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Immer wieder kam es zu gefährlichen Verfolgungsfahrten der Polizei mit Schleusern. Im Oktober führte Bundesinnenministerin Nancy Faeser stationäre Grenzkontrollen ein. Ist das Problem damit gelöst?

exactly Mo 11.12.2023 10:00Uhr 26:41 min

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Migration Sachsen: Was die Grenzkontrollen bislang gebracht haben

12. Dezember 2023, 05:00 Uhr

In Bayern gibt es bereits seit 2015 feste Grenzkontrollen, seit Mitte Oktober 2023 werden diese nun auch in Brandenburg und Sachsen durchgeführt. Inzwischen greift die Polizei immer weniger Migranten auf. Doch die Gründe dafür liegen nicht allein in den neu eingeführten Grenzkontrollen.

Der Hinweis kam von einem Bürger: 16 Syrer sollen von zwei Autos mit tschechischen Kennzeichen abgesetzt worden sein. Die Fahrer sind weg. Es ist eine typische Szene im September an der Grenze zu Polen im September. Damals gab es in Brandenburg und Sachsen noch keine festen Grenzkontrollen. Stattdessen wurden ankommende Fahrzeuge im Hinterland stichprobenartig überprüft - Schleierfahndung genannt.

Am 20. September etwa griff die Bundespolizei in Forst (Brandenburg) insgesamt 170 unerlaubt eingereiste Personen auf und nahm vier Schleuser fest. Oft sind in solchen viele Menschen auf engem Raum eingepfercht – meist auf den Ladeflächen von Transportern, aber auch in Pkw, Kleinbussen oder Lkw. Die Polizei zog an jenem Tag einen Transporter raus, nachdem dieser durch die Kontrolle an der Grenze gerast war: Es stiegen 30 Menschen aus – überwiegend Männer, aber auch eine Frau und zwei kleine Kinder.

Sie sind seit mindestens fünf Stunden unterwegs gewesen und aus der Slowakei gekommen. Gepäck haben sie nicht dabei. Das nimmt zu viel Platz weg, die Schleuser wollen verdienen – und das geht am besten mit möglichst vielen Menschen auf wenig Raum. "Das ist halt menschenunwürdig. Da geht es wirklich um Gewinnmaximierung. So viele Leute rein wie möglich. Und was da hinten passiert, ist egal", sagt Frank Malack, Dienstgruppenleiter bei der Bundespolizeiinspektion Forst.

Da geht es wirklich um Gewinnmaximierung. So viele Leute rein wie möglich. Und was da hinten passiert, ist egal.

Frank Malack Bundespolizeiinspektion Forst

Sachsen: Innenminister forderte schon lange Kontrollen

Der Innenminister von Sachsen, Armin Schuster (CDU), forderte bereits seit Mai temporäre, stationäre Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien. Der Grund: "Wir könnten die Schleusung am Grenzübergang unterbinden, bevor überhaupt deutsches Hoheitsgebiet erreicht wird. Das ist ein entscheidender Vorteil", sagte der Politiker Mitte September. Denn nur dort dürfe zurückgewiesen werden. Wer einmal eingereist sei, dürfe nicht mehr zurückgewiesen werden. "Er muss dann den langwierigen Weg einer Rückführung, der oft Monate dauert und oft nicht klappt, gehen. Deswegen sind wir für Schleierfahndung plus Grenzkontrollen."

Zur Erklärung: Grenzkontrollen finden direkt auf der Grenze statt. Sie müssen bei der EU angemeldet werden. Dabei kann die Bundespolizei Personen zurückweisen, die nicht die nötigen Einreisedokumente haben. Wer ein Asylgesuch stellt, darf trotzdem einreisen. Bei der Schleierfahndung werden in einem Bereich von 30 Kilometern hinter der Grenze stichprobenartig Kontrollen durchgeführt. Zurückweisungen sind kaum möglich. 

