Unter der Lupe – die politische Kolumne AfD und Junge Alternative: Keine Trennung, sondern Verschmelzung
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07. Dezember 2024, 10:51 Uhr
Die AfD-Spitze will sich von ihrer Parteijugend trennen, um sie fester zu umarmen und der Partei anzugliedern. Das ist keine Auflösung, sondern eine Umstrukturierung. Der Bundesvorstand nennt es Kontrolle, die Drahtzieher in der Partei bezeichnen es als das, was es ist: ein "Schutzmantel". Die Sorge vor einem Verbot der rechtsextremen Jugendorganisation ist in der AfD groß. Doch die AfD-Spitze hat einen Fehler gemacht, meint MDR-Korrespondent Torben Lehning: Sie hat die Jugend nicht gefragt.
- Mit der geplanten Trennung von der AfD-Jugendorganisation will die Partei potenzielle Wähler beruhigen.
- Die Partei will die Junge Alternative unter ihre Fittiche nehmen, um ein Verbot zu verhindern.
- Die Mehrheit der JA-Landesvorsitzenden sind gegen eine Verschmelzung mit der Partei.
- Der Bundesvorstand der AfD steht nun ein angespannter Parteitag in Riesa bevor.
Sie sind jung, gut vernetzt – und rechtsextrem. Das sagt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Junge Alternative (JA), die Jugendorganisation der AfD, wirbt an Wahlkampfständen und auf Parteitagen mit ausländerfeindlichen und rassistischen Slogans und fordert, Deutsche mit Migrationshintergrund auszuweisen. JA-Vorsitzender Hannes Gnauck warnt im Wahlkampf vor einem "großen Bevölkerungsaustausch" – eine antisemitische Verschwörungserzählung.
Immer wieder fallen Mitglieder der JA dadurch auf, Kontakte auch zu anderen rechtsextremen Organisationen zu pflegen. Zuletzt wurden drei Mitglieder der AfD verhaftet, weil sie mutmaßlich der rechtsextremen Terrorgruppe Sächsische Separatisten angehört haben sollen. Der Gruppe wird vorgeworfen, einen gewaltsamen Systemumsturz und ethnische Säuberungen angestrebt zu haben. Zwei der drei Verhafteten waren JA-Mitglieder.
Schon lange wird die JA vom Verfassungsschutz beobachtet. Weil die Jugendorganisation ein Verein ist, könnte sie jederzeit von der Bundesinnenministerin Nancy Faeser als solcher verboten werden.
AfD will potenzielle Wähler beruhigen
Der AfD-Bundesspitze können diese Umtriebe nicht egal sein. Schließlich ist die Parteijugend die Zukunft der AfD. Die JA ist Kaderschmiede und Wahlkampforgan zugleich. JA-Mitglieder sitzen in Landtagen und im Bundestag, arbeiten in Abgeordnetenbüros und organisieren Mehrheiten auf Parteitagen. Ein Verbot der Jugendorganisation würde die AfD hart treffen.
Neugründung der AfD-Jugendorganisation Bislang sind ungefähr die Hälfte der Mitglieder der Jungen Alternative Parteimitglied der AfD. Das will der AfD-Bundesvorstand ändern und eine neue Jugendorganisation innerhalb der Partei gründen. Alle AfD-Mitglieder unter 36 Jahren sollen darin automatisch auch Mitglieder werden. Auch die bisherigen Mitglieder der Jungen Alternative sollen der neuen Jugendorganisation beitreten können, allerdings nur, wenn sie auch der Partei beitreten.
AfD-Parteichefin Alice Weidel verkauft den Beschluss des Bundesvorstandes, wonach die Parteijugend umstrukturiert und weiterentwickelt werden soll, als Disziplinierung. Das klingt so, als müsse man eine ungezügelte Truppe von Lausebengeln tadeln. Wenn alle JAler auch Parteimitglied werden müssen, könne man ihnen mit Schiedsgerichtsverfahren besser beikommen, sagt Weidel, und sie gegebenenfalls rauswerfen.
