Steigende Ticketpreise, weniger Gage Konzerte werden für alle teurer: Darum spielen Indie-Bands weiter
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12. Dezember 2024, 03:30 Uhr
Immer höhere Ticketpreise für Konzerte lassen vermuten, dass Musikerinnen und Musiker auch selbst mehr einnehmen. Teilweise ist es aber sogar umgekehrt: Steigende Kosten für Personal, Locations und Transport drücken die Gagen. Die Chemnitzer Pop-Band Ell kann sich die Tour nur leisten, weil ihre beiden Mitglieder vorher gespart haben – kein Einzelfall. Prominente Musikschaffende wie Thees Uhlmann und Alin Coen bestätigen, dass höhere Ticketpreise nicht immer mehr Einnahmen bedeuten. MDR KULTUR hat sich in der Szene genauer umgehört
- Immer mehr Band auf Tour müssen mit finanziellen Unsicherheiten kämpfen wie Ell aus Chemnitz.
- Prominente Musiker wie Thees Uhlmann oder Alin Coen sind finanziell besser aufgestellt, bemerken aber, dass sich Kollegen um weitere Standbeine bemühen.
- Der Verband Pro Musik fordert von der Politik, die prekäre Situation der Künstler zu verbessern.
Nicht alle Musikerinnen und Musiker profitieren von höheren Ticketpreisen. Die wirtschaftliche Situation sei für viele Künstler "dramatisch", sagt Ella Rohwer vom Musikerverband Pro Musik im Interview mit MDR KULTUR. Es gebe durch die wirtschaftlichen Krisen "eine enorme Preissteigerung" – bei Personal, Location und Transport. Diese führe bei einigen Künstlern wiederum dazu, "dass Preise, also Gagen, ganz konkret gedrückt werden". Betroffen seien insbesodere kleinere Bands.
Tickets für Konzerte bringen nicht genug Geld ein
Die Chemnitzer Pop-Band Ell, bestehend aus Lennart (Schlagzeug) und Lisa-Anna (Bass und Gesang), kämpft mit genau solchen finanziellen Unsicherheiten. Die beiden sind derzeit auf Tour und spielten am vergangenen Samstag in Leipzig.
70 Tickets wurden dort im Vorfeld verkauft. Um ihre Leidenschaft zu finanzieren, arbeitet Lennart nebenbei als Tontechniker und Lisa-Anna als Chorleiterin. "Wir können das gerade nur machen, weil wir vorher gespart haben", sagt Schlagzeuger Lennart MDR KULTUR. Während andere im Geschäft von steigenden Preisen profitierten, hoffe er, dass die Band bei ihrer Tour nicht draufzahlen zu müsse: "Es wird am Ende so sein, dass wir wahrscheinlich von den Ticketpreisen unterm Strich wenig bis gar nichts kriegen".
Wir können das gerade nur machen, weil wir vorher gespart haben.
Man versuche, wenigstens mit dem Verkauf von Platten und Merchandise wie Pullovern und T-Shirts Einnahmen zu generieren. Das sei die einzige realistische Einnahmequelle. Denn auch beim Thema Streaming sei bisher "kein einziger Cent" für die Band rausgesprungen.
Größere Musiker wie Thees Uhlmann spielen sorgenloser Konzerte
Wie sieht das bei den etwas prominenteren Künstlern aus? Der Singer-Songwriter Thees Uhlmann füllt bei seinen Touren inzwischen große Konzertlocations. Er könne dadurch mit einer gewissen Angstlosigkeit sein Künstlerleben führen, sagt er im Gespräch mit MDR KULTUR.
Er bekomme aber auch mit, dass trotz steigender Ticketpreise nicht unbedingt mehr bei den Musikern ankomme: "Die Leute, die da in der Mitte stehen, die vermeintlich berühmt sind, dass die im Endeffekt mit am wenigsten Geld nach Hause gehen, das ist dann schon heftig." Das bestätigt Ella Rohwer von Pro Musik: Die Steigerung der Tourkosten – zum Beispiel einen Tourbus oder Ausrüstung zu mieten – sei immens. Es gebe zurzeit "ganz viele Künstler*innen", die sich bei ihr meldeten und sagten: "Die Tour lohnt sich gar nicht mehr."
Alin Coen: Weniger Tickets im Vorverkauf gesichert
Die Leipziger Musikerin Alin Coen fügt eine weitere Perspektive hinzu: Wie viel von den Ticketpreisen beim Künstler hängenbleibe, hinge häufig auch davon ab, wie viel Aufwand man mit seiner Liveshow betreibe, wie viel Geld man zum Beispiele für Nightliner oder Ton- und Lichttechniker ausgebe. Sie befinde sich selbst in einer "Luxussituation", wie sie MDR KULTUR sagt: "Für uns lohnt es sich, auf Tour zu gehen und bei uns bleibt auch noch was hängen."
Auch sie merke jedoch, wie sich die Live-Branche verändere: Die Menschen würden weniger Tickets im Vorverkauf kaufen, wodurch Sicherheiten fehlten. Außerdem beobachte sie, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen aus Sorge "ein anderes Standbein" suchten.
Ähnlich ergeht es der Leipziger Musikerin Laura Liebeskind, die sich durch Moderationen und Schauspiel über Wasser hält. Sie will ihre neue Platte mithilfe von Spenden finanzieren, wie sie im Interview mit MDR KULTUR sagt. Das Konzept des Crowdfundings sei in den USA deutlich verbreiteter, um Musiker zu finanzieren. Sie halte das für ein geeignetes "Mittel direkter demokratischer Teilhabe". So könne jeder entscheiden, wen er oder sie unterstützen wolle.
Verband Pro Musik sieht Verantwortung bei der Politik
Der Verband Pro Musik sieht die Verantwortung eher in der Politik als bei den Fans. Es brauche eine bessere soziale Absicherung für die kleinen Musikerinnen und Musiker, für die sich die Situation immer weiter zuspitze, so Verbandschefin Ella Rohwer im Gespräch mit MDR KULTUR. Das heißt konkret: mehr staatliche Förderung, eine stärkere Künstlersozialkasse und eine Arbeitslosenversicherung für Freischaffende. Laut Rohwer sei jedoch gerade das Gegenteil der Fall: "Wir erleben gerade einen massiven Abbau von Geldern für Kultur in den Landeshaushalten, in den städtischen Haushalten."
Wir erleben gerade einen massiven Abbau von Geldern für Kultur in den Landeshaushalten, in den städtischen Haushalten.
Pop-Band aus Chemnitz will Konzert für alle ermöglichen
Auch Lennart von der Popband Ell ist der Meinung, dass die Szene mehr Unterstützung braucht. Denn nicht nur die Musiker seien betroffen, dahinter stecke ein ganzer Wirtschaftszweig – Techniker und Barpersonal zum Beispiel: Wenn seine Konzerte ausfielen, "hätten die ganzen anderen Leute, die da dranhängen, keinen Job." Wie eine Recherche von MDR KULTUR zeigte, ächzen auch viele Veranstalter und Locations unter dem wirtschaftlichen Druck. Demnach denkt jeder sechste Club über eine Schließung nach.
Lennart und Lisa-Anna wollen bei ihrer nächsten Tour unterschiedliche Preiskategorien bei den Tickets anbieten, um möglichst allen Menschen Zutritt gewähren zu können. Eine großzügige Entscheidung, wo sie doch selbst erstmal schauen müssen, wie sie finanziell über die Runden kommen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 12. Dezember 2024 | 07:10 Uhr