Inszeniertes, ausschnitthaftes Foto einer Therapiesitzung in der sich zwei Personen gegenüber sitzen. 35 min
Audio: Was Testosteron im Körper von Männern beeinflusst und wieso Männer nicht in die Wechseljahre kommen. Bildrechte: picture alliance / Zoonar | Sirijit Jongcharoenkulchai

Interview der Woche Testosteron-Spiegel muss im Alter nicht zwangsläufig fallen

03. November 2024, 05:00 Uhr

Heute am 3. November ist Weltmännertag, ein Aktionstag für die Gesundheit von Männern. Zwar gibt es bei ihnen keine vergleichbare hormonelle Umstellung wie die Menopause bei Frauen. Dennoch gibt es viele geschlechtsspezifische Besonderheiten, die den meisten Männern nicht bekannt sind, etwa der Einfluss von Testosteron auf den Organismus oder die teilweise nützliche Funktion von Erektionsstörungen. Wir haben mit dem Andrologen Michael Zitzmann darüber gesprochen.

MDR AKTUELL: Herr Zitzmann, wieso ist Testosteron so entscheidend für die Männergesundheit?

Michael Zitzmann: Testosteron wird meist mit Sexualität und Muskeln verbunden. Es gibt aber noch viele andere Dinge, für die Testosteron zuständig ist, zum Beispiel für die Bildung von roten Blutkörperchen und für die Knochendichte. Zusammen mit Östrogen ist es zuständig für die Variabilität der Blutgefäße, dass die Gefäßwand glatt bleibt und sich zusammenziehen und ausdehnen kann. Es ist zudem wichtig für viele kognitive Prozesse, zum Beispiel für das räumliche Denken.

Was bewirkt ein guter Testosteronspiegel bei Männern?

Wir sehen immer am besten, was Testosteron macht, wenn es fehlt. Männer mit Testosteronmangel haben einen Libido-Verlust, fühlen sich abgeschlagen und müde und oft schon mittags nicht mehr in der Lage, zu arbeiten. Abends haben sie keine Lust mehr auf Gesellschaft oder Sport. Und wenn sie sich zum Sport quälen, dann sind kaum Trainingseffekte zu sehen, sie bauen keine Muskeln auf und verlieren auch kaum Fett.

Prof. Michael Zitzmann, Sexualmediziner und Androloge
Bildrechte: Universitätsklinikum Münster

Über Michael Zitzmann Professor Michael Zitzmann ist Endokrinologe, Androloge und Sexualmediziner und arbeitet am Universitätsklinikum in Münster. Zudem ist er Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Andrologie. Die Andrologie ist das Spezialgebiet in der Medizin, das sich – analog zur Gynäkologie bei den Frauen – mit den Sexualfunktionen des Mannes und deren Störungen befasst.

Oft ist auch eine Anämie vorhanden und ein Knochendichteschwund, der bis hin zur Osteoporose reichen kann. Wenn Testosteron fehlt, kann sich zum Beispiel im Stoffwechsel schneller Diabetes entwickeln, weil Testosteron die Insulinsensitivität beeinflusst. Das sind alles so Dinge, die man nicht direkt bemerkt, die aber alle eine Rolle spielen.

Die Symptome, die Sie nennen, könnten auch auf klassisches Burnout hinweisen. Wie oft wird erkannt, dass tatsächlich das Testosteron dahintersteckt?

Ja, das ist eine gute Frage. Das weiß man nicht genau. Es gibt Querschnittsstudien in Europa, bei denen Testosteron bei vielen tausend Männern gemessen wurde. Die Studien ergaben, dass die Rate an Testosteronmangel in der Bevölkerung bei ungefähr 5 Prozent liegt. Diagnostiziert aber wird das bei etwa nur einem Prozent.

Und Sie haben ganz Recht: Dass man sich schlapp und müde fühlt, kann viele Ursachen haben. Es kann sein, dass man sich trotz normalem Testosteronspiegel einfach in Alltag, Familie oder Beziehung überfordert fühlt. Es kann natürlich auch sein, dass andere Hormone nicht ausgeschüttet werden – allen voran Schilddrüsenhormone. Ein Mangel ist dort auch nicht selten und die Symptome bei zu wenig Schilddrüsenhormonen sind denen bei Testosteronmangel relativ ähnlich. So etwas muss man zuerst ausschließen.

Ist es so, dass in der Pubertät das Testosteron am höchsten ist?

