar sehr. Milliardenschwere Investitionspakete finden nicht alle gut. Manche halten ihn gar für zu gutmütig gegenüber der SPD.
Die Zeiten sind vorbei, als Merz noch am politischen Spielfeldrand stand und die Politik von Angela Merkel genüsslich kritisierte und so fast im Vorbeiflug die Sympathien auch in Mitteldeutschland einsammeln konnte. Da war er noch Merz, der große Hoffnungsträger. Einer, der es anders machen wird – kantig, geradlinig, ein Mann der Wirtschaft mit klaren Worten und dem Gespür für die Belange der Ostdeutschen.
Doch jetzt muss der Kanzlerkandidat kämpfen und zeigen, dass er durchsetzungsstark ist – auch für seine Anhänger in Ostdeutschland.
SPD braucht mehr Erfolge im Osten
Die Sozialdemokraten im Osten müssen ebenfalls kämpfen. Mit Scholz haben sie 2021 den Osten gewonnen und mit Scholz haben sie 2025 den Osten wieder verloren. Die Politik der Ampel hat der SPD vor allem in Ostdeutschland geschadet. Dazu ein Kanzler, der wenig Wirkmacht entfalten konnte. Doch die Probleme liegen tiefer.
Den Sozialdemokraten sind in weiten Teilen Ostdeutschlands die Arbeiter weggelaufen oder vielmehr sind sie der Arbeit in den Westen hinterher gereist. Die Sozialkompetenz hat jahrzehntelang die Linkspartei für sich beansprucht. Hier geht es in einigen Bundesländern für die SPD längst ans Eingemachte. Und die, die erfolgreich sind wie Schwesig und Woidke, müssen sich jetzt in den Wind stellen und auch den eigenen Genossen in Berlin mehr Ostkompetenz ins Hausaufgabenheft schreiben.
Endlich auf Augenhöhe mit dem Westen
Und so fordern CDU und SPD bei der Ministerpräsidentenkonferenz Ost gemeinsam eine Investitionsoffensive. Die im Bund geplanten 500 Milliarden für die Infrastruktur sollten schnell und unkompliziert ausgezahlt werden. Die Energiepreise müssten runter, Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte vereinfacht und beschleunigt werden. Außerdem müsse man endlich Gerechtigkeit schaffen, auch beim Thema Geld. Die Gewerbesteuerzerlegung finden die Ministerpräsidenten Ost mehr als ungerecht. Ihre Forderung: Die Gewerbesteuer solle künftig dort gezahlt werden, wo sie auch erwirtschaftet wurde. Die Botschaft: Der Osten ist es leid, nur die verlängerte Werkbank zu sein. Die Niederlassung im Osten macht Gewinne und die wandern direkt ins Portemonnaie vom Mutterschiff im Westen. Das Prinzip solle künftig nicht mehr gelten.
Stattdessen sollten die Gewinne auch in die Steuersäcke der Kommunen im Osten fließen. Was vielversprechend klingt, dürfte den Verhandlern in Berlin kaum gefallen. CDU und SPD müssten da den großen Konzernen im Westen auf die Füße treten, gerade in Nordrhein-Westfalen. Im Sondierungspapier findet sich dazu bisher nichts. Es ist wohl eher unvorstellbar, dass Merz und Klingbeil dazu bereit sind. Die Hausmacht bei CDU und SPD sind die mitgliederstärksten Verbände. Die dürften kein Interesse daran haben, dass ihre Kontakte zur heimischen Wirtschaft im Westen leiden. Und so dürfte dieses Ansinnen der Ost-Ministerpräsidenten wohl vorerst Wunschdenken bleiben. Die Idee und der Vorstoß, die Gewerbesteuer zu reformieren ist aber richtig und wichtig – und fast 35 Jahre nach der Deutschen Einheit mehr als überfällig. Egal. Bescheidenheit ist kein ostdeutsches Attribut mehr.
Mehr Themen und mehr Gesichter für den Osten
Mach's, wie Luther einst sagte: "Tritt frisch auf, tu's Maul auf." Ja, sie trauen sich, endlich selbstbewusst einzufordern, was den Menschen in Ostdeutschland guttun soll. Und diese Menschen wollen auch gesehen werden. Mario Voigt sagt es, Dietmar Woidke ebenfalls. Manuela Schwesig findet das auch. Michael Kretschmer und Reiner Haseloff sehen das genauso. Da haben sie mal ihre ganz eigene Rechnung angestellt und daraus ihre Ansprüche an die künftige Regierung abgeleitet.
Mario Voigt spricht aus, was alle denken. "Wir verkörpern 20 Prozent der Bevölkerung Deutschlands und das wollen wir auch in einem neuen Bundeskabinett vertreten sehen." Das heißt nach ihrer Rechnung: drei Posten für den Osten plus Ostbeauftragten. Da sind wir wieder am Anfang. Einmal in Gedanken durchgespielt, wer für einen Ministerposten infrage kommt, wird schnell klar: Beiden Parteien ist es in den letzten Jahren – vielleicht sogar Jahrzehnten – viel zu selten gelungen, ostdeutsche Köpfe im Bundeskabinett durchzusetzen.
Mehr Durchsetzungswillen zeigen
Dabei gibt es sie, die politischen Gesichter aus Ostdeutschland, die sich bei CDU und SPD auch schon profiliert haben: Carsten Schneider, der noch amtierende Ostbeauftragte etwa oder Tino Sorge, Gesundheitsexperte der CDU aus Sachsen-Anhalt. Auch Sepp Müller, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union. Sie wurden alle schon als Minister ins Gespräch gebracht.
Am Ende scheitert es oft am Willen der westdeutschen Landesverbände und an deren Macht in den Parteien. Das müssen CDU und SPD durchbrechen. Denn es braucht gerade jetzt, wo sich viele Wähler in Ostdeutschland von der politischen Mitte entfernen, klare Signale, Beschlüsse und Köpfe, die zeigen, dass ihnen das nicht egal ist und die es auch durchsetzen wollen und können. Das müsste auch den Parteichefs aus dem Westen längst klar sein. Und deshalb ist es Zeit, dass endlich mehr Ostdeutsche am Kabinettstisch im Kanzleramt Platz nehmen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 06. April 2025 | 05:00 Uhr