Einsatz für Menschenrechte im Iran Politische Patenschaften: Aufmerksamkeit für Inhaftierte
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25. Dezember 2022, 15:10 Uhr
Am 25.12. ist es 100 Tage her, dass die Kurdin Jina Mahsa Amini im iranischen Polizeigewahrsam starb. Die Protestbewegung dauert an, das Regime reagiert brutal. Die ersten Todesurteile sind gefallen, vielen weiteren Inhaftierten drohen Hinrichtungen oder jahrelange Haftstrafen. In Deutschland versuchen Aktivistinnen und Politiker die Aufmerksamkeit auf die Schicksale im Iran zu richten, unter anderem mit politischen Patenschaften.
- Immer mehr Politikerinnen und Politiker übernehmen politische Patenschaften für Inhaftierte Demonstrierende im Iran.
- Auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow engagiert sich für die iranische Protestbewegung.
- Die Paten aus der Politik wollen durch mediale und politische Aufmerksamkeit den Druck auf das Regime erhöhen.
"Frau, Leben, Freiheit": Am 25. Dezember sind seit dem Tod der Iranerin Jina Mahsa Amini 100 Tage vergangen. Die junge Kurdin wurde von der Sittenpolizei der Islamischen Republik festgenommen, weil sie ihr Kopftuch nicht korrekt getragen haben soll. Sie starb am 16. September im Polizeigewahrsam.
Der Slogan "Jin, Jian, Azadî" (Frau, Leben, Freiheit) hallt seitdem nicht nur unermüdlich durch die Straßen des Iran. Die Protest- und Solidaritätswelle, getragen von der Diaspora des Landes, hat Europa längst erreicht. Im Iran wurden in der Zwischenzeit erste Todesurteile gegen Demonstranten verhängt und erste Verurteilte hingerichtet.
Demos und Veranstaltungen: "Woman Life Freedom" in Leipzig
Samaneh kam vor fünf Jahren von Teheran nach Leipzig, um ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie hat am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, als Frau im Iran aufzuwachsen. Heute studiert die 26-Jährige Kommunikationsdesign in der Messestadt und engagiert sich zusammen mit anderen iranisch-stämmigen Studierenden des Kollektivs "Woman Life Freedom Leipzig" für Menschenrechte im Iran. Mit Demos, Ausstellungen oder Veranstaltungen wie einer Volksküche mit persischen Gerichten will die Gruppe auf die verheerenden Menschenrechtsverletzungen in ihrem Heimatland hinweisen. Aufmerksamkeit und Druck, sagt Samaneh, müsse aber auch von Seiten der Politik kommen. Denn noch immer bestimmten gefällige Wirtschaftsbeziehungen das Verhältnis zwischen Deutschland und dem Iran. Das müsse enden und gezielte Sanktionen folgen, fordern Aktivistinnen wie Samaneh.
Denn den Wirtschaftsbeziehungen haben die Unruhen und die grausamen Bilder keinen Abbruch getan. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass deutsche Unternehmen allein von Januar bis Ende Oktober 2022 Waren im Wert von rund 1,2 Milliarden Euro in den Iran exportiert haben. Importiert wurden Waren im Wert von rund 260 Millionen Euro. Informationen der Deutsch-iranischen Industrie- und Handelskammer zufolge ist Deutschland noch immer der größte Handelspartner des Iran in ganz Europa.
Politische Patenschaften für Inhaftierte im Iran
Wer das Geschehen im Iran über die Sozialen Medien verfolgt, stößt seit einigen Wochen vermehrt auf Politikerinnen und Politiker, die politische Patenschaften für Inhaftierte Demonstrierende im Iran übernehmen.
Ein Großteil der Patenschaften für die Inhaftierten Protestierenden im Iran wurde von einem Kollektiv um die Aktivistinnen Daniela Sepehri, Mariam Claren und Mina Khani ehrenamtlich organisiert. 150 Patinnen und Paten (Stand 23.12.) sind innerhalb knapp eines Monats ihrem Ruf gefolgt. Politische Patenschaften sind auch eine Initiative der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), mit der sich die Aktivistinnen koordiniert haben.