Weidels Botschaft: "Wir mäßigen unsere Jugend und somit uns selbst." Eine Beruhigungspille für potenzielle Wählerinnen und Wähler und all jene in der Partei, die tatsächlich noch Berührungsängste mit Rechtsextremismus haben. Wohl wissend, dass ganze Landesverbände der Partei als gesichert rechtsextrem eingestuft sind und der Zug zurück ins moderate Lager längst abgefahren ist.
Verbot der Jungen Alternative verhindern
Die Vordenker und Strategen der Partei planen schon lange, die Jugendorganisation unter ihre Fittiche zu nehmen. Nicht etwa, weil sie ihnen zu radikal wäre, sondern weil sie wohl zu wichtig ist, um verboten zu werden. Der Thüringer Landeschef Björn Höcke erklärte bereits im Februar, dieser Schritt sei notwendig, "um den Schutzmantel um sie herum auszubreiten. Das halte ich für wichtig und einen gangbaren Weg".
Auch JA-Vorsitzender Gnauck, der ebenfalls Mitglied im AfD-Bundesvorstand ist, hat gemeinsam mit seinen Mitstreitern im Bundesvorstand, Dennis Holoch und Alexander Jungbluth, für die Umstrukturierung der Jugendorganisation gestimmt. Jetzt werben sie Seite an Seite mit Tino Chrupalla und Weidel für eine Mehrheit auf dem kommenden Parteitag in Riesa. Zwei Drittel der Delegierten müssten dort im Januar für den Vorschlag des Bundesvorstands stimmen, um Partei und Jugend zu verschmelzen. Die Sache hat einen Haken: Große Teile der Parteijugend wollen nicht mitspielen.
Mehrheit der JA-Landesvorsitzenden gegen Verschmelzung
Vielleicht fühlen sie sich übergangen, vielleicht wollen sie einfach mal die Muskeln spielen lassen, vielleicht gefällt ihnen das von der Bundespartei gesetzte Narrativ der Kontrolle nicht. Über die Gründe lässt sich viel spekulieren.
Fest steht: Die Mehrheit der JA-Landesvorsitzenden stellt sich gegen den Beschluss des Bundesvorstandes. In einem Brief an ihre Mitglieder, der MDR AKTUELL vorliegt, beschweren sich die JAler, dass solch ein Schritt nicht kurz vor der Bundestagswahl "zwischen Tür und Angel" beschlossen werden könne – ein klares Misstrauensbekenntnis gegen Gnauck. Die Parteispitze habe den Rest der JA-Führung nie in diesen Schritt eingeweiht. Es leuchte nicht ein, dass die Junge Alternative "von allen Beteiligten als letzte über konkrete Vorstellungen informiert wird", heißt es im Brief.
Der Bundesvorstand in der Klemme
Weidel, Gnauck und Co. steht damit ein heißer Parteitag in Riesa bevor. Jetzt ihren JA-Beschluss zurückzuziehen, würde die Bundesspitze schwach erscheinen lassen. Die Abstimmung zu verlieren, nachdem die eigene Jugend hinter vorgehaltener Hand als "zu radikal" hingestellt wurde, ließe unentschlossene Wähler und Verfassungsschützer tief ins Herz der Partei blicken. Eine Lösung muss her, ist aber nicht in Sicht. Es wird zum Showdown kommen, kurz vor der Bundestagswahl.
Wenn für die AfD alles schlecht läuft, gründet sie eine neue Jugendorganisation, die alte bleibt aber bestehen. Im Resultat hätte die AfD eine offizielle und inoffizielle Jugendorganisation – beide mit Führungsanspruch. Wenn es im Sinne des Bundesvorstandes läuft, lässt sich all das durch reichlich Absprachen hinter den Kulissen verhindern.
Alle Selbstmäßigungsdebatten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht die rechtsextreme Jugendorganisation das Problem der AfD ist: Es ist die AfD selbst. Das wird sich auch kaum durch eine Andockung der Jugend an die Partei ändern.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 07. Dezember 2024 | 06:05 Uhr