Nach Haushaltsurteil Finanzministerium weitet Ausgabensperre auf Energiepreisbremsen-Fonds aus

21. November 2023, 20:43 Uhr

Das Bundesfinanzministerium hat die Ausgabensperre nach dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe auch auf den Wirtschaftsstabilisierungsfonds ausgeweitet. Aus dem Topf werden die Energiepreisbremsen gezahlt. Zuvor war bereits ein Stopp für nahezu den gesamten Bundeshaushalt veranlasst worden. Ostdeutschland könnte besonders betroffen sein – Sachsen-Anhalts Regierungschef Haseloff sieht die Intel-Ansiedlung derweil nicht in Gefahr.

Das Finanzministerium hat nach dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts auch einen Stopp im Wirtschaftsstabilisierungsfonds für die Energiepreisbremsen verhängt. Aus Ministeriumskreisen hieß es am Dienstag, alle weiteren Ausgaben für das laufende Jahr würden gesperrt. Die Auszahlung der Energiepreisbremsen im laufenden Jahr sei aber nicht betroffen.

In einer Anhörung von Sachverständigen im Haushaltsausschuss des Bundestags war zuvor deutlich geworden, dass der Fonds wohl ebenfalls vom Karlsruher Urteil betroffen ist. Er sei 2022 nach ähnlichen Prinzipien befüllt worden wie der Klima- und Transformationsfonds, erklärten die Experten. Das Gericht hatte untersagt, Notlagenkredite quasi auf Vorrat für spätere Jahre zurücklegen.

Sperre für nahezu den gesamten Haushalt

Zuvor hatte das Finanzministerium die Haushaltssperre bereits auf nahezu den gesamten Bundeshaushalt ausgeweitet. Das Ministerium bestätigte, Verpflichtungsermächtigungen im laufenden Haushalt würden gestoppt, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden. "Bestehende Verbindlichkeiten werden weiter eingehalten, es dürfen nur keine neuen eingegangen werden", heißt es. Bei den Verpflichtungsermächtigungen handelt es sich um Festlegungen, die Ausgaben in den Folgejahren betreffen.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium, Michael Kellner (Grüne), hatte im Gespräch mit MDR AKTUELL vor weitreichenden Konsequenzen für Ostdeutschland gewarnt. Von den angekündigten Industrie-Investitionen von 80 Milliarden Euro entfielen rund 50 Milliarden auf Ostdeutschland. Die geplanten Chipfabriken hätten für Ostdeutschland, aber auch für Gesamtdeutschland eine enorme Bedeutung – auch mit Blick auf Lieferkettenschwierigkeiten der Vergangenheit. Es gelte, eine schnelle Lösung zu finden und diese nicht in der Öffentlichkeit zu zerreden.

Wirtschaftsweise warnt vor Horroszenarien

Die Ökonomin Veronika Grimm warnte davor, Horrorszenarien an die Wand zu malen. Die Wirtschaftsweise sagte MDR AKTUELL, man müsse sehr aufpassen, was gerade über Kürzungen kolportiert werde. Jeder baue seine Verhandlungspositionen auf. Politpoker führe aber zu Unsicherheit, die Deutschland wirtschaftlich auf die Füße falle könne. Die Konjunktur werde gerade durch den sich erholenden Konsum getragen. Sollten die Leute aber zur Sicherheit wieder mehr sparen, würde die Konjunktur stärker einbrechen, als es sein müsse.

Haseloff sieht Intel-Ansiedlung nicht in Gefahr

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sieht die Intel-Ansiedlung in Magdeburg unterdessen nicht in Gefahr. Der CDU-Politiker sagte, Bundeskanzler Olaf Scholz habe ihm am vergangenen Freitag am Rande der Konferenz "Ostdeutschland 2030" gesagt, dass dieses Projekt kommen werde. Es gebe keinen Grund, an der Zusage des Kanzlers zu zweifeln. Man vertraue darauf, dass die Bundesregierung Wege findet, "ein Verfassungsgerichtsurteil umzusetzen, aber gleichzeitig auch Deutschland handlungsfähig zu halten", erklärte Haseloff.

