Blühender Kirschlorbeer als Vorgartenbegrenzung 14 min
Audio: Warum Kirschlorbeer eine Gefahr für das Ökosystem sein kann. Bildrechte: picture alliance / imageBROKER | Jürgen Pfeiffer

Interview Warum Kirschlorbeer eine Gefahr für das Ökosystem werden kann

29. September 2024, 05:00 Uhr

Kirschlorbeer ist eine beliebte Zierpflanze in deutschen Gärten und bleibt auch im Herbst und Winter grün. Doch Kirschlorbeer breitet sich auch in Wäldern aus und könnte damit zu einer Gefahr für das Ökosystem werden. Der Botaniker Stefan Abrahamczyk erklärt, wie es um die Kirschlorbeere steht.

MDR AKTUELL: Wuchert Kirschlorbeer bereits alles zu?

Stefan Abrahamczyk: So würde ich das nicht sagen. Wir sehen die Tendenz, dass er sich im Wald etabliert. Wir sehen hauptsächlich junge Pflanzen im Wald. Wir finden im westlichen Teil von Deutschland, also in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg, viele Pflanzen in siedlungsnahen Wäldern. Wir finden auch große Individuen, aber es ist nicht so, dass alles zugewuchert wird.

Die Pflanzen sind hauptsächlich in Nähe der Siedlungen, also in den ersten 500 Metern des Waldes. Eigentlich sogar nur in den ersten 300 bis 400 Metern. Wenn wir jetzt handeln und aufpassen, dann haben wir nicht die Situation, dass der wirklich alles überwuchert. Jetzt können wir noch was machen. Wenn wir noch 10 bis 20 Jahre warten, dann haben wir ein Problem.

Wenn die Pflanzen nur wenige Meter von Siedlungen entfernt wachsen, liegt der Verdacht nahe, dass Hobbygärtner etwas mit der Verbreitung zu tun haben.

Die Gärten haben etwas damit zu tun. Es sind nicht die Hobbygärtner, die die Samen in den Wald bringen, sondern die Vögel, die Amseln, aber auch Füchse und Marder. Die fressen die Früchte im Garten, gehen dann in den Wald, um dort zu übernachten und zu jagen und scheiden die Samen dort wieder aus. Dann können sich die jungen Pflanzen etablieren.

Wie verändert sich dadurch das Ökosystem in einem Waldgebiet?

Das ist natürlich eine Konkurrenz für andere Pflanzen. Die anderen Pflanzen haben einfach weniger Raum zur Verfügung. Das verändert auch die Bodenchemie. Es gibt eine einzige Studie aus dem Raum Basel, wo ein Kollege untersucht hat, wie sich die Bodenchemie verändert, und er hat herausgefunden, dass der Boden trockener und saurer wird und dass der Phosphorgehalt im Boden abnimmt. Unter anderem aufgrund dieser Entwicklung hat die Schweiz ein Verkaufsverbot für Kirschlorbeer.

Hängt der Gedanke damit zusammen, dass man die Verbreitung des Kirschlorbeers eindämmen möchte? Hat die Schweiz das Problem eher erkannt als andere Länder?

Sie haben es zeitlich eher erkannt als wir. Allerdings ist da die Situation auch noch ein bisschen anders. Es gibt deutlich mehr große Individuen und er ist auch schon deutlich weiter in den Wald hineingekommen. Das liegt daran, dass die großen Individuen, die sich am Anfang am Waldrand etablieren, irgendwann groß genug werden, um selber Samen zu bilden. Dann werden die Samen wieder gefressen und können weiter in den Wald transportiert werden.

Wie beschreibt denn die Wissenschaft diese Pflanze, die ursprünglich aus dem türkischen Raum kommt?

Sie kommt aus der Schwarzmeerregion und dem Balkan. Das ist die heutige Verbreitung. Vor den Eiszeiten – also vor anderthalb Millionen Jahren – war der Kirschlorbeer erheblich weiter verbreitet auch in Mitteleuropa.