Kampf für rechtmäßige Gerichtsverfahren
Eine der ersten, die eine solche politische Patenschaft übernommen hat, ist die Aachener SPD-Abgeordnete Ye-One Rhie. Unter ihrer Obhut hat sie den Rapper Toomaj Salehi, einen der bekanntesten Inhaftierten im Iran. Salehi wurde angeklagt wegen "Korruption auf Erden" und "Krieg gegen Gott". Anklagepunkte, für die man im Iran zum Tode verurteilt werden kann. "Wir warten auf dieses Urteil und kämpfen dafür, dass Toomaj ein rechtmäßiges Verfahren bekommt", sagt Rhie auf Anfrage des MDR. Als sie die Patenschaft übernommen habe, habe sie nicht gewusst, wer ihr Schützling sei. "Ich bekomme viele Nachrichten von so vielen Menschen: alte und junge, Frauen und Männer. Viele nennen ihn den 'Sohn der Nation' (...) und erzählen, was für einen Einfluss Toomaj auf das Land und die Menschen hat. Eine junge Frau schrieb, Toomaj Salehi sei wie der große Bruder, den sie sich in der misogynen Gesellschaft Irans immer gewünscht hat", erzählt die Bundestagsabgeordnete.
Unermüdlich setzt Ye-One Rhie Tweets ab. Einen nach dem anderen, kaum einer dreht sich nicht um die Verbrechen des Mullah-Regimes. Doch ihr Engagement beläuft sich auf mehr als Beiträge in den Sozialen Medien: "Ich habe insgesamt bisher sieben Briefe an den iranischen Botschafter in Berlin geschrieben. Außerdem an unsere Außenministerin, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, den EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte, die Menschenrechtskommissarin des Europarates, die Oberste Justizautorität des Irans sowie den iranischen Außenminister", sagt Rhie. Ihr Ziel sei, durch höchstmögliche Aufmerksamkeit Druck auf das Regime auszuüben. "Wir wollen die Freilassung aller Politischen Gefangenen. Konkret für Toomaj Salehi fordere ich seine Freilassung, seine medizinische Versorgung und Zugang zu ihm, so dass ich mir persönlich ein Bild von seinem Gesundheitszustand machen kann."
Eine junge Frau schrieb, Toomaj Salehi sei wie der große Bruder, den sie sich in der misogynen Gesellschaft Irans immer gewünscht hat.
Ye-One Rhie weiß, dass eine politische Patenschaft nicht alle Probleme lösen kann, betont aber die bereits spürbaren positiven Effekte: "Die Menschen im Iran wissen, dass wir hinschauen und dass uns nicht egal ist, was dort für Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Und auch das Regime weiß, dass wir hinschauen. Sie nehmen unsere Patenschaften wahr und reagieren darauf." Einer ihrer Kollegen sei aus "regimefreundlichen Kreisen" bereits als Lügner beschimpft worden, sagt Rhie. "Das ist für uns ein klares Zeichen: Die nehmen das wahr und finden das gar nicht gut. Also auch ein Erfolg."
Linkes Engagement aus Mitteldeutschland
Verglichen mit dem bundesdeutschen Durchschnitt sind die Stimmen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen eher rar gesät. Hier sind es es vor allem drei Abgeordnete der Linken, die ihre Positionen als politische Paten nutzen: Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow und sein Kollege Benjamin-Immanuel Hoff sowie die sächsische Linken-Politikerin und MdB Caren Lay.
"Das Herstellen von Öffentlichkeit ist eine starke Waffe. Die Verbrechen des Mullah-Regimes dürfen nicht ungesehen bleiben", sagt Lay. Sie habe Briefe an das Auswärtige Amt und an den iranischen Botschafter geschrieben, in denen sie das "ungerechte Verfahren anprangere und um Unterstützung bitte, die Freilassung von Ali Moazemi, mindestens aber den direkten Kontakt zu erreichen."
Ramelow: Die Welt sieht nicht weg
Von einem für das erbarmungslos agierende Regime beispielhaften Fall berichtet der thüringische Minister Benjamin-Immanuel Hoff. Sein Pate ist Akbar Ghaffari. Das Verbrechen, das er begangen haben soll: Er habe Protestierende gegen das Regime, die vor den Sicherheitskräften fliehen mussten, in sein Haus gelassen.
"Er wurde verhaftet und gefoltert. Unter Folter unterschrieb er eine vom Regime verfasste sogenannte Selbstbezichtigungserklärung. Darin wird fälschlicherweise behauptet, er habe einen Angehörigen der Sicherheitskräfte erschossen. Akbar Ghaffari ist dem Vernehmen nach des Lesens und Schreibens nur unzureichend oder gar nicht mächtig, er konnte also den Umfang dieser gefälschten Selbstbezichtigungserklärung nicht erfassen", sagt Hoff.
