Fahne mit der Aufschrift Junge Alternative Thueringen
Die "Junge Alternative" - die Jugendorganisation der AfD - wird vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Parteien AfD-Jugend "Junge Alternative": Bürgerlich auftreten, rechtsextreme Ideologie verbreiten

16. Juli 2024, 21:34 Uhr

Seit Mai beobachtet der Verfassungsschutz die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) als "gesichert rechtsextrem" - und das nicht nur in Thüringen. Zwei Fälle aus Erfurt zeigen, wie JA-Aktivisten ihre rechtsextreme Ideologie in die Gesellschaft tragen.

"Make Germany White again": "Macht Deutschland wieder weiß" "Better dead than red", also "Besser tot als rot". "Weiß ist bunt genug" - diese Neonazi-Parolen stehen unter anderem auf den Aufklebern, die Alina J. auf ihrem privaten Instagram-Account gepostet haben soll. Das Profil kommentierte das Foto der Aufkleberstapel mit "geile Aufkleber" - kein Einzelfall.

Auch Propaganda der rechtsextremen Partei "Die Heimat" - ehemals NPD - teilte das Profil, das mutmaßlich Alina J. gehört. Dort beschrieb sie sich augenscheinlich als "assimiliert". Versehen war das Profil mit dem Neonazi-Code "1161". Die Zahlen 1 und 6 stehen dabei für den ersten und sechsten Buchstaben im Alphabet - A und F. Daraus ergibt sich AAFA, eine Abkürzung für "Anti-Antifa". Doch Alina J. ist weit mehr als eine weitere Thüringer Neonazi-Aktivistin - der Fall ist komplizierter.

"Ausländerin" als rechtsextremes Aushängeschild

Im Dezember 2023 gab die gebürtige Litauerin einem Moderator des rechtsextremen Kanals "Compact TV" ein Interview - in Trainingsjacke mit Bundesadler auf dem Rücken. Titel des Clips: "Wir sind die Höcke-Jugend". Auf die Frage, ob sie als "Ausländerin" in der "Jungen Alternativen" (JA) bestätigen könne, dass die Organisation ausländerfeindlich sei, erklärte sie, die JA und die AfD seien "nicht ausländerfeindlich, sondern heimatliebend und patriotisch". Sie selbst sei auch Ausländerin, liebe aber "das Land, die Sprache die Nationalhymne und die Fahne. Wenn man sich integriert, dann ist er willkommen, herzlich willkommen", ergänzte die junge Frau.

Im Januar hatte die antifaschistische Website "Rechercheportal Jena-SHK" Fotos von J. beim mutmaßlichen Besuch eines Rechtsrock-Konzerts sowie bei einer rechtsextremen Demonstration veröffentlicht. Bei dem Aufmarsch hielt die auf den ersten Blick völlig unscheinbar wirkende junge Frau ein Banner mit der rechtsextremen Parole "Remigration".

Zwischen Ultra-Gruppe und Kindertraining im Sportverein

Trotz ihrer Integration in die rechtsextreme Szene Thüringens hielt Alina J. enge Verbindungen in die Heimat, genauer gesagt zu der Ultra-Gruppierung Pietų-IV aus dem Umfeld des Fußballvereins Zalgiris Vilnius. Derzeit spielt der Club in der höchsten litauischen Spielklasse "A lyga". Das Emblem des Vereins trägt sie als Tätowierung auf dem Unterarm. Erst im Juni postete die junge Frau ein Foto von sich im Vereinsshirt, vermummt mit einem schwarzen Totenkopfschlauchschal auf Facebook. Im Stadion hissten die Ultras im Frühjahr 2023 ein Solidaritätsbanner für das umstrittene, in Teilen rechtsextreme ukrainische Azov-Bataillon. Auf dem Logo war auch die Wolfsangel-Rune zu sehen, die unter anderem von mehreren nationalsozialistischen Organisationen genutzt wurde, etwa der Hitlerjugend.

