Rechtsexperte erklärt Digitaler Krankenschein und Krankmeldung beim Arbeitgeber: Ihre Rechte und Pflichten
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09. Februar 2023, 15:55 Uhr
Neu ist im Jahr 2023 der digitale Krankenschein. Doch für wen gilt er und welche Daten werden der Krankenkasse von Arzt oder Ärztin übermittelt? Und ersetzt die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch die Krankmeldung bei der Arbeit? Antworten weiß Gilbert Häfner, Jurist und ehemaliger Präsident des Oberlandesgerichts Dresden. Lohnfortzahlung, Urlaub und Pflege des Kindes - er erklärt, welche Rechte und Pflichten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber haben.
Inhalt des Artikels:
- Was hat es mit dem digitalen Krankenschein auf sich?
- Welche Informationen werden der Krankenkasse übermittelt? Was teilt sie dem Arbeitgeber mit?
- Ist die Datenübertragung sicher?
- Wer bekommt eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
- Ersetzt die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Krankmeldung des Arbeitnehmers bei der Arbeit?
- Auf welche Weise muss der Arbeitnehmer sich krankmelden?
- Muss eine Erkrankung immer durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen werden?
- Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber auch die Art der Erkrankung mitzuteilen?
- Verkürzt sich bei längerer Krankheit der Urlaubsanspruch?
- Was passiert, wenn der Arbeitnehmer im Krankheitsfall seiner Nachweispflicht nicht nachkommt?
- Darf der Arbeitnehmer trotz Krankschreibung zur Arbeit gehen?
- Darf der Arbeitnehmer während der Krankschreibung ausgehen und Sport treiben?
- Darf ein Arbeitnehmer wegen Erkrankung seines Kindes der Arbeit fernbleiben?
- Ist der Arbeitgeber berechtigt, die Lohnfortzahlung zu verweigern, wenn der Arbeitnehmer wegen der Erkrankung seines Kindes der Arbeit fernbleibt?
- Darf einem Arbeitnehmer wegen Krankheit gekündigt werden?
Was hat es mit dem digitalen Krankenschein auf sich?
Zum 1. Januar 2023 ist für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Stelle des "gelben Zettels" getreten. Die Praxis des behandelnden Arztes übermittelt die entsprechenden Daten an die Krankenkasse des Patienten. Von dort kann sie wiederum der Arbeitgeber des Patienten elektronisch abrufen.
Welche Informationen werden der Krankenkasse übermittelt? Was teilt sie dem Arbeitgeber mit?
Die Arztpraxis übermittelt der Krankenkasse den Namen des bei ihr versicherten Patienten, den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit sowie die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung. Zudem teilt sie mit, ob Anhaltspunkte für einen Arbeitsunfall bestehen. Von dem letztgenannten Umstand abgesehen werden die Daten - grundsätzlich frühestens am Tag nach der Krankschreibung - dem Arbeitgeber auf Abruf zur Verfügung gestellt. Dieser erfährt weder den Namen des behandelnden Arztes noch dessen Diagnose.
Ist die Datenübertragung sicher?
Der Inhalt der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird zur Übermittlung verschlüsselt. Bei einer Abfrage durch einen Arbeitgeber wird zudem anhand des Datenbestandes der Krankenversicherung geprüft, ob er als aktueller Arbeitgeber der versicherten Person bei ihr verzeichnet ist.
Wer bekommt eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
An dem elektronischen Meldeverfahren nehmen ausschließlich gesetzlich Krankenversicherte teil. Hingegen erhalten Privatversicherte und Beihilfeberechtigte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wie bisher bis auf Weiteres in Papierform. Gleiches trifft auf Kinder von gesetzlich Krankenversicherten zu.
Ersetzt die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Krankmeldung des Arbeitnehmers bei der Arbeit?
Nein. Wie bisher muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich dem Arbeitgeber anzeigen. Ist der Arbeitnehmer an feste Arbeitszeiten gebunden und absehbar, dass sein Arztbesuch nicht vor Arbeitsbeginn abgeschlossen sein wird, darf wegen der Krankmeldung nicht erst das Ergebnis abgewartet werden.
Auf welche Weise muss der Arbeitnehmer sich krankmelden?
Für die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben. Der Arbeitnehmer sollte ein Kommunikationsmittel wählen, bei dem sichergestellt ist, dass die Krankmeldung den Arbeitgeber schnell und zuverlässig erreicht. Am besten eignet sich ein Telefonanruf, auch eine E-Mail oder ein Telefax sind möglich.
Muss eine Erkrankung immer durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen werden?
Ein ärztliches Attest hat der Arbeitnehmer grundsätzlich erst vorzulegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert. In diesem Fall ist das Attest spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Allerdings darf der Arbeitgeber die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung bereits früher verlangen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, muss der Arbeitnehmer ein neues Attest (Folgebescheinigung) vorlegen.
Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber auch die Art der Erkrankung mitzuteilen?
Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber nicht offenbaren, an welcher Krankheit er leidet. Anderes gilt aber dann, wenn der Arbeitgeber wegen der Art der Erkrankung Maßnahmen ergreifen muss, um die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Dritte zu schützen. Das kann beispielsweise sein, wenn die Arbeitstätigkeit die Krankheit verursacht hat. Darüber hinaus muss der Arbeitnehmer mitteilen, wenn er wegen derselben Krankheit mehrfach krankgeschrieben wird.