In der Pubertät steigt es zumindest am schnellsten an. Für Jungs ist zwischen 10 und 14 Jahren der normale Zeitraum, in dem die Pubertät beginnt. Dann steigen die Testosteronspiegel von fast null auf ungefähr 15 Nanomol pro Liter an und bleiben eigentlich auch da, bis die Männer 80 oder 90 Jahre alt sind. Jedenfalls gibt es viele Untersuchungen bei gesunden Männern, die das zeigen. Die Werte sinken nicht mit dem Altern an sich ab.

Das widerspricht aber dem, was man liest und hört, dass Testosteron mit zunehmendem Alter kontinuierlich abnimmt.

Das ist ja auch richtig, wenn man alle Männer anguckt. Dann sinkt das Testosteron mit dem Alter ab. Aber wenn man nur die gesunden älteren Männer anguckt, dann sinkt es nicht ab. Das heißt, mit dem Alter kommen Dinge, die das Testosteron zum Absinken bringen. Es ist aber nicht das Altern an sich, sondern in den allermeisten Fällen ist es Übergewicht oder eine entzündliche Erkrankung wie zum Beispiel Rheuma oder eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung wie Asthma oder eine Darmerkrankung wie Morbus Crohn.

Worüber wir aber in den allermeisten Fällen sprechen, das ist der funktionelle Hypogonadismus, also Testosteronmangel. Das bedeutet, die Stoffe aus dem Bauchfett oder die Entzündungsstoffe beeinflussen die Hoden und die Hirnanhangdrüse gleichzeitig und fahren die Produktion von Testosteron und von Steuerhormonen für den Hoden runter.

Dieser funktionelle Hypogonadismus, das kann man sich denken, ist die einzige Form, die reversibel ist. Bei den anderen Formen ist meist irgendein Organ kaputtgegangen und arbeitet nicht mehr, das kriegt man nicht mehr heil. Aber wenn jemand mit funktionellem Hypogonadismus Gewicht abnimmt, dann fängt das ganze System wieder an zu arbeiten und funktioniert auch. Das funktioniert, aber es funktioniert sehr, sehr schwer.

Wann spreche ich von einem Testosteronmangel? Gibt es Werte, bei denen Sie als Arzt sagen, ab da läutet bei mir die Alarmglocke?

Es gibt Leitlinien, die besagen, ob ein Wert normal ist oder nicht. Und zwar sprechen wir hier von 12 Nanomol pro Liter für Testosteron. Das ist die untere Normalgrenze, die in den Leitlinien steht.

Nehmen wir an, der Mann kommt mit Symptomen zum Arzt. Er muss mindestens zwei Symptome haben, zum Beispiel Libido-Verlust, Abgeschlagenheit und vielleicht auch noch Anämie. Dann würde der Arzt den Testosteronspiegel bestimmen. Dann ist der Wert vielleicht einmal 8,4 Nanomol pro Liter und einmal 9,7. Damit wären die Bedingungen erfüllt: Der Mann hat einen Testosteronmangel, der behandlungsbedürftig ist, was die Kassen übernehmen würden. Wenn jetzt aber der Testosteronwert nicht unter 12 liegt, meinetwegen 14 und 16, dann würde man sagen, das liegt an was anderem.

Aber gibt es auch Männer, die sich mit einem niedrigen Testosteronwert super fühlen, die zum Beispiel nicht dick sind und auch Antrieb haben?

Doch, die Männer gibt es auch. Es gibt auch Männer, die brauchen nicht so viel Testosteron. Der untere Wert von 12 Nanomol pro Liter ist ja auch so ermittelt worden, dass man 10.000 Männer untersucht und geguckt hat: Wer hat Beschwerden und bei welchem Wert fangen die an? Das ist dann natürlich ein Querschnitt und genetisch bedingt.

Es ist tatsächlich so, dass manche Männer mit zum Beispiel einem Wert von 8 keine Beschwerden haben, andere haben mit 14 dann eben doch Beschwerden. Daher kommt dann dieser Mittelwert von 12, der für die allermeisten eben richtig ist.

Aber es gibt auch Männer, die haben niedrige Werte und sind vollkommen okay. Solchen Männern würden wir auch nicht dazu raten, sich behandeln zu lassen. Wir wollen ja nicht die Laborwerte behandeln, sondern Menschen, wenn sie Probleme haben.

Und wie würde eine Testosterontherapie funktionieren?

Wenn der Mann die Kriterien erfüllt und Beschwerden hat, muss man sich überlegen: Gibt es Kontraindikationen? Also irgendwelche Bedingungen, die nicht dafür sprechen, dass man Testosteron gibt. Da steht ganz weit vorn zum Beispiel ein Kinderwunsch.