Eine Person trägt einen Uniformjacke mit dem Zeichen der Asow Brigade.
Eine Person trägt eine Uniformjacke mit dem Zeichen der Asow Brigade. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

Das nun bekannt gewordene Ausmaß der Aktivitäten ist für uns als Sportstätte untragbar.

Laqua-Sports Erfurt

Alina J., die nach Informationen von MDR Investigativ erst im Februar 2024 an der sogenannten "Winterakademie" des mittlerweile aufgelösten rechtsextremen "Instituts für Staatspolitik" in Schnellroda in Sachsen-Anhalt teilgenommen haben soll, arbeitete bis vor Kurzem als Karate-Trainerin im Kampfkunst- und Fitnessstudio "Laqua-Sports" in Erfurt. Dort war sie als Teil des Trainerteams für die Kurse mit Kindern und Jugendlichen zuständig.

Gebeten um ein Statement, antwortete Alina J. auf eine Anfrage Anfang Juli, die Mitgliedschaft in JA und AfD habe sie gerade gekündigt. Die Posts habe sie nicht selbst verfasst - ihr Account sei gehackt worden, sie habe seit einem Monat keinen Zugriff mehr darauf. Tatsächlich hatte die junge Frau noch Ende Juni Fotos von sich und ihren Eltern in Vilnius gepostet. Diesen Umstand begründet sie auf Nachfrage damit, dass sie an diesem Tag Zugriff auf ihren Account gehabt habe, vorher und nachher allerdings nicht. Tage später meldet sie sich erneut, schrieb, sie sei nicht rechtsradikal und habe einen Fehler gemacht. Ihre Accounts habe sie gelöscht.

Auf Anfrage von MDR Investigativ distanziert sich der "Laqua-Sports" Erfurt deutlich von seiner Trainerin. Man verstehe sich als ein Ort der Neutralität mit dem Fokus auf der Freude zum Sport und wertschätzender Gemeinsamkeit, antwortet der Inhaber. Von den politischen Aktivitäten der Trainerin habe man bisher nichts gewusst. Alina J. sei diesbezüglich zu keinem Zeitpunkt auffällig gewesen. "Das nun bekannt gewordene Ausmaß der Aktivitäten ist für uns als Sportstätte untragbar. (…) Mit der sofortigen Kündigung und dem erteilten Hausverbot für Alina J. setzen wir ein klares Zeichen, uns von einem solchen Verhalten zu distanzieren."

Zukunft fuer Deutschland - Demo der AfD in Erfurt
Fahnen der "Jungen Alternative" auf einer Demonstration in Erfurt. Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Landessportbund: Parteipolitisch neutral

Dürfen Rechtsextreme Kinder in Sportvereinen trainieren? Ist die Mitgliedschaft in der "Jungen Alternative" Privatsache? Der Landesssportbund Thüringen (LSB) antwortete auf Anfrage von MDR Investigativ, "Laqua-Sports" sei kein eingetragener Verein und damit auch kein LSB-Mitglied, deshalb könne man in diesem Fall auch nicht aktiv eingreifen. Für den Landessportbund stelle sich die grundsätzliche Frage nach Fällen mit der "Jungen Alternative" nicht. Der LSB sei parteipolitisch neutral, eine Mitgliedschaft in einer Partei oder deren Jungendorganisation allein sei nicht das Kriterium, solange sie nicht verboten sei. Entscheidend sei, wie eine Person aus dem organisierten Sport durch Taten oder Äußerungen auffalle. Im Umgang mit Rechtsextremismus habe der LSB einen Handlungsleitfaden erarbeitet und unterstütze betroffene Verein.

Mobit: "Nachwuchs für die Mutterpartei"

Alina J. ist nicht nur ein Beispiel dafür, dass sich ein Migrationshintergrund und rechtsextremes Gedankengut keineswegs ausschließen. Es ist auch ein Beispiel dafür, dass sich Rechtsextreme, auch durch die radikalisierte JA, mittlerweile vielen Bereichen der Gesellschaft finden, ohne aufzufallen. Für Felix Steiner von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) ist das auch Teil einer größeren Strategie. "Björn Höcke hat schon vor Jahren das strategische Ziel formuliert: Es geht um die Prägung des Zeitgeistes als Vorbedingung der politischen Machtergreifung", so Steiner.

