Fachkräftemangel Wenn Rentner die Arbeit erledigen müssen

21. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Es mangelt an Fachkräften. Auch deshalb kommen immer mehr Rentner aus dem Ruhestand zurück – um Patienten zu behandeln, Schüler zu unterrichten oder auch ein altes Handwerk weiter zu betreiben.

Der 74-jährige Hausarzt ist noch in Vollzeit für seine Patienten da. Doktor Gerhard Barthe wollte im Ruhestand eigentlich mit dem Rad durch Asien fahren. Doch 2022 kehrte er zurück und eröffnete eine neue Praxis in Meißen. "Wir mussten noch mal neu anfangen, weil hier in Meißen Ärztemangel herrscht. Es fehlen zehn Hausärzte", sagt Barthe.

In ganz Sachsen fehlen laut Kassenärztlicher Vereinigung fast 450 Hausärzte, größtenteils auf dem Land. Dort liegt der Versorgungsgrad von Hausärzten teilweise bei unter 75 Prozent. So gelten die Gemeinden um Werdau, Torgau und Hainichen als unterversorgt. Nachwuchsprobleme gibt es in ganz Deutschland. Die Zahl der Hausärzte über 67 hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt.

Das Geld ist weg, aber ich habe eine schöne Beschäftigung und das ist mehr wert als alles andere.

Gerhard Barthe Hausarzt mit 74 Jahren

Barthe wollte seine Praxis ursprünglich zusammen mit einem jungen Kollegen eröffnen, doch der sprang ab. Die Finanzierung war für den damals 72-Jährigen schwierig. "Das Problem ist: In meinem Alter gibt einem keine Bank mehr einen Kredit", sagt der Arzt. Die Geräte und die ersten Gehälter hätten eine Menge Geld in einer Phase erfordert, wo es noch kein Einkommen gab.

"Die Kassenärztliche Vereinigung hätte im Prinzip was dazu gegeben, die hatte aber schon eine Praxis gefördert, hatte kein Geld mehr", erklärt Barthe. "Sodass ich in die Reserven gehen musste und meine Rücklagen fürs Alter angreifen musste." Doch das habe er nicht bereut. "Das Geld ist weg, aber ich habe eine schöne Beschäftigung und das ist mehr wert als alles andere." Rund 120.000 Euro hat Barthe in die Praxisgründung gesteckt und drei Mitarbeiterinnen eingestellt.

Wenn die Chemie-Lehrerin fehlt

Auch die 70-jährige Margit Seliger arbeitet noch immer. Nach fünf Jahren in der Rente kehrte sie an ihre alte Schule zurück, das Wilhelm von Humboldt Gymnasium in Nordhausen, aber sie hat ihre Unterrichtsstunden auf zehn pro Woche reduziert, statt der üblichen 25. Denn als sie 2014 – nach 37 Jahren als Lehrerin – in den Ruhestand gegangen war, habe ich das auch bitter nötig gehabt, sagt die Chemielehrerin.

Dennoch sei der Kontakt zur Schule nie abgebrochen. "Meine Kolleginnen sagten: Komm doch noch ein paar Stunden. Wir haben so viel Ausfall", so Seliger. Nach einem akuten Personalengstand an der Schule entschied sie zurückzukommen. "Und da war das geplant für ein halbes Jahr. 2019. Jetzt schreiben wir 2023 und ich bin immer noch da."

Was ich eigentlich möchte: dass Schüler einen guten Weg ins Leben finden.

Margit Seliger Chemielehrerin

Lehrer gehen in den Ruhestand, doch zu wenige kommen nach. Ein Problem, das es in ganz Thüringen gibt: Vor zwei Jahren waren laut Thüringer Lehrerverband zum Schuljahresbeginn rund 600 ausgeschriebene Stellen nicht besetzt. In diesem Jahr ist die Zahl sogar auf 800 gestiegen. Im Schnitt fehlen zwei Lehrer an jeder Schule.

Besonders heikel ist an der Schule in Nordhausen die Lage in den Naturwissenschaften. Wäre Seliger damals nicht aus der Rente zurückgekommen, wäre der Leistungskurs Chemie ausgefallen. "Es ist mein Anliegen. Es ist das, was ich eigentlich möchte, dass Schüler einen guten Weg ins Leben finden", sagt Seliger. An der Schule wird versucht, die Nachwuchsprobleme zu lösen. Seliger will so lange bleiben, wie sie gebraucht wird. Hofft aber, dass mit 71 Schluss ist.

Nachwuchssorgen beim Schmied

Nachwuchssorgen hat auch der Schmied Willie Woggon in der Nähe von Dresden. Seit 44 Jahren ist er im Dienst, harte körperliche Arbeit, die er mit 79 Jahren noch in Teilzeit ausführt: "Ich habe eben das Glück, dass ich noch kann", sagt Woggon. Mit seinem Spezialwerkzeug für Bildhauer wurde einst die Dresdner Frauenkirche wiederaufgebaut.

2019 hat Sohn Peter den Betrieb übernommen. Die Auftragslage ist gut, Woggon arbeitet noch gern mit. Trotzdem könnten sie Nachwuchs gut gebrauchen.

Es fehlen Azubis, die motiviert sind hart zu arbeiten: "Es ist schwer einen zu finden, der sagt: 'Ja, ich will hier stehen und schwitzen wie ein Verrückter'", erklärt der Schmied.

Ein generelles Problem: Während im Handwerk 2009 bereits 5.000 Ausbildungsstellen nicht besetzt waren, hat sich die Zahl vervierfacht – auf 20.000 unbesetzte Stellen. Das liegt auch daran, dass die Zahl der Bewerber zurückgeht.

In seinen jungen Jahren hat der Schmied gern ausgebildet. Doch für den kleinen Handwerksbetrieb lohnt sich die Ausbildung erst, wenn die Ausgelernten bleiben: "Ich habe mal einen hier gehabt, der war unser Azubi", sagt Woggon. Den Lehrling hätte er gern behalten, doch dieser ging anschließend zur Polizei. "Da ist dann eine gewisse Enttäuschung immer da." Die dreijährige Ausbildung lohne sich für ihn erst richtig, wenn der Azubi dann auch im Betrieb bleibt. 

Im Mittelpunkt steht bei Vater und Sohn die Leidenschaft für ihr Handwerk. Wenn die vorhanden sei, würden sie sogar Quereinsteiger neu ausbilden. Bis 90 will der Schmiedemeister arbeiten. Das wären immerhin noch zehn Jahre.

Auch Hausarzt Barthe aus Meißen arbeitet noch mit großem Enthusiasmus – trotzdem beschäftigt ihn die Abgabe der Praxis. "Es wäre ganz ideal, ich fände einen Nachfolger, den ich einarbeiten kann und der dann weitermachen würde", sagt er. Doch momentan sei von vielen Seiten zu hören, dass der Nachwuchs in der Medizin fehle. "Ich habe den festen Glauben und mein Gefühl sagt, es wird sich jemand finden, dass ich jedenfalls nicht bis zum 100. arbeiten muss."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 18. Oktober 2023 | 20:15 Uhr

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