Mut statt Resignation Wie eine Iranerin ihre Heimat verließ - und sich nun in Weimar für sie einsetzt
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15. Dezember 2022, 19:00 Uhr
"Frau, Leben, Freiheit" ist der Slogan, mit dem die Iranerinnen und Iraner seit Wochen auf die Menschenrechtsverletzungen durch das Regime der Islamischen Republik aufmerksam machen. Weltweit werden sie dabei unterstützt, auch von einer jungen Iranerin in Weimar.
Schon seit fünf Jahren lebt Mahsa Nejadfallah in Weimar und trotzdem sind ihre Erinnerungen an ihr Leben im Iran noch ganz frisch. Noch immer hat sie Angst, wenn Polizisten sie ansprechen, noch immer erschrickt sie, wenn irgendjemand sie auf dem Bahnhof oder auf der Straße anhalten will. "Sogar in einem Theaterstück, in dem mich eine Moralpolizistin angesprochen hat, reagierte mein Körper mit Stress - ich konnte einfach nicht mehr atmen!"
Alltägliche Diskriminierung im Iran
Mahsa ist 35 Jahre alt, hatte im Iran Regie studiert. Einen Job fand sie nicht. "Bewerbungsgespräche laufen dort anders. Zunächst musst du im Hijab erscheinen, sonst gibt es gar kein Gespräch. Und dann fragen sie dich nicht nach deiner Ausbildung oder Berufserfahrung, sie wollen wissen, wie oft du täglich betest und wie du die Regeln der Religion befolgst."
Da Mahsa aber nicht religiös ist, führte das immer wieder zu Konflikten. Dazu kam, dass es zunehmend schwerer wurde, sich frei zu bewegen, erzählt sie. Als sie einmal unterwegs zu einem wichtigen Termin war, hielt die Moralpolizei sie an, weil sie einen Ring am Daumen trug und ihr Hijab nicht richtig saß. "Ich wurde zu einem Van gebracht und dort sollte geprüft werden, ob das mein erster Verstoß war. Angeblich funktionierte die Technik aber nicht und man brachte mich auf die Polizeistation."
Dort, so erinnert sie sich, ging man sehr respektlos und unfreundlich mit ihr um. Sie musste sehr lange warten, wurde immer wieder befragt und herumgeschubst. "Weil es aber meine erste Verhaftung war, konnte ich dann nach Hause. Aber erst, als ich mich schriftlich entschuldigt hatte und versprach, mich künftig korrekt zu kleiden." Und man gab ihr dort auch einen "korrekten" langen Mantel für den Heimweg.
Unsere Generation hat völlig resigniert.
"Es gab einfach immer Stress. Sie dürfen dich jederzeit ansprechen, respektlos mit dir reden und schimpfen. Wenn du dich verteidigen wolltest, hat es das nur schlimmer gemacht."
Auswandern als einzige Lösung
Irgendwann konnte sie das alles nicht mehr aushalten und beschloss, ins Ausland zu gehen. Dazu kam, dass sie sich beruflich weiter entwickeln wollte. Als einzige Tochter war es aber nicht so einfach, ihren Eltern die Erlaubnis dafür abzuringen. Ihr Ziel war die Bauhaus-Uni Weimar, "weil die weltweit einen so guten Ruf hat". Es folgten ein Sprachkurs, die Wohnungssuche und schließlich konnte sie visuelle Kommunikation studieren.
Das war 2017. Zuvor hatte sie sich im Iran schon engagiert - im Umweltschutz, für Frauenrechte. Aber sie hatte aufgegeben. "Unsere Generation hat völlig resigniert. Wir haben die Hoffnung verloren, etwas ändern zu können. Da war zu viel Angst."
Mahsa ist begeistert, dass die junge Generation jetzt so viel mehr Energie hat, so viel mehr Hoffnung auf Veränderungen. "Es sind ja nicht nur die Proteste - immer mehr Frauen sieht man jetzt ohne Kopftuch. Die sind so mutig!"
Viele ernste Probleme im Iran
Einmal nur hat sie in den vergangenen fünf Jahren ihre Familie im Iran besucht und mit dem neuen Abstand sind Mahsa noch viel mehr Probleme aufgefallen. "Es ist alles so teuer geworden, viele Dinge bekommt man gar nicht mehr. Die Gesichter der Menschen waren so traurig!"
Von den Schäden an der Umwelt oder an den Kulturschätzen des Iran will sie gar nicht erst anfangen zu sprechen. "Irgendwie scheint das Fass jetzt übergelaufen zu sein. Erst sah es aus wie Protest, und jetzt ist es eine Revolution."