In Bayern gibt es schon seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 temporäre Grenzkontrollen zu Österreich. Damals kamen die meisten Flüchtlinge über Österreich. Dieses Jahr kamen mehr Migranten über Polen und Tschechien. Doch während Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Kontrollen zu Bayern immer wieder um ein halbes Jahr verlängerte, lehnte sie temporäre feste Kontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz lange ab – bis sie diese am 16. Oktober schließlich doch zuließ. Faeser verlängerte die Kontrollen kürzlich bis zum 15. Dezember. Am Freitag kündigte sie an, sie um mindestens zwei weitere Monate verlängern zu wollen.

Grenzkontrollen eingeführt: Was sich in Sachsen geändert hat

In Zittau in Sachsen – im Dreiländereck zwischen Polen und Tschechien – hat sich die Situation seitdem deutlich verändert. "Seit etwa knapp zwei Wochen haben wir jetzt hier bei uns im Dreiländereck kaum noch Aufgriffe von Migranten und Schleusern", sagte der Pressesprecher der zuständigen Bundespolizei Ebersbach, Alfred Klaner, gut drei Wochen nach Einführung der temporären Grenzkontrollen. Doch die genauen Gründe dafür kenne man nicht. Man sei mit dem gleichen Aufwand und demselben Personal wie zuvor im Einsatz.

Seit etwa knapp zwei Wochen haben wir jetzt hier bei uns im Dreiländereck kaum noch Aufgriffe von Migranten und Schleusern.

Alfred Klaner Bundespolizei Ebersbach

So stark wie in Zittau sind die Zahlen nicht überall zurückgegangen. Ein klarer Trend ist trotzdem zu erkennen: Die Bundespolizei stellte an der Grenze zu Polen in den 30 Tagen vor Einführung der Grenzkontrollen 6.411 illegale Einreisen fest. In den 30 Tagen danach waren es noch 2.795 – es hat sich also mehr als halbiert. Bundesweit gingen die festgestellten, unerlaubten Einreisen im Vergleichszeitraum um rund 40 Prozent zurück: Von 18.492 auf 11.029.

Auch in den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen kamen deutlich weniger Menschen an: In den vier Wochen vor Einführung der Kontrollen waren es rund 5.000, in den vier Wochen danach etwa 2.800, teilte das Innenministerium mit.

Warum jetzt weniger Migranten ankommen

Doch woran liegt das? Hat es etwas mit der Jahreszeit zu tun? Eher nicht. Die Statistik sagt, ab Dezember kommt es in der Regel zu einem starken Rückgang der unerlaubten Einreisen. Aber noch nicht im Oktober oder November.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den stark zurückgegangenen Aufgriffszahlen und den Grenzkontrollen? "Ja, selbstverständlich gibt es da einen Zusammenhang", sagt der Vorsitzende der DPolG-Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz. "Zum einen ist natürlich die Kontrolldichte unglaublich hochgefahren worden durch die stationären Kontrollen. Und je höher die Kontrolldichte, desto größer das Risiko für die Schlepper, von uns erwischt zu werden."

Und das scheint Schleuser abzuschrecken: 266 hat die Bundespolizei in den vier Wochen nach Einführung der Kontrollen festgenommen, 411 waren es im Vergleichszeitraum davor. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass der Rückgang auf eine ineffektivere Arbeit der Bundespolizei zurückzuführen ist, denn die Kontrolldichte ist hoch. Es scheinen einfach weniger Schleuser über die Grenze zu kommen. Man findet auch seit Anfang November in den Pressemitteilungen der regionalen Bundespolizeistellen so gut wie keine Berichte über Verfolgungsfahrten und Unfälle mit Schleusern mehr. Noch bis Mitte Oktober gab es häufig solche Meldungen.

Also sowohl die Polen als auch die Tschechen, aber auch die Slowaken und die Ungarn haben in Kettenreaktion natürlich auch Binnengrenzkontrollen an die Anrainerstaaten umgesetzt.