Man wolle quasi die ideologische Hoheit erringen, dabei spiele die Junge Alternative eine zentrale Rolle. "Sie soll mit ihrem bürgerlichen Auftreten vor allem in den Sozialen Netzwerken die Jugend zur AfD ziehen oder mit Demonstrationen anlocken. Daneben werden Wanderungen durchgeführt oder Vortragsabende organisiert." Außerdem würden viele JA-Aktivisten in die Strukturen der Mutterpartei eingebunden, um so einen Nachwuchs auf Linie heranzuziehen. Ein solches Beispiel dafür ist der Fall Alexander Töpfer.

"Gefahr für die Truppe" - der Soldat Alexander Töpfer

"Alexander Töpfer - Schüler - geb. 2001" hieß es unter dem Foto des unscheinbaren jungen Mannes im Anzug auf Listenplatz 15 auf der Internetseite der Erfurter AfD zur Kommunalwahl im Mai 2024. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte dort noch "Soldat" statt "Schüler" gestanden - denn Töpfers freiwilliger Wehrdienst hätte erst am 31. August 2024 geendet. Doch den Vorgesetzten des ehemaligen Hauptgefreiten fiel schon wenige Wochen nach dessen Eintritt in die Truppe im Oktober 2022 Töpfers politische Betätigung auf.

Der junge Soldat des Logistikkommandos Erfurt war demnach ab Ende November 2022 aktives Mitglied im Vorstand der Jungen Alternative Thüringen, hatte an JA-Stammtischen und Demonstrationen teilgenommen und war Mitglied in der AfD. Deren Thüringer Landesverband wird vom Amt für Verfassungsschutz mittlerweile als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. Die AfD-Jugendorganisation galt zu diesem Zeitpunkt als Verdachtsfall.

Bundeswehr: "Gefährdung der militärischen Ordnung"

Die Vorgesetzten des heute 23-Jährigen stellten nach Recherchen von MDR Investigativ zu Jahresbeginn 2023 einen Antrag auf Entlassung wegen einer möglichen "Gefährdung der militärischen Ordnung/Sicherheit der Truppe". Auf Basis von Erkenntnissen des Militärischen Abschirmdienstes habe der hinreichende Verdacht einer Dienstpflichtverletzung nach Paragraf 8 Soldatengesetz "Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung" bestanden. Kurzum: Die Vorgesetzten hatten Zweifel, dass Töpfer hinter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Nach mehreren Anhörungen und Vernehmungen wurde Töpfer nach Informationen von MDR Investigativ Anfang März 2023 fristlos aus dem Wehrdienst entlassen.

Grüne-Landtagsabgeordnete: "Konsequenzen für den Landesdienst müssen folgen"

Der Vorsitzende der AfD-Stadtratsfraktion Erfurt, Stephan Möller, teilte auf MDR Investigativ-Anfrage Ende Mai mit, man schätze den Kandidaten. Mit Blick auf die Entlassung durch die Bundeswehr sagte Möller - neben Björn Höcke auch einer der beiden Landessprecher der AfD in Thüringen: Wer aus "amtlicher Funktion heraus die berufliche Existenzvernichtung gegen Menschen wie Alexander Töpfer betreibt, die sich in einer regierungskritischen Partei oder Jugendorganisation friedlich engagieren, greift selbst verfassungsfeindlich in den Kernbereich der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein."

