Therapieansätze Arztbesuch: Warum Frauen anders behandelt werden sollten als Männer
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05. Juni 2024, 05:00 Uhr
Der Körper von Frauen ist anders aufgebaut als der von Männern. Sie zeigen andere Symptome bei Krankheiten wie einem Herzinfarkt und auch Medikamente verarbeiten sie anders. Bisher wird im medizinischen Alltagsgeschäft darauf aber kaum Rücksicht genommen. Wir sprechen mit Herzspezialistin Sandra Eifert darüber, warum sogenannte Gendermedizin wichtig ist und welche Unterschiede es zwischen Männern und Frauen (in der Medizin) gibt.
Inhalt des Artikels:
- Warum sollte zwischen Männern und Frauen unterschieden werden?
- Bei welchen Krankheiten zeigen sich Unterschiede?
- Sollten Frauen Ärztinnen aufsuchen?
- Welche Auswirkung haben andere Symptome auf die Behandlung?
- Müssen Frauen mit mehr Nebenwirkungen bei Medikamenten rechnen?
- Gibt es spezielle Wirkstoffe, die bei Frauen anders wirken?
- Was unterscheidet das weibliche vom männlichen Herzen?
- Angina pectoris und Co.: Symptome, Auswirkungen und Untersuchung einzelner Krankheiten
Warum ist es wichtig, in der Medizin zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden?
Professor Sandra Eifert: Die Gendermedizin beschäftigt sich ja mit den Geschlechterunterschieden in Krankheit und Gesundheit. Wir unterscheiden hierbei das soziale vom biologischen Geschlecht. Das soziale Geschlecht wird im Englischen als "Gender" bezeichnet – daher kommt der Begriff. Er umfasst den Zugang zum Gesundheitswesen, Geschlechterrollen, aber eben auch eine Wahrnehmung von Erkrankungen. Bei den biologischen Faktoren, im Englischen unter "Sex" zusammengefasst, ist es die genetische Festlegung als Mann oder Frau. Es sind die Hormone, die vor allem auch eine Rolle spielen und natürlich unsere organische/körperliche Seite.
Auf welche Krankheiten können sich die körperlichen Unterschiede von Mann und Frau auswirken?
Auf ganz viele Krankheiten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen im Fokus. Vor etwa 15 Jahren war die Sterblichkeit bei Frauen nach einem Herzinfarkt etwa doppelt so hoch wie bei den Männern. In den letzten zehn Jahren hat sich das nach dem deutschen Herzbericht 2022 deutlich gebessert. Bei den Frauen ist die Sterblichkeit um 34 Prozent zurückgegangen und bei den Männern um 26 Prozent. Dies ist vor allem auf die verbesserte Diagnostik als auch Therapie zurückzuführen.
Weitere Beispiele sind neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Depressionen äußern sich bei Männern und Frauen sehr unterschiedlich.
Darüber hinaus sind es Infektionskrankheiten. Das Immunsystem und die körpereigene Abwehr weisen bei Männern und Frauen Unterschiede auf. Autoimmunerkrankungen entsprechen einer überschießenden Abwehrreaktion auf einen bestimmten Reiz und treten vor allem bei Frauen auf. Osteoporose ist ein Beispiel, das häufig Frauen zugeschrieben wird und ebenso bei Männern in Erscheinung tritt.
Ist es für Frauen sinnvoller, sich von einer Ärztin behandeln zu lassen?
Es ist prinzipiell richtig und gut, wenn Frauen zu einem Facharzt, wenn Frauen zu einem Facharzt/ einer Fachärztin mit der Zusatzbezeichnung Gendermedizin gehen.
In den letzten 20 Jahren hat sich diesbezüglich in Deutschland einiges bewegt. Gendermedizin soll Teil der neuen, kommenden Approbationsordnung werden.
Heute ist es bereits so, dass die Gendermedizin an allen großen deutschen Universitäten Teil des Medizinstudiums ist. Und somit hält das Einzug in die Medizin, die tatsächlich auch an Patienten und Patientinnen ankommt.