Wir wissen, was im Iran passiert und wir werden nicht schweigen, wenn Menschen mit Leib und Leben bedroht werden.
Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht von einem "bescheidenen Beitrag, um die Menschen zu unterstützen, die ihr Leben für ihre Freiheit bereit sind, zu opfern." Auch seinem Paten, dem inhaftierten Journalisten und Aktivisten Heshmatollah Tabarzadi, wird "Krieg gegen Gott" zur Last gelegt. Auch Ramelow appelliert schriftlich an den iranischen Botschafter. Deutschland müsse Druck auf die iranische Regierung aufbauen, sagt Ramelow dem MDR, und das Signal senden: "Die Welt sieht nicht weg. Wir wissen, was im Iran passiert und wir werden nicht schweigen, wenn Menschen mit Leib und Leben bedroht werden."
Überparteiliches Engagement aus fast allen Lagern
Mittlerweile haben Abgeordnete vieler Parteien (außer der AfD) Patenschaften übernommen, allen voran der SPD, Grünen und Linken, aber auch Mitglieder der CDU/CSU und der FDP haben Initiative ergriffen.
"Wenn wir so auch nur ein Leben retten können, ist das ein großes Glück. Ich freue mich sehr, dass wir zumindest hier überparteiliches Engagement sehen", sagt Dorothee Bär. Die CSU-Politikerin hat die Patenschaft für Makan Davari übernommen. Der 19-Jährige befindet sich seit zwei Monaten in Haft, weil er einem Mädchen geholfen hat, vor den Sicherheitskräften des Regimes zu fliehen. Auch er ist wegen "Korruption auf Erden", "Krieg gegen Gott" und Verschwörung angeklagt und hat ein Todesurteil zu befürchten. Sie versucht seinem Schicksal Aufmerksamkeit zu verschaffen. "Je bekannter ein Mensch ist, je mehr nachgefragt wird, desto schwerer fällt es dem Regime ihn verschwinden zu lassen", sagt Bär.
"Jede weitere Hinrichtung ist wie ein Brandbeschleuniger"
Ähnlich sieht das ihre CDU-Kollegin Julia Klöckner. Sie ist politische Patin der Sportlerin und dreifachen Mutter Fahime Karimi, der vorgeworfen wird, Proteste im Iran angeführt zu haben. "Die Menschen, die friedlich für die Freiheit auf die Straße gehen und ihren Protest zum Ausdruck bringen, haben unseren politischen Rückhalt. Auch das möchten wir mit den politischen Patenschaften ausdrücken", sagt Klöckner dem MDR.
Der FDP-Politiker Ulrich Lechte aus dem bayerischen Regensburg wurde über die Aktivistin Daniela Sepehri und seine Bundestagskollegin Ye-One Rhie auf die Patenschaften aufmerksam. Ihm gehe es vor allem um die Sensibilisierung, sagt Lechte: "Hinter den Zahlen, die in den Medien genannt werden, stehen echte Menschen (...). Auf den Einzelfall aufmerksam zu machen und über Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten, kann das Regime dazu bewegen, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen." Durch mediale und politische Aufmerksamkeit steige auch der Druck auf das Regime. "Jede weitere Hinrichtung ist wie ein Brandbeschleuniger. Indem wir Namen, Alter und die Hintergründe wissen, können diese Menschen nicht einfach so von der Bildfläche verschwinden", sagt Lechte.
Mindestens 26 Menschen droht die Hinrichtung
Stellt man die Zahl der vermittelten Patenschaften neben die der Inhaftierten, wirkt sie wie eine Mücke neben einem Elefanten. Menschenrechtsorganisationen zufolge wurden im Zuge der Protestbewegung im Iran schon mindestens 18.000 Menschen inhaftiert, die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Weil das Internet im Moment immer weiter gedrosselt wird, wird es immer schwieriger, Kontakte ins Land zu halten.
In Verbindung mit den landesweiten Protesten droht laut Amnesty International mindestens 26 Menschen die Hinrichtung. Mindestens elf Personen sind demnach zum Tode verurteilt worden. 15 werden Straftaten vorgeworfen, die in der Islamischen Republik Iran mit der Todesstrafe geahndet werden.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 18. Dezember 2022 | 15:03 Uhr