Wenn man Testosteron von außen gibt, hört die Hirnanhangdrüse auf, ihre Steuerhormone auszuschütten, weil sie denkt, es ist genug Testosteron da. Und der Hoden stellt ja nicht nur Testosteron her, sondern auch die Spermien. Das heißt, bei einer Testosterongabe von außen verschwinden die Spermien. Bei Kinderwunsch muss man also komplizierter arbeiten. Es gibt andere Hormone, die eher das nachahmen, was die Hirnanhangdrüse macht. Das muss man sich sehr häufig spritzen und das ist sehr teuer.

Ansonsten kann man immer gucken: Ist mit der Prostata alles in Ordnung? Gerade bei älteren Männern würde man nicht therapieren, wenn zum Beispiel der PSA-Wert, der Marker für ein Prostatakarzinom, erhöht ist. Da muss man erst mal abklären, was da los ist. Davon abgesehen macht Testosteron keinen Prostatakrebs. Aber man muss beachten: Ein Prostatakrebs, der schon im Testosteronmangel entstanden ist, würde noch stärker wachsen, wenn man Testosteron dazugibt.

Wenn keine Kontraindikationen vorhanden sind, müssen die Patienten dann z.B. ein Testosteron-Gel, was es ja in Deutschland gibt, mehrmals am Tag auftragen?

Es gibt verschiedene Formen, das ist richtig. Man kann ein Gel aus einem Spender nehmen, das macht man morgens, das reicht aus. Man möchte ja die circadiane Rhythmik, also die Ausschüttung, die Testosteron normalerweise hat, nachahmen. Normalerweise wird es morgens am meisten produziert und der Spiegel im Blut sinkt dann abends ab.

Die Hoden hören abends auf, Testosteron zu produzieren und mit dem Gel, da kann man so aus dem Spender einen Hub oder mehrere Hübe nehmen. Das beredet der Arzt dann mit dem Patienten.

Es gibt aber auch Patienten, die möchten nicht täglich ein Gel nehmen oder vergessen es. Für sie gibt es Spritzen, die man intramuskulär geben kann. Da gibt es kurz wirksame, schon seit 80 Jahren, die werden alle 14 Tage gegeben – das ist natürlich ein bisschen aufwendig. Es gibt auch lang wirksame, seit etwa 2004 auf dem Markt, die gibt man alle drei Monate, da hat man ein langes Depot.

Und was erzählen Ihnen dann Ihre Patienten, wenn Sie die Therapie vielleicht einen Monat machen und sich dann wieder bei Ihnen vorstellen?

Die Patienten müssen immer zu einer Kontrolle kommen. Das schreiben die Leitlinien auch vor und das macht auch Sinn, weil wir gucken müssen, wie das Testosteron wirkt, wie es dem Mann geht und natürlich auch, was zum Beispiel seine Blutbildung macht. Denn meistens haben die Männer zu wenig rote Blutkörperchen und die steigen dann an in den Normalbereich. Bei manchen Männern können die aber auch zu stark ansteigen und das möchte man nicht.

Das ist vielleicht das einzige Risiko einer Überdosierung von Testosteron, was man ja auch vom Bodybuilding her kennt, dass dann die roten Blutkörperchen so viele werden, dass das Blut gar nicht mehr fließt und vielleicht gerinnt. Das passiert mit dem Gel zum Beispiel fast nie, also in unter 2 Prozent der Fälle. Mit den Spritzen kann es tatsächlich in bis zu 20 Prozent der Fälle passieren.

So oder so: Ungefähr nach einem Monat fangen die meisten an, zu sagen, dass sie sich besser fühlen. Energiegeladen, mehr Lust auf Sexualität und mehr Lust auf körperliche Aktivität. Einfach wacher und lebensfroher.

Also wirkt die Testosterongabe schon ganz gut.

Diese psychischen Dinge fangen meist sofort an, die körperlichen kommen später. Jemand sagt: Eigentlich habe ich nicht Gewicht verloren, aber ich kann meinen Gürtel enger schnallen, der Bauch ist weniger geworden. Dafür sind ein paar Muskeln dazugekommen. Das passiert nach etwa einem halben Jahr und setzt sich immer weiter fort.

Wenn der Mann Osteoporose hatte, sieht man auch nach etwa einem halbem Jahr, dass die Knochen beginnen, dichter zu werden.

Steigt die Knochendichte auch, wenn die Patienten keinen Sport machen?