Frauen zeigen auch andere Symptome als Männer. Was bedeutet das für die Behandlung?
Die Geschlechterunterschiede erstrecken sich von den Risikofaktoren über die Symptomatik bis hin zur Diagnostik und der daraus abgeleiteten Therapie. Es ist sehr vielschichtig, hängen ebenfalls vom Sozialverhalten und der Kommunikation ab. Das macht das Ganze komplex. Der Patient ist im deutschen männlich und so wurden bis vor einiger Zeit eigentlich alle behandelt. Das macht es so komplex.
Bei Medikamenten werden keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gemacht. Müssen Frauen dadurch mehr Nebenwirkungen rechnen?
Es ist tatsächlich so, dass bei den meisten Medikamenten eine Standarddosierung empfohlen wird, zum Teil ist sie gewichtsabhängig. Frauen nehmen Medikamente anders auf als Männer. Sie verstoffwechseln sie anders, sie scheiden sie auch anders aus – durch unsere unterschiedliche Körperzusammensetzung im Vergleich zu Männern. Wir Frauen haben mehr Wasser- und Fettanteil. Die Männer haben mehr Muskulatur aufgrund des Testosterons. Hinzu kommt, dass bestimmte Medikamente Hormon-abhängig wirken. Das führt unter Umständen dazu, dass wir als Frauen bestimmte Medikamente stärker speichern oder später ausscheiden, so dass wir eine eine höhere Dosis erreichen und damit die Nebenwirkungsrate ebenfalls höher sein kann.
Frauen nehmen Medikamente anders auf als Männer.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur empfiehlt bereits seit zehn Jahren, das Geschlecht und vor allem Frauen bei der medikamentösen Therapie zu berücksichtigen. Das beginnt bereits bei der Medikamententestung. Diese Empfehlung ist für die Hersteller nicht bindend.
Gibt es spezielle Wirkstoffe, die bei Frauen anders wirken?
Aspirin ist ein sehr gutes Beispiel, weil es in der Primärprävention einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen bietet. Für Männer ist Aspirin in der Primärprävention sehr gut geeignet, um einem Herzinfarkt vorzubeugen, wenn zwar schon Risiken vorliegen, aber noch keine manifeste Erkrankung da ist. Für Frauen ist Aspirin besser geeignet, um sie vor einem Schlaganfall zu schützen.
Bei Medikamenten gegen Herzrhythmusstörungen oder Herzschwäche treten bei Frauen viel häufiger Nebenwirkungen auf.
Was unterscheidet das weibliche vom männlichen Herzen?
Zum einen ist das weibliche Herz entsprechend der Körpergröße insgesamt etwas kleiner. Alle Strukturen sind etwas zarter. Zum anderen treten bestimmte Erkrankungen unterschiedlich häufig auf. Männer haben prinzipiell mehr Herzkranzgefäßerkrankungen, weil Frauen viele Jahre durch die Hormone gut geschützt sind. Aber mit dem zunehmenden Alter, vor allem ab 45, nimmt der Hormonspiegel bei Frauen ab und dieser Schutz fällt weg, sodass sich dann bestimmte Risikofaktoren entwickeln und die Herzerkrankungen kommen können.
Wichtig ist für Frauen besonders, dass die Untersuchung unter Belastung stattfindet, also zum Beispiel auf einem Fahrrad oder auf dem Laufband. In Ruhe kann man häufig die Erkrankung noch nicht so einfach erkennen. Hinzu kommt, dass die Symptome unterschiedlich sind.
Angina pectoris und Co.: Symptome, Auswirkungen und Untersuchung einzelner Krankheiten
Was ist eine Angina pectoris?