Der Status des Kirschlorbeers in Deutschland wird vom Bundesamt für Naturschutz festgelegt. Der Status ist "nicht etablierter Neophyt". Das haben wir zumindest für die Region Bonn mit unserer Studie widerlegt, also er ist definitiv etabliert. Das bedeutet, er kann sich im Wald ohne menschliche Hilfe selbständig reproduzieren. Das haben wir nachgewiesen.

Und wenn man jetzt noch einen Schritt weitergehen würde und sagen würde, ist der Kirschlorbeer auch invasiv in Deutschland? Dazu haben wir noch keine Studien, aber wir arbeiten dran.

Die Tendenz ist aber absehbar?

Zumindest die Gefahr ist absehbar. Ich möchte nicht sagen, dass er invasiv ist, ohne Daten zu haben. Aber ich habe eine Doktorandin, die gerade gestartet hat mit genau dieser Fragestellung und der gehen wir in Baden-Württemberg jetzt nach.

Der Kirschlorbeer oder die Lorbeerkirsche. Wie sagt der Wissenschaftler?

Prunus laurocerasus.

Und wenn es nicht der lateinische Begriff sein sollte?

Ich sage meistens Kirschlorbeer, wobei Lorbeerkirsche eigentlich richtiger ist.

Wie kam es zu diesen Unterschieden?

Der Kirschlorbeer oder die Lorbeerkirsche gehört in die Gattung der Kirschenartigen, also Gattung Prunus. Deswegen ist Lorbeerkirsche richtiger als Kirschlorbeer, weil es kein Lorbeerblatt ist – sondern es sich um eine Kirschenart handelt.

Inwieweit stimmt die Beobachtung, dass dieses Gewächs Insekten und Vögeln nichts zu bieten habe und daher minderwertig sei?

Das kann man so ganz pauschal gar nicht sagen. Der Kirschlorbeer produziert sehr viel Blausäure in seinen Blättern und eigentlich in allen Pflanzenteilen, außer in den Früchten. Das heißt, die ausgewachsenen Blätter oder Stämme, die werden von kaum einem Insekt oder Tier gefressen, weil sie giftig sind. Die Blüten produzieren sehr viel Nektar und Pollen. Der wird von Bienen, Schwebfliegen, anderen Blütenbesuchern gefressen. Aber das sind Generalisten – also Arten, die an allem möglichen fressen. Der Kirschlorbeer spielt für die keine besonders große Rolle. Sie brauchen den nicht.

Die spezialisierten Blütenbesucher gehen nicht an den Kirschlorbeer, weil sie sehr eng an andere heimische Pflanzen angepasst sind. Das Gleiche gilt für die Früchte. Die werden von jeder Menge Vögel, hauptsächlich Amseln, aber auch von Staren und Tauben gefressen – oder eben auch von Füchsen oder Mardern.

Der Vorwurf kommt oftmals von Naturschützern, dass die Lorbeerkirsche für das Ökosystem nicht besonders gut sei. Ist das eine Erzählung, die einen schlechten Ruf transportiert und gegen die man nicht mehr ankommt?

Es ist auch ein Stückchen Wahrheit dabei. Die ganzen spezialisierten Blattfresser, davon gibt es eine große Menge, die fressen kein Kirschlorbeer. Für die ist das wertlos. Und ganz wenige Generalisten können, nur wenn der Kirschlorbeer ganz jung ist und die Giftkonzentration in den Blättern gering ist, die Blätter fressen. Für die meisten Arten ist der Kirschlorbeer nicht hilfreich.

Kirschlorbeer 3 min
Bildrechte: imago images/Gottfried Czepluch

Ich wüsste nicht, was man dazu positiver sagen sollte. Leider.

Vielleicht, dass die Lorbeerkirsche sehr viel besser mit Hitze und Trockenheit zurechtkommt?

