Partei-Verbotsverfahren "Es ist kein Mittel, um unliebsame Parteien loszuwerden"

21. Dezember 2023, 05:00 Uhr

Nach der Einstufung des AfD-Landesverbandes Sachsen als rechtsextremistisch hat die Debatte um ein Verbotsverfahren neue Fahrt aufgenommen. Peter Michael Huber hat 2017 als Verfassungsrichter in Karlsruhe beim letzten Urteil bei einem Parteiverbotsverfahren mitgewirkt. Damals ging es um die NPD, die schlussendlich nicht verboten wurde, da sie aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zu klein und unbedeutend war. Nun erklärt Huber im Interview, warum es bei der AfD anders sein könnte.

Zur Person: Peter Michael Huber war von 2010 bis Anfang 2023 als Richter beim Bundesverfassungsgericht tätig und wirkte dabei unter anderem am zweiten NPD-Verbotsverfahren mit, welches 2017 eingestellt wurde. Vor seiner Arbeit in Karlsruhe war Huber ein Jahr Innenminister für die CDU im Kabinett Lieberknecht in Thüringen. Seit 2002 hat er zudem den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne.

Frage: Wann lässt es das Grundgesetz zu, eine Partei zu verbieten?

Antwort Peter Michael Huber: "Das Grundgesetz will eine Vielfalt an Parteien, damit das Volk seine politischen Präferenzentscheidungen sozusagen in möglichster Breite verwirklichen kann. Und das sieht als letztes Mittel ein Parteiverbot vor. Das hat das Verfassungsgericht in allen Entscheidungen, in denen es bisher um Parteiverbote ging, immer wieder deutlich hervorgehoben."

Wann dürfte es nicht eingesetzt werden?

"Dies ist kein alltägliches Mittel. Es ist kein Mittel, um unliebsame, lästige, unappetitliche, blöde Parteien loszuwerden oder die Konkurrenz sozusagen zu verengen. Sondern nur, wenn letztlich Gefahr für die Ordnung der Bundesrepublik Deutschland droht, nicht für die Mehrheitsverhältnisse irgendwelcher regierenden Konstellationen."

Wann wären die Voraussetzungen für ein Parteiverbotsverfahren erfüllt?

"In unserer Entscheidung zum NPD-Verbotsverfahren haben wir gesagt: Es sind zwei Tatbestandsvoraussetzungen, die sich dem Artikel 21 entnehmen lassen. Eine Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder ein Widerspruch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung."

Zum Artikel 21 des Grundgesetzes: Die Parteien erhalten im Grundgesetz einen besonderen Status. Durch diesen Verfassungsstatus werden sie als bedeutende Bestandteile des demokratischen Geschehens anerkannt. Danach besitzen Parteien die Funktion, an der politischen Willensbildung des Volks mitzuwirken.

Was sind die Kriterien für eine Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung?

"Wir haben ausgehend von der Verfassungsidentität und der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes gesagt: Es ist die Menschenwürde als Kern unserer Grundrechtsordnung, es ist die Demokratie, also die Herrschaft nach Maßgabe der Mehrheit des Volkswillens. Und es ist die grundsätzliche rechtsstaatliche Einhegung dieser Demokratie, dass Mehrheitswillen sich nicht über Minderheitenschutz, Grundrechte, unabhängige Gerichte und anderes hinwegsetzen kann. Also alles das, was den Rechtsstaat ausmacht."

Was sind die Kriterien für einen Widerspruch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung?

"Das zweite war inspiriert durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Parteiverbotsverfahren in anderen europäischen Ländern: Es muss eine realistische Chance geben, dass sie diese Gefährdung für die freiheitlich demokratische Grundordnung umsetzen. Bei der NPD haben wir damals gesagt, die sind so unbedeutend, dass ein solches Risiko nicht einmal ersichtlich ist."

Bei der NPD haben wir damals gesagt, die sind so unbedeutend, dass ein solches Risiko nicht einmal ersichtlich ist.

Peter Michael Huber Ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht

Die NPD war also zu klein! Das wäre bei der AfD kein Aspekt mehr…

"Das macht die Sache natürlich auch schwieriger. Eine unbedeutende Partei kann man leichter verbieten als eine, die flächendeckend vorhanden ist. Aber das Grundgesetz will halt in erster Linie einen offenen, demokratischen Diskurs. Und da wir jetzt über die AfD reden: Das Migrationsproblem haben halt alle anderen Parteien über zehn Jahre nicht thematisiert. Da ist logisch, dass sich eine Bevölkerung, die das als großes Problem empfindet, ein demokratisches Ventil sucht.

Ob die das dann bei der richtigen Partei gemacht haben, ist eine andere Frage. Darüber will ich jetzt nicht reden und will auch nicht sagen, dass die AfD die richtige Partei ist."

Zurück zu einem möglichen Parteiverbot: Ist es nicht paradox, dass die NPD zu klein war und die AfD nun zu groß für ein Verbot sein könnte?