Angina Pectoris ist der lateinische Begriff für Brustschmerz. Typischerweise, wenn es von den Kranzgefäßen ausgeht, erstreckt sich der Schmerz hinter dem Brustbein und strahlt bei den Männern eher zum linken Arm aus. Das kann bei Frauen auch sein, muss es aber nicht. Bei ihnen sind unspezifische Beschwerden wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit und abnehmende Belastbarkeit als auch Übelkeit im Vordergrund stehend. Der Schmerz geht bei den Frauen eher zum Unterkiefer oder in den Rücken.
Was ist das Broken-Heart-Syndrom?
Das Broken-Heart-Syndrom ist eine ernsthafte Erkrankung, die sich häufig nach einer besonderen Stresssituation zeigt, also Liebeskummer, das Verlassenwerden, Tod eines Angehörigen oder eine solche ernste Situation. Das führt dazu, dass Patienten, zu 95 Prozent sind das Frauen und zu 90 Prozent Frauen, die älter als 50 Jahre sind, Beschwerden wie bei einem Herzinfarkt kriegen – sogar die typisch männlichen Beschwerden: Druck hinter dem Brustbein mit Ausstrahlung zum Arm. Sie haben auch im EKG Veränderungen wie bei einem Herzinfarkt.
Zur Beurteilung der Herzkranzgefäße, bei v.a. einem Herzinfarkt, wird ein Herzkatheter durchgeführt. Beim Broken Heart Syndrom zeigen sich üblicherweise unauffällige Kranzgefäße bei den Betreffenden. Aber man sieht eine ganz typische Form der linken Herzkammer mit ballonartiger Auftreibung der Herzspitze der linken Herzkammer und eine Einschränkung der Pumpfähigkeit des linken Herzens, eine Herzschwäche.
Haben Frauen, die an Diabetes erkrankt sind, ein höheres Risiko für Herz- und Gefäßerkrankungen als Männer?
Das stimmt tatsächlich. Die Diabetes gehört zu den klassischen Risikofaktoren für die Entwicklung einer Arteriosklerose, einer Verkalkung an den Kranzgefäßen, aber auch prinzipiell anderen Gefäßen. Und für Frauen ist dieser Risikofaktor weitaus schwerwiegender als für Männer.
Herzinfarkt: Welche Symptome zeigen Frauen?
Es können grundsätzlich die Symptome sein, die auch Männer ausdrücken. Das ist also der starke Druck hinter dem Brustbein, häufig mit Ausstrahlung zum Arm. Frauen haben aber sehr häufig unspezifische Beschwerden wie Übelkeit, Abgeschlagenheit, Müdigkeit. Das wird häufig auf das Alter und die fehlenden Hormone zurückgeführt und deswegen auch manchmal eben fehlgedeutet.
Und auch von den Patientinnen wird das durchaus nicht so ernst genommen: Die Belastbarkeit nimmt ab und Übelkeit ist ein Symptom, das zum Beispiel bei vielen Erkrankungen auftreten kann. Wichtig ist immer, und das sagen wir den Patienten auch immer, wenn diese Symptomatik zunimmt, wenn sie wiederholt auftritt, dann sollten sie einen Arzt konsultieren und bestenfalls auch einen Kardiologen, um abklären zu lassen, ob das Herz eine Erkrankung aufweist.
Gibt es einen Unterschied, wie hoch der Blutdruck bei Männern und Frauen sein sollte?
Es ist tatsächlich so, dass die Grenzwerte für Männer und Frauen beim Blutdruck unterschiedlich festgelegt sind. Bei Frauen sollte der obere Wert unter 130 Millimeter HG sein und bei Männern unter 140 Millimeter HG.
Welchen Einfluss hat eine Unterfunktion der Schilddrüse auf die Herzgesundheit?
Die Schilddrüse ist ein ganz wichtiges Organ für sämtliche Organsysteme und besonders für das Herz. Eine Unterfunktion kann dazu führen, dass der Puls oder der Blutdruck zu niedrig sind. Ideal ist immer die normale Funktion der Schilddrüse. Damit ist auch das Herz geschützt.
MDR (jvo)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 28. Mai 2024 | 16:00 Uhr