Die kommt sehr gut mit Hitze und Trockenheit zurecht. Aber das ist kein Argument, sie massenhaft anzupflanzen. Wir müssen zusehen, dass unser Ökosystem stabil bleibt. Das heißt, dass wir möglichst viele Arten in diesem Ökosystem haben. Wenn wir zu viele nicht heimische Pflanzen in der Natur haben, dann verändern sich die Interaktion zwischen Arten. Dann werden gewisse heimische Arten viel weniger werden und das ganze System wird instabil.

Wir werden den Kirschlorbeer nie wieder ganz loswerden. Das ist vollkommene Illusion. Wir müssen aufpassen, dass er nicht überhandnimmt. Mit ein paar kleinen Individuen im Wald können wir leben. Das ist kein Problem.

Wie bekommen wir den Kirschlorbeer in den Griff? Die Schweizer arbeiten mit einem Verkaufsverbot. Haben sie andere Maßnahme im Blick?

Wenn der Kirschlorbeer im Wald ist und dort sehr flächendeckend vorkommt, dann müsste man ihn herausroden. Das wird auch in gewissen Kommunen schon getan, zum Beispiel in Karlsruhe. Es ist großer Aufwand, aber es gibt durchaus verschiedene Maßnahmen, womit man zumindest verhindern kann, dass sich dauerhaft große Individuen etablieren. Man kann sie abschneiden – immer wieder. Man kann auch mit verschiedenen Giftstoffen arbeiten.

Es gibt auch Möglichkeiten, mit Hitze zu arbeiten, über Strom, über heißes Wasser. Doch man muss sehr genau abwägen, was man tut und was dann die Konsequenzen sind. Nicht nur für den Kirschlorbeer, sondern auch für viele, viele andere Waldbewohner, denen man eigentlich gar nicht zu Leibe rücken möchte.

Es gibt Pflanzen, die ähnlich aufgebaut sind wie der Kirschlorbeer. Zum Beispiel der Ilex, Efeu oder die Mistel. Sind das Pflanzen, die aufgrund ihrer Struktur als Antwort auf den Klimawandel infrage kämen?

Sie sind zumindest heimisch, zumindest in einigen Regionen in Deutschland. Der Ilex kommt nur in den wärmsten Bereichen im westlichen Deutschland vor. Schon im östlichen Niedersachsen gibt es ihn nicht mehr. Und wir sehen in Baden-Württemberg, dass sich der Ilex auch ausbreitet. Der tut genau das gleiche, was der Kirschlorbeer auch tut.

Der Efeu geht auch häufiger die Bäume hinauf, wo er dann häufiger ungeschützt ist. Und die Misteln werden auch häufiger. Die Mistel ist ein parasitischer Epiphyt, das heißt, sie wächst ausschließlich auf anderen Gehölzen, also nicht auf dem Boden. Das Efeu wächst im Wald auf dem Boden. Aber wenn da der Kirschlorbeer seine Äste drauflegt, dann ist auch der Efeu irgendwann weg. Der braucht auch Licht und Raum zum Wachsen. Dann kann er natürlich noch die Stämme hochwachsen. Das kann der Kirschlorbeer nicht.

Gibt es eine wissenschaftlich empfohlene Zusammensetzung, die klimafest ist? Könnten zum Beispiel Iles, Efeu, Mistel und Kirschlorbeer eine friedliche Koexistenz im Garten eingehen?

Selbstverständlich kann man auch Kirschlorbeer weiterhin im Garten haben. Man muss darauf achten, dass man ihn regelmäßig schneidet. Dann kann man zum Beispiel verhindern, dass er blüht und besonders, dass er fruchtet. Aber ich würde dazu tendieren, möglichst große Vielfalt in den Garten zu pflanzen. Also nicht eine lange Hecke aus einer einzigen Art, sondern man kann mischen. Klar, das macht auch ein bisschen Arbeit.

Aber es gibt auch Sträucher und kleine Bäume, die man als Hecke pflanzen kann, die man nicht intensiv gießen muss und die heimisch sind. Zum Beispiel die Eibe, eine Buchenhecke, die Hainbuchenhecke. Die kommen alle gut damit klar.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. September 2024 | 08:17 Uhr

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