Man muss ehrlicherweise sagen, das Testosteron tut das nicht allein. Das ist ein Effekt, der vom Testosteron und auch vom Östrogen kommt, das aus dem Testosteron entsteht. Männer haben ja auch Östrogen. Die meisten Studien deuten darauf hin, dass ungefähr 70 Prozent der Knochenbildung auf Östrogen auch beim Mann zurückzuführen sind und die übrigen 30 Prozent auf Testosteron. Darum haben Männer ja dickere Knochen als Frauen. Das passiert auch, wenn die nur auf dem Sofa sitzen. Was wir uns eigentlich nicht wünschen.

Nur wird der Mann deswegen nicht zu einem Athleten. Man kann zeigen, dass Männer mit Testosteron tatsächlich kräftiger werden. Aber in den allermeisten Fällen ist das so, dass es in der Kombination mit Sport geschieht, was wir ja auch empfehlen. Sport, insbesondere mit Gewichten, hilft, die Knochendichte zu erhöhen.

Also haben Männer bis ins hohe Alter immer Testosteron? Im besten Falle viel, im schlechtesten Fall weniger?

Genau. Wir haben mal 200 Männer gesucht, die 80 waren. Die sollten nicht übergewichtig sein, keinen hohen Blutdruck oder Diabetes haben und keine Vorgeschichte mit Krebs oder Herzinfarkt aufweisen. Wir haben relativ lange gesucht, aber wir haben diese 200 Männer gefunden. Und diese 80-Jährigen hatten Testosteronspiegel wie junge Männer.

Und natürlich finden sie auch ganz gesunde 80-jährige Frauen, die keine Tabletten einnehmen müssen. Da müssen sie wahrscheinlich auch lange suchen, aber die sind trotzdem in der Menopause. Bei Frauen ist das ein ganz natürlicher Prozess, der so um die 50 einsetzt, bei Männern aber nicht. Männer behalten ihren Testosteronwert, wenn sie durch ihr eigenes Verhalten und Genetik gesund bleiben. Und durch Glück – man kann ja auch einfach Pech haben. Insofern ist das tatsächlich bei Männern anders als bei Frauen.

Sprechen Sie deshalb nicht von Wechseljahren bei Männern?

Männer wechseln nicht. Es gibt keine Andropause oder Wechseljahre des Mannes. Wenn das passiert, ist entweder tatsächlich ein Schaden am Hoden oder an einer Anhangdrüse eingetreten oder er hat in den allermeisten Fällen zu viel Gewicht zugenommen.

Noch eine Frage zu Erektionsstörungen: Sie sollen nicht unbedingt ein Anzeichen für Testosteronmangel sein, sondern eventuell auch für einen späteren Herzinfarkt. Wie passt das zusammen?

Wir müssen unterscheiden zwischen Libido-Verlust und Erektionsstörung. Natürlich kann eine Erektionsstörung auch bei Libido-Verlust auftreten, wenn man einfach nicht so viel Lust hat. Aber die Störung kann auch auftreten, wenn man Libido hat und gerne möchte, aber es geht einfach nicht.

Das ist etwas, das darauf hinweist, dass die Blutgefäße geschädigt sind. Im Penis müssen die Blutgefäße sehr reaktiv sein. Sie müssen sich sehr schnell ausdehnen und wieder zusammenziehen können. Und sobald irgendwelche Schäden an den Blutgefäßen vorliegen, dann ist das weniger ein Hinweis auf einen Testosteronmangel, sondern auf generelle Gefäßschäden.

Wenn bei mir Männer mit Erektionsproblemen auftauchen und sagen, ihre Libido ist gut, aber es geht einfach nicht mehr, dann schauen wir uns die anderen Blutgefäße an. Meistens sind die Halsgefäße leicht zugänglich und häufig sieht man dort bereits Verkalkungen. Wir schicken sie dann immer zum Kardiologen.

So blöd es also ist, eine Erektionsstörung zu haben, sie ist auch ein Warnsignal und hat damit auch etwas Gutes. Denn die Störung geht einem Herzinfarkt etwa zehn Jahre voraus. Wenn jemand mit 50 Erektionsprobleme hat, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass er spätestens bis 60 einen Herzinfarkt bekommt, bei ungefähr 60 Prozent. Wenn man rechtzeitig loslegt, kann man da noch gegensteuern, dass nicht noch schlimmere Dinge kommen.

Zu wem Arzt gehe ich als Mann, zum Urologen?

Man geht am besten zu einem Urologen oder zu einem Hausarzt, der sich dafür interessiert, oder zu einem Endokrinologen. Ich glaube, in Deutschland ist es am allerbesten, zu einem Andrologen zu gehen, einem Männerarzt. In den allermeisten Fällen ist das ein Urologe.

Das Interview führte Katrin Simonsen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 03. November 2024 | 06:00 Uhr

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