Die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) sagte dem MDR, Verfassungsfeinde hätten im öffentlichen Dienst nichts verloren, insbesondere nicht in der Bundeswehr, in der Eingriffsverwaltung oder als Lehrkräfte an Schulen. "Einfallstore für Bestrebungen gegen die Verfassung, die sie tragenden Grundwerte oder für Obstruktionen gilt es, wo immer möglich zu schließen. Das Vorgehen der Bundeswehr war daher absolut folgerichtig. Aus der Einstufung der AfD Thüringen als erwiesen rechtsextrem müssen jetzt Konsequenzen für den Landesdienst folgen." Mittlerweile sitzt Töpfer, den die Bundeswehr wegen seiner Aktivitäten in der rechtsextremen AfD und ihrer Jugendorganisation so als Gefahr für die Truppe einschätzte, dass man ihn fristlos entließ, im Erfurter Stadtrat und darf über die Geschicke der Stadt mitentscheiden.

"Junge Alternative" - Weichzeichner und Online-Propaganda

Was unterscheidet die JA von anderen rechtsextremen Jugendorganisationen? Über welche Aktionsmöglichkeiten und Ressourcen verfügt die Parteijugend im Gegensatz zu anderen rechtsextremen Gruppen? Ist sie anschlussfähiger für die gesellschaftliche Mitte als vorherige rechtsextreme Akteure und wenn ja, wie groß ist die Gefahr, die von ihren Mitgliedern in Bereichen wie Uni, Schule und Sportverein ausgeht? Das hat MDR Investigativ beim Amt für Verfassungsschutz in Thüringen angefragt. Doch die Behörde lässt die Fragen unbeantwortet und verweist lediglich auf den Verfassungsschutzbericht 2022 und die eigene Pressemitteilung aus dem Mai 2024, in der die Einstufung der "Jungen Alternative" als rechtsextrem begründet wird.

Von Mobit heißt es, Akteure der JA seien in Thüringen vor allen Dingen auf Tiktok und Instagram aktiv. Die Inszenierung sei recht schlicht und ziele auf eine Normalisierung extrem rechter Positionen ab. "Das harmlos inszenierte Bild voller Weichzeichner und Filter birgt die Gefahr, dass junge Menschen über die JA und ihre Online-Propaganda in die extrem rechte Szene geraten. Und damit schlussendlich in die Netzwerke der AfD, die sich in Thüringen zwischen Neonazis, "Neuer Rechte" und "Reichsbürgern" bewegen", sagte ein Mobit-Sprecher MDR Investigativ auf Anfrage.

Die JA trete dabei deutlich weniger radikal nach außen auf als die Jugendorganisationen der neonazistischen Parteien. "Die Inhalte sind dabei aber nicht weniger radikal. Auch hier wurde in den letzten Monaten der Begriff "Remigration" popularisiert, dem in seiner extrem rechten Deutung schlussendlich ein völkisches Weltbild zugrunde liegt und der im Kern auf die Deportation von Tausenden von Menschen abzielt", so der Mobit-Sprecher.

Reichsbürger Als "Reichsbürger" oder auch "Reichsregierungen" bezeichnen sich laut Bundeszentrale für politische Bildung mehrere sektenartige Gruppen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern. Die Kernideologie der Reichsbürger ist antisemitisch, geschichtsrevisionistisch und demokratiefeindlich. Neben der Ablehnung der Demokratie gehört häufig die offensive Leugnung des Holocausts zur Agitation. Das Bundesinnenministerium geht bundesweit von mehreren Hundert Mitgliedern aus.

Neue Rechte Laut Bundeszentrale für politische Bildung wird unter dem Begriff "Neue Rechte" eine geistige Strömung verstanden, deren Ziel die intellektuelle Erneuerung des Rechtsextremismus ist. Sie versucht, sich von der deutlich am historischen Nationalsozialismus orientierten "Alten Rechten" abzusetzen. Die Neue Rechte bezieht sich auf autoritäre und elitäre Denker der "Konservativen Revolution", die in der Weimarer Republik zu den antidemokratischen Kräften gehörten. Zur Neuen Rechten werden in Deutschland beispielsweise unter anderem die rechtsextreme sogenannte "Identitäre Bewegung", das mittlerweile aufgelöste "Institut für Staatspolitik" in Sachsen-Anhalt, der rechtsextreme Verein "Ein Prozent" und Publikationen wie die "Junge Freiheit" gezählt.

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MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 16. Juli 2024 | 18:00 Uhr

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