Junge Leute auf einem Bahnsteig haben ihre Häupter gen Smartphone gesenkt.
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Social Media Junge AfD-Wähler: Was die anderen Parteien verschlafen haben

19. Oktober 2024, 05:00 Uhr

Bislang galt, dass junge Menschen eher linke Parteien wählen. Allerdings scheint sich das geändert zu haben. Schon bei den letzten Europawahlen konnte die AfD in Sachsen-Anhalt besonders bei jungen Leuten punkten. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wählte jeder Dritte unter 30 die AfD. Plötzlich gilt die Partei bei vielen jungen Leuten als cool. So wollen die Nachwuchsorganisationen der anderen Parteien auf diese Entwicklung reagieren.

Kommentar Wittstock Reformationstag
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Wer politisch Karriere machen will, der muss schon früh beginnen, am besten in einer der Jugendorganisationen der Parteien. Es geht allerdings nicht nur um Nachwuchsgewinnung, sondern auch darum, den Kontakt zu jungen Leuten nicht zu verlieren. Blickt man allerdings auf die letzten Wahlergebnisse, dann scheint das nicht mehr so richtig überzeugend zu funktionieren.

Das räumt auch Konstantin Pott ein, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen. "Das Engagement wird nicht mehr so stark von Parteien geprägt, sondern man sammelt sich stärker in einzelnen Interessensgruppen. Das sind Organisationen, die lieber auf Demonstrationen oder andere Aktionen setzen." Die Lust auf politische Basisarbeit mit Versammlungen, Anträgen und Beschlüssen sei nicht sehr ausgeprägt.

Konstantin Pott beim Landesparteitag der FDP
Konstantin Pott Bildrechte: MDR/Karsten Kiesant

Diese Beobachtung teilt Philipp Schulze von Sachsen-Anhalts Linksjugend: "Die Hemmschwelle, sich politisch zu engagieren und zu positionieren, ist außerhalb der sozialen Medien recht hoch." Die Junge Union in Sachsen-Anhalt sucht deshalb auch nach neuen Wegen, junge Leute zu interessieren, so JU-Landeschefin Anna Kreye: "Um die Sichtbarkeit zu erhöhen, setzen wir auf Aktionen wie Müllsammeltage oder Spielplatzrenovierungen. Dabei laden wir auch Nicht-Mitglieder zur Teilnahme ein."

Problemfeld online

Die Lebenswelt junger Menschen ist geprägt von den klassischen Strukturen wie Familie, Freundeskreis oder Schule, aber eben mindestens genauso stark von Social Media. Philipp Schulze von der Linksjugend sieht da jedoch ein gravierendes Problem: "Weil die Bildungspolitik die Digitalisierung komplett verpennt hat, fehlt nun in der Schule die Weitergabe von Kompetenzen in Bezug auf Medien."

Als andere Parteien jedoch noch auf die klassischen Medien setzten, erkannte die AfD frühzeitig das Potenzial der neuen Plattformen. Und vor allem erkannte die AfD sehr schnell die Wirkungsweise, setzt also auf Aufregung statt auf Aufklärung, erklärt JU-Landeschefin Anna Kraye: "Die AfD schafft es, politische Botschaften sehr vereinfacht und polarisierend zu kommunizieren. Dadurch gelingt es der Partei, eine breite Masse an Menschen mit ihren Botschaften zu erreichen."

Anna Kreye (CDU), Landesvorsitzende der Jungen Union Sachsen-Anhalt
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Auch bei den Jusos, der Nachwuchsorganisation der SPD, beobachtet man diese Entwicklung mit einiger Sorge, erklärt Niklas Gerlach, einer der beiden Juso-Landeschefs: "Die AfD ist online so stark, weil sie dort falsche und populistische Antworten auf komplexe Fragen gibt, die sich gut und in 30 Sekunden erklären lassen." So schaffe sie eine eigene Blase, die allerdings nichts mit der Realität zu tun habe.