Heiko Teggatz Bundespolizeigewerkschaft

Außerdem gehe von den deutschen Grenzkontrollen eine Signalwirkung an andere europäischen Staaten aus, durch die die Schleuserrouten verlaufen, so Teggatz. Denn die wollten vermeiden, dass durch die Zurückweisungen an der deutschen Grenze bei ihnen ein Stau entstehe. "Also sowohl die Polen als auch die Tschechen, aber auch die Slowaken und die Ungarn haben in Kettenreaktion natürlich auch Binnengrenzkontrollen an die Anrainerstaaten umgesetzt." Das führe dazu, dass insgesamt der Migrationsdruck nach Deutschland nachlasse.

Was an der EU-Außengrenze zu Serbien geschieht

Ungarn hat bereits 2015 einen Grenzzaun zu Serbien gebaut – das ist die EU-Außengrenze. Serbien gehört nicht zur EU und ist für viele Migranten eine wichtige letzte Station vor der Einreise auf der Westbalkanroute. Hier sollen zurzeit zahlreiche Migranten auf dem Weg in die EU feststecken.

"Ende Oktober gab es eine Schießerei zwischen Schleusergruppen. Dabei wurden drei Menschen getötet und drei weitere verletzt", sagt Milica Švabić, die Anwältin ist bei der serbischen Hilfsorganisation für Flüchtlinge "klikAktiv" tätig. "Die serbische Polizei nahm das zum Anlass, eine riesige Polizeiaktion zu starten, in der sie alle inoffiziellen Flüchtlingslager räumte."

Die Migranten hausten in der Nähe zur Grenze in alten Fabriken, verlassen Häusern oder Hütten und warteten dort darauf, dass ein Schleuser sie in die EU bringen würde. Die serbische Polizei habe sie aus diesen Lagern rausgeholt und in die offiziellen serbischen Aufnahmelager gebracht, berichtet Švabić. "Wir haben von den Flüchtlingen gehört, dass die meisten am Anfang nicht die Lager verlassen durften." Für sie sei das einer der Gründe, warum weniger Menschen nach Deutschland kommen.

Mehr Zurückweisungen an der Grenze zu Polen und Tschechien

Die europäische Grenzschutzagentur "Frontex" bestätigt gegenüber MDR Investigativ, dass die serbische Polizei Hunderte Migranten aus der Grenzregion gebracht hat. 5.800 Menschen seien in den serbischen Aufnahmelagern untergebracht. "Dennoch wird der Druck entlang der Westbalkan-Route weiterhin bestehen, da Migranten immer noch versuchen werden, ihr endgültiges Ziel in der EU zu erreichen.”

Auch die Bundespolizei bestätigt auf Nachfrage: "Seit Ende Oktober 2023 kommt es seitens serbischer Behörden an der Grenze zu Ungarn zu verstärkten Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration und gegen Schleusergruppierungen. Dies führt zu einer deutlichen Verzögerung der Migration über oder durch Serbien." Insgesamt bleibe der Migrationsdruck auf der Balkanroute hoch.

Es scheint also, dass der plötzliche Rückgang der in Deutschland ankommenden Migranten nicht nur etwas mit der Einführung temporärer Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz zu tun hat, sondern auch mit Entwicklungen in Serbien und anderen Ländern, die auf den Flüchtlingsrouten zwischen der Türkei und Deutschland liegen.

Ein eindeutiger Effekt der Grenzkontrollen lässt sich dennoch feststellen: An den Grenzen zu Polen und Tschechien gab es in den vier Wochen nach Einführung der Kontrollen deutlich mehr Zurückweisungen als in den vier Wochen davor: Dort wurden laut Bundespolizei 1.059 Menschen zurückgewiesen, die keine Berechtigung haben, nach Deutschland einzureisen. Vor Einführung der Kontrollen waren es vier.

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Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 11. Dezember 2023 | 17:00 Uhr

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