Mahsa hat früher auch nie gesehen, dass die Menschen im Iran so zusammenstehen. "Ich habe noch nie eine solche Solidarität erlebt." Und das nicht nur im Iran selber, sondern auch international. Viele Iranerinnen und Iraner, die im Ausland leben, organisieren Kundgebungen, schreiben offene Briefe, machen immer wieder auf das aufmerksam, was im Iran passiert.
Unterstützung weltweit
Kürzlich hatten mehr als 100 Universitäten in aller Welt am gleichen Tag Demos organisiert. Sie wollten den Menschen im Iran eine Stimme geben. Denn für Mahsa und ihre Freunde reagiert die Politik viel zu verhalten. "Vielleicht liegt das an den wirtschaftlichen Interessen. Aber Menschenrechte und Demokratie sollten doch wichtiger sein als Geld und Öl!"
Und deshalb ist Mahsa bei den Aktionen der iranischen Community immer dabei. Auch wenn das heißt, dass sie ihre Familie vorerst nicht sehen kann. "Solange dieses Regime an der Macht ist, kann und will ich nicht in den Iran. Das ist zu gefährlich."
Mut macht ihr, dass immer mehr Menschen sich den Protesten anschließen. Auch wenn nicht wirklich klar ist, wie es weitergehen soll. Und gerade deshalb hätte sie sich auch mehr Unterstützung gewünscht von ihrer neuen Heimatstadt: "Wir haben den Oberbürgermeister auch zur Campus-Rally eingeladen, aber es kam eine Absage." Das passt für Mahsa nicht zu einer Kulturstadt, die gerade erst ihren Menschenrechtspreis verliehen hat.
Am Rande der Preisverleihung hat sie OB Peter Kleine deshalb angesprochen und sie haben verabredet, dass er demnächst mit Vertreterinnen und Vertretern der iranischen Community in Weimar über das Thema reden wird. Immerhin leben knapp 180 Menschen aus dem Iran in der Klassikerstadt.
Die Namen hinter den Schicksalen
Die Zahlen der Menschen, die bei den Protesten getötet wurden, schwanken je nach Quelle. Von mehr als 400 ist aber fast überall die Rede. Die Demonstranten hier in Weimar haben ihre Namen und Bilder ausgestellt. Vereinzelt wurde zwar in deutschen und internationalen Medien über deren Schicksale berichtet, ihre Namen aber kennt hier niemand. Abgesehen vielleicht von Jina Mahsa Amini, deren Tod in Polizeigewahrsam Mitte September die jüngste Protestwelle im Iran ausgelöst hatte.
Eskaliert sind die Sorgen der Iraner im Ausland um ihre Freunde und ihr Land Anfang November. 227 der 290 iranischen Parlamentsmitglieder hatten dafür votiert, die Protestierenden als "Mohareb" (etwa: Krieger gegen Gott) zu verurteilen, eines der härtesten Urteile nach iranischem Recht.
Seitdem wächst international die Sorge vor massenhaften Todesurteilen gegen Iranerinnen und Iraner, die sich an Protesten beteiligt haben oder denen das Regime eine solche Beteiligung unterstellt. Erste Todesurteile wurden bereits gefällt und auch vollstreckt.
Außerdem sind viele politische Aktivisten, Journalisten, aber auch Privatpersonen inhaftiert, etwa die zum Tod verurteilten LGBTIQ-Aktivistinnen Zahra Seddiqi Hamedani und Elham Choubdar oder der Rapper Toomaj Salehi.
Massenhinrichtungen bereits 1988
Bei vielen Iranerinnen und Iranern wecken die derzeitigen Entwicklungen traumatische Erinnerungen: Im Jahr 1988 hatte das iranische Regime schon einmal Tausende politische Häftlinge hingerichtet. Bis heute sind die Vorgänge von damals nicht aufgearbeitet, selbst die Angaben zu den Zahlen der Ermordeten schwanken je nach Quelle und die Verantwortlichen wurden nie zur Rechenschaft gezogen.
Zurück zu Freiheit und Demokratie
Für Mahsa ist es erschreckend, mit wie viel Gewalt das Regime derzeit gegen das eigene Volk vorgeht: "Die haben einfach so viel Angst, die sehen, dass das nicht von selber wieder aufhört." Sie hofft, dass im Iran bald keine Menschen mehr auf den Straßen und in den Gefängnissen sterben müssen und dass ihr Heimatland zurückfindet zu Freiheit und Demokratie. Mahsa jedenfalls wird dazu beitragen, so viel sie kann.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 18. Oktober 2022 | 19:00 Uhr
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