Handy 28 min
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Gegenstrategien gesucht

Bislang vermeiden es die übrigen Parteien, die Kommunikationsstrategien der AfD zu übernehmen, auch wenn es der AfD gelungen ist, in einigen Bereichen wie etwa der Migrationspolitik die Deutungshoheit zu erlangen. Aber auch die Idee einer besseren Aufklärung scheitere oft am Nutzungsverhalten junger Leute. Das zumindest ist die Beobachtung von Philipp Schulze, dem Landeschef der Linksjugend: "Da werden Falschmeldungen konsumiert, ohne das gegen zu checken. Warum auch bei einem 30-sekündigen TikTok-Video, wenn die Recherche halt länger dauert, als das Video."

Konstatin Pott von den Jungen Liberalen sieht in der gegenwärtigen Situation aber auch ein Versäumnis der übrigen Parteien. Statt auf neue Formate zu setzen habe man nun den Anschluss verloren: "Die AfD hat es sehr gut verstanden, sehr frühzeitig, viel Geld und viel Aufwand in Online-Wahlkampf zu investieren, über die sozialen Netzwerke in erster Linie. Und das wurde von anderen Parteien zu lange eher stiefmütterlich behandelt." Mit Werbespots in Radio oder Fernsehen erreiche man jedenfalls kaum noch junge Leute.

Ist die AfD eine Partei von Scheinriesen?

Von den Wahlerfolgen her gesehen ist die AfD im Sendegebiet des MDR sicherlich eine Volkspartei. Bei den Mitgliederzahlen hingegen zeigt sich das weniger, auch wenn die AfD inzwischen die Grünen in Sachsen-Anhalt hinter sich gelassen hat. Anfang des Jahres übersprang der AfD-Landesverband die Grenze von 2.000 Mitgliedern.

Niklas Gerlach von den Jusos Sachsen-Anhalt beobachtet die Entwicklung sehr genau, insbesondere was die Mitgliedschaft von jungen Leuten angeht: "Die AfD steht bei ihren Mitgliedern in Bezug auf junge Menschen extrem schlecht da. Das sieht bei den anderen Parteien deutlich besser aus." Tatsächlich gibt die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative bundesweit nur 2.500 Mitglieder an. Man ahnt, dass es sich in Sachsen-Anhalt nicht gerade um eine Massenorganisation handeln kann.

Niklas Gerlach
Niklas Gerlach Bildrechte: picture alliance / dts-Agentur

Einerseits wird die Junge Alternative in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz beobachtet, doch aus Sicht von Niklas Gerlach kommt noch ein weiteres Problem hinzu. "Wenn junge Leute mitmachen sollen, dann müssen sie ihre eigenen Interessen erkennen und die auch in den Parteien vertreten sehen." Das sei eben in der AfD nicht der Fall.

Was tun?

Aber auch in den anderen Landtagsparteien stehen die Themen der jungen Generation nicht unbedingt im Fokus. Das räumt auch Konstantin Pott von den Jungen Liberalen ein. Wenn es zum Beispiel darum gehe, neue Schulden zu machen, dann werde nur sehr selten gefragt, wer diese letztendlich zu bezahlen habe. Zudem plädiert er dafür, in der Auseinandersetzung mit der AfD nicht unablässig im Alarmmodus zu handeln: "Man muss nicht über jede Provokation springen. Man muss auch nicht selber um jeden Preis immer wieder provozieren in der politischen Debatte." Wichtiger sei eine lösungsorientierte Diskussion.

JU-Landeschefin Anna Kraye sieht aber noch ein weiteres Problem, auch mit Blick auf die nächsten Wahlkämpfe: "Das Wecken unrealistischer Erwartungen ist ein Katalysator für die Politikverdrossenheit. Deshalb gilt es, auch die Grenzen politischen Handelns deutlich zu machen und sich zu trauen, an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen zu appellieren."

Von Linkspartei bis CDU mangelt es in den Jugendorganisationen nicht an Erkenntnissen. Bis zur nächsten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt sind noch zwei Jahre Zeit. Und zumindest gibt es dann keinen Grund mehr, sich über einen möglichen Wahlerfolg der AfD bei jungen Wählern überrascht zu zeigen.

MDR (Uli Wittstock, Oliver Leiste)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. Oktober 2024 | 12:00 Uhr

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