Für die geplante Intel-Chipfabrik in Magdeburg hatte die Bundesregierung eine Förderung von 9,9 Milliarden Euro zugesagt. Das geplante TSMC-Werk in Dresden sollte fünf Milliarden Euro erhalten. Die Subventionen hätten aus dem vom Bundesverfassungsgericht gekippten Klimafonds entnommen werden sollen.

Thüringen: Finanzministerium sieht vorerst keine Auswirkungen auf das Land

Das Finanzministerium in Thüringen teilte dem MDR mit, dass die vom Bundesfinanzministerium verhängte Haushaltssperre zumindest kurzfristig keine Auswirkungen auf Thüringen habe. So könnten bereits genehmigte und geplante Gelder für das laufende Jahr aus dem Klima- und Transformationsfonds ausgegeben werden. Welche Auswirkungen es in den kommenden Jahren gebe, hänge von der Neugestaltung des Wirtschaftsplans und der künftigen Mittelausstattung des Klima- und Transformationsfonds ab.

Die FDP in Thüringen sprach sich unterdessen für das Aussetzen der Haushaltsberatungen im Erfurter Landtag aus. Es müsse zuerst detailliert geklärt werden, wie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf die Pläne in Thüringen auswirke, sagte Sprecher Thomas Kemmerich.

Habeck prognostiziert schrumpfende Wirtschaft

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von einer Bedrohung für die deutsche Wirtschaft. Er sagte, dass die deutsche Wirtschaft aufgrund des Urteils schrumpfen werde. "Die 60 Millliarden stehen nicht nur für sich, sondern werden durch zusätzliche Investitionen, die getätigt werden, leicht verdoppelt, gegebenenfalls verdreifacht. Das ist also wirklich viel Geld, das eigentlich investiert werden sollte, das jetzt dem Land verloren geht", sagte Habeck.

In Regionen, wo auf das Geld gewartet werde, sei das eine "ganz bittere Nachricht". Die Lage sei so schwierig und bedrohlich, dass gemeinsame Lösungen gefunden werden müssten.

Haushaltsnotlage als Option für Kühnert

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert betonte im ARD-Morgenmagazin, dass der Staat trotz der Sperrung von Haushaltsmitteln aktuelle Leistungen weiter bezahle. Auf die Frage, ob für 2023 nun eine Haushaltsnotlage zur Umgehung der Schuldenbremse erklärt werden müsste, sagte Kühnert, das wäre ein möglicher Schritt für die SPD, wenn sie allein regieren würde. Es gebe aber auch andere Optionen. Das müsse man in der Koalition besprechen.

Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, hält die Aussetzung der Schuldenbremse nicht für eine überzeugende Lösung. Im Deutschlandfunk plädiert er für eine Reform, etwa die Einführung einer Investitionsklausel, die bestimmte Ausnahmen bei der Schuldenbremse ermöglicht.

Der CDU-Haushaltsexperte Christian Haase sagte der Ampelkoalition eine konstruktive Mitarbeit an der Aufstellung des Bundeshaushaltes für 2024 zu, stellt zugleich aber wichtige Projekte infrage. In diesem Zusammenhang nannte er die Kindergrundsicherung, das Bürgergeld und das Heizungsgesetz. Die Union wolle keine Sozialleistungen massiv kürzen, hinterfrage aber den zusätzlichen Aufwuchs, sagte Haase.

Weitreichendes Urteil

Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Umwidmung von nicht genutzten Corona-Krediten in Höhe von 60 Milliarden Euro auf den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt. Zugleich entschieden die Richter, der Staat dürfe sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre zurücklegen. Daher könnten über den Klima- und Transformationsfonds hinaus weitere Nebenhaushalte des Bundes betroffen sein.

Reuters, MDR, dpa (lik)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 21. November 2023 | 07:05 Uhr

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