"Ja, je größer die Partei ist, umso schwieriger wird es sein, auch Akzeptanz für ein solches Verbot zu finden. Aber das ist letztlich auch der Preis für eine offene und demokratische Gesellschaft. Es sollte eben nicht vorab abgetötet werden, was der Mehrheit missliebig ist."

Je größer die Partei ist, umso schwieriger wird es sein, auch Akzeptanz für ein solches Verbot zu finden.

Peter Michael Huber Professor für Staatsphilosophie

Wer kann so ein Verfahren in die Wege leiten?

"Es gibt drei Antragsberechtigte für ein Parteiverbot: Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Die Bundesregierung hat ja auch den Verfassungsschutz sozusagen in der Hinterhand, über den sie Informationen sammeln kann. Es ist dann auch ihre Aufgabe, wenn es eine Gefährdung gibt, den richtigen Moment sozusagen abzupassen."

Wie würde so ein Verbotsverfahren dann ablaufen?

"Das Verfahren ist sehr anspruchsvoll, weil das Bundesverfassungsgericht in diesem Verfahren tätig werden und selber ermitteln muss, ob Gefährdungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung tatsächlich vorliegen."

Wie kann das aussehen?

"In dem NPD-Verbotsverfahren hat einer der beiden Prozessvertreter des Bundesrats beispielsweise eine Sommerreise durch Mecklenburg-Vorpommern gemacht und hat nach national befreiten Zonen gesucht: Um zu identifizieren, ob die Voraussetzungen – Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung – vorliegen."

Da reicht der oberflächige Blick nicht aus…

 "Es ist ja häufig so, dass die Programmatik weißgewaschen oder frisiert ist, so dass man das nicht unmittelbar sieht, wo die Gefährdungen stecken. Man muss auch hinter die Kulissen gucken und schauen, was die einzelnen Funktionsträger gesagt haben. Ob das, was die Funktionsträger gesagt haben, im Suff gesagt worden ist oder auf Parteitagen oder gar in Beschlüssen von Gremien Eingang gefunden hat."

Ändert die Einstufung des dritten AfD-Landesverbandes als gesichert rechtsextrem etwas in Sachen Verbotsverfahren?

"Also ich würde zumindest sagen, ohne Einstufung braucht man gar nicht anfangen darüber nachzudenken. Ob die Einstufung alleine schon reicht, da habe ich meine Zweifel. Ich kenne jetzt nicht die Unterlagen des Verfassungsschutzes. Ich habe aber aus meiner Zeit in Thüringen (als Innenminister) und als Staatsbürger und als Richter in Karlsruhe erlebt, dass der Verfassungsschutz natürlich häufiger auch mal falsch liegt."

Auch deshalb ermittelt das Bundesverfassungsgericht selbst und ein Verbotsverfahren ist das letzte Mittel?

"Das Parteiverbotsverfahren ist eigentlich ein irreguläres Instrument, was den demokratischen Diskurs verengt und sozusagen die Bürger auch bevormundet. Aber wenn es nötig ist, um die Ordnung zu verteidigen, dann muss es natürlich durchdacht werden."

Welche Folgen hätte ein Parteiverbot für die AfD?

"Sie würde aufgelöst: Ihr Vermögen würde eingezogen und es gäbe ein Wiederbetätigungsverbot. Sie würde halt zerschlagen, die Polizei würde die Geschäftsstellen schließen. Das Vermögen würde der Staatskasse zugeführt werden. So wie das halt bei der KPD damals auch gelaufen ist. Die Menschen wären natürlich trotzdem weiterhin da."

So ein Verbot hätte schon einen ziemlich reinigenden, katalytischen Effekt für unsere politische Situation.

Peter Michael Huber CDU-Politiker

Was meinen Sie damit?

"Die bloße Auflösung der AfD wird natürlich nicht verhindern, dass die Leute sich in irgendwelchen anderen Gremien sammeln oder neue Parteien gründen. Aber wenn Sie überlegen: Der Gründungsprozess der AfD begann irgendwie so ab 2012 mit den Finanzhilfen für südeuropäische Länder. Das war ja die Geburtsstunde. Das hat dann schon ziemlich lange gedauert, bis sie überhaupt eine Partei wurde. Erst 2017, also fünf Jahre später, sind sie in den Bundestag eingezogen. Und zur jetzigen Größe sind sie ja erst die letzten zwei, drei Jahre herangewachsen."

Wären Björn Höcke und andere damit vom politischen Wettbewerb ausgeschlossen?

"Sie dürfen natürlich morgen die nächste Partei gründen. Diese könnten sie dann 'BFD' nennen oder wie auch immer. Aber bis diese Strukturen dann so sind, dass man politisch agieren kann, da gingen mehrere Jahre ins Land."

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 13. Dezember 2023 | 20:15 Uhr

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