Kindeswohlgefährdung Neue Ärzte-Honorare für mehr Kinderschutz
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17. Februar 2025, 08:15 Uhr
Seit fast vier Jahren gilt ein Gesetz, das den Kinder- und Jugendschutz verbessern soll. Dazu gehören auch Honorare für Ärztinnen und Ärzte, die Hinweise auf Kindeswohlgefährdung an die Jugendämter geben und die Fälle mit ihnen besprechen. Dazu nötige Vereinbarungen gibt es inzwischen in Sachsen-Anhalt und Thüringen – in Sachsen aber noch nicht.
- Ärztinnen und Ärzten sollen Jugendämtern bei Kindeswohlgefährungen helfen – doch Honorare gab es dafür bisher nicht.
- In Sachsen-Anhalt und Thüringen wurden dazu jetzt neue Kooperationen vereinbart – in Sachsen soll sie "bald" kommen.
- Verzögerungen: Anscheinend war die Abstimmung mit den kommunalen Jugendämtern nicht ganz einfach.
Jugendämter in Deutschland haben 2023 mehr Kinder und Jugendliche in Obhut genommen als im Jahr davor. Wie das Statistische Bundesamt jetzt berichtete, stieg die Zahl auf mehr als 74.000 – zwölf Prozent mehr als 2022. Mehr als die Hälfte der Betroffenen seien unbegleitete Minderjährige aus dem Ausland gewesen. Ohne sie wäre die Zahl für 2023 im Vergleich zu 2022 um sieben Prozent gesunken.
Bereits 2022 hatte die Zahl der bemerkten Kindeswohlgefährdungen in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Auch deshalb war 2021 ein Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, das KJSG beraten und beschlossen worden und dann im Juni 2021 in Kraft getreten.
Honorar für Hinweise keine Geldfrage
Um entsprechende Hinweise durch Ärztinnen und Ärzte zu fördern, legte das Gesetz unter anderem fest, dass sie dafür und vor allem auch für ihre weitere Hilfe bei der Fall-Beratung mit dem Jugendamt bezahlt werden sollen.
Dazu hatten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) am 1. Januar 2024 zwei neue Gebührensätze in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) eingeführt, nach dem kassenärztliche Leistungen bezahlt werden – eine für den Hinweis und das Ausfüllen eines umfangreicheren Meldebogens und eine weitere für anschließende Fall-Beratungen mit dem Amt.
Damit Honorare aber konkret abgerechnet werden können, wurden im Sozialgesetzbuch auch neue Kooperationsvereinbarungen vorgeschrieben, der Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder mit den Spitzenverbänden der Kommunen, die für Jugendämter zuständig sind. Eine Geldfrage war das aber nicht. Mit weniger als 10.000 in Arztpraxen erwarteten Fällen wurde mit einem geringeren einstelligen Millionenbetrag pro Jahr in ganz Deutschland gerechnet, den die gesetzlichen Krankenkassen zu tragen haben.
Sachsen: Vereinbarung kommt "bald"
In Sachsen gibt es bisher noch keine Kooperationsvereinbarung. Wie die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen auf Anfrage von MDR AKTUELL mitteilte, hatte die KVS schon Mitte 2023 einen Vertragsentwurf dem Landkreis- und dem Städtetag übermittelt. Zwischenzeitlich habe es auch Abstimmungen mit Vertretern der kommunalen Verbände und des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte im Land gegeben. Die Gespräche aber liefen noch.
Vom Sächsischen Landkreistag hieß es jetzt allerdings: "Nach unserer Einschätzung sollte es zeitnah zu einer abschließenden Abstimmung kommen können." Wie Vize-Geschäftsführerin Veronika Müller auf Nachfrage von MDR AKTUELL erklärte, soll die neue Vereinbarung in Sachsen schon "gewachsene Strukturen erhalten", bereits praktizierte Verfahren optimieren und somit der Ärzteschaft "ein noch klarerer Fahrplan" gegeben werden.
Auch für den Sächsischen Städte- und Gemeindetag zeigte sich Geschäftsführer Mischa Woitscheck auf Nachfrage von MDR AKTUELL "zuversichtlich, dass die Vereinbarung bald abgeschlossen werden kann". Sie werde etwas regeln, das es schon lange gebe, dass "sich Ärzte beim Verdacht einer Kindeswohlgefährdung vertrauensvoll an das Jugendamt wenden. Das funktioniert auf lokaler Ebene seit Jahren", erklärte Woitscheck.
Für den Verband der Kinder- und Jugendärzte in Sachsen sagte die Chemnitzer Kinderärztin Kristin Hertwig dem MDR dazu, dass Honorare hier überfällig seien, vor allem aber eine Vereinheitlichung der Abläufe.
Regelung in Sachsen-Anhalt steht
Als erste in Mitteldeutschland hatte die Kassenärztliche Vereinigung in Sachsen-Anhalt eine Kooperationsvereinbarung mit Städten, Gemeinden und Landkreistag abgeschlossen, die am 1. August 2024 in Kraft trat.
In Sachsen-Anhalt hatte es zuvor auch schon eine landesgesetzliche Verpflichtung für Mediziner zu Hinweisen auf Kindeswohlgefährungen gegeben, auch hier aber ohne Honorierung. Mit der neuen Vereinbarung wurde jetzt jedoch auch die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten untereinander durch Ausnahmen bei der Schweigepflicht erleichtert.
Spezifische Anforderungen der Ämter
In Thüringen konnte die Vereinbarung jetzt am 1. Februar 2025 in Kraft treten und noch im Januar hatte die Kassenärztliche Vereinigung (KVT) ihre Mitglieder auch über die Abrechnungsmodalitäten informiert.
Auf Nachfrage von MDR AKTUELL teilte KVT-Sprecherin Luisa Ihle nun mit, dass die Verzögerungen mehrere Gründe hatten. So habe auf ärztlicher Seite der Wunsch nach einer möglichst einheitlichen Regelung bestanden, während die Kommunen individuelle Anpassungen bevorzugten. Demnach mussten mit allen Jugendämtern im Land noch eigene Regelungen zur Umsetzung und Ausgestaltung der Kooperation von Arzt und Behörde getroffen werden.
Auch habe zunächst auf Bundesebene geklärt werden müssen, wie die ärztliche Vergütung geregelt wird, erklärte Ihle weiter: "Ohne diese Grundlage wäre es nicht sinnvoll gewesen, auf Landesebene Verhandlungen zu führen." Da sich diese Klärung bis Ende 2023 (siehe oben) hingezogen habe, sei der Vertragsentwurf erst im Dezember 2023 vorgelegt worden.
MDR AKTUELL
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 15. Februar 2025 | 08:00 Uhr