Verkürzt sich bei längerer Krankheit der Urlaubsanspruch?
Krankheitsbedingte Fehltage werden - ungeachtet ihrer Anzahl - nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt. Im Fall der Erkrankung während des Urlaubs werden aber nur diejenigen Krankheitstage nicht angerechnet, für welche die Arbeitsunfähigkeit durch ärztliches Attest nachgewiesen ist; es gibt insoweit also keine Karenz.
Hält sich der Arbeitnehmer bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Ausland auf, so ist er verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, deren voraussichtliche Dauer und die Adresse am Aufenthaltsort in der schnellstmöglichen Art der Übermittlung mitzuteilen.
Was passiert, wenn der Arbeitnehmer im Krankheitsfall seiner Nachweispflicht nicht nachkommt?
Die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit beruht darauf, dass der Arbeitgeber in der Regel organisatorische Maßnahmen treffen muss, um zu vermeiden, dass dem Unternehmen durch den unvorhergesehenen Wegfall der Arbeitskraft ein Schaden entsteht. Tritt ein solcher Schaden ein und wäre er vermieden worden, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig mitgeteilt hätte, haftet hierfür der Arbeitnehmer, wenn er die Mitteilung schuldhaft unterließ.
Verstößt der Arbeitnehmer gegen die Pflicht, eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen, darf der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung solange zurückhalten, bis der Arbeitnehmer das Attest nachreicht.
Darf der Arbeitnehmer trotz Krankschreibung zur Arbeit gehen?
Bei der in der ärztlichen Bescheinigung angegebenen voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit handelt es sich um eine medizinische Prognose, nicht um ein Arbeitsverbot. Der Arbeitnehmer kann - und muss - daher zur Arbeit erscheinen, sobald er wieder arbeitsfähig ist. Da sich die Arbeitsunfähigkeit allerdings nicht nach dem subjektiven Empfinden des Arbeitnehmers, sondern nach medizinischen Maßstäben richtet, empfiehlt es sich für den Arbeitnehmer, erneut den Arzt zu konsultieren, wenn er beabsichtigt, vor Ablauf der prognostizierten Krankheitsdauer die Arbeit wieder aufzunehmen.
Teilt der Arbeitgeber die Selbsteinschätzung des Arbeitnehmers zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht, darf er den Arbeitnehmer nach Hause schicken. Denn den Arbeitgeber trifft eine Fürsorgepflicht sowohl gegenüber dem (noch) erkrankten Arbeitnehmer als auch gegenüber dessen Kolleginnen und Kollegen. So können diese den Arbeitgeber, für den die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit erkennbar ist, beispielsweise auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn der erkrankte Arbeitnehmer wegen seiner Arbeitsunfähigkeit eine Maschine fehlerhaft bedient und dadurch andere verletzt werden.
Darf der Arbeitnehmer während der Krankschreibung ausgehen und Sport treiben?
Der erkrankte Arbeitnehmer darf grundsätzlich alles unternehmen, was seine Wiedergenesung nicht gefährdet oder sie gar fördert. In Zweifelsfällen sollte er dazu seinen Arzt konsultieren. Ein genesungswidriges Verhalten kann - ebenso wie das Vortäuschen einer Erkrankung - die fristlose Kündigung rechtfertigen.
Darf ein Arbeitnehmer wegen Erkrankung seines Kindes der Arbeit fernbleiben?
Der Arbeitnehmer darf eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit der Arbeit fernbleiben, wenn er ohne eigenes Verschulden durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Arbeitsleistung gehindert ist. Das ist bei der Notwendigkeit der Betreuung eines erkrankten eigenen Kindes, das das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, grundsätzlich der Fall.
Für die Häufigkeit solcher Fehltage können sich aber Grenzen aus dem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag ergeben. In der Regel besteht ein Anspruch auf Freistellung eines Elternteils für bis zu zehn Arbeitstage pro Jahr und Kind, maximal jedoch 25 Arbeitstage im Jahr (Hinweis: 2023 gilt eine Ausnahmeregelung). Ist das Kind länger oder häufiger krank, muss der Arbeitnehmer auf die Hilfe von Großeltern, Nachbarn etc. zurückgreifen, für eine entgeltliche Betreuung sorgen oder selbst Urlaub nehmen.
Ist der Arbeitgeber berechtigt, die Lohnfortzahlung zu verweigern, wenn der Arbeitnehmer wegen der Erkrankung seines Kindes der Arbeit fernbleibt?
Es ist zulässig, die Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer bei Fehlen wegen der Betreuung seines erkrankten Kindes im Arbeitsvertrag auszuschließen. In diesem Fall tritt bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern die Krankenkasse mit dem sogenannten Kinderkrankengeld ein, wenn die Erforderlichkeit der Betreuung durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen ist. Diese Leistung beträgt allerdings nur 90 Prozent des entgangenen Nettoarbeitsentgelts. Eine zusätzliche Begrenzung kann sich für "Besserverdiener" daraus ergeben, dass das Kinderkrankengeld 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung nicht überschreiten darf.
In zeitlicher Hinsicht besteht der Anspruch auf Kinderkrankengeld für bis zu zehn Arbeitstage pro Kind und Kalenderjahr, maximal jedoch, also bei mehreren Kindern, 25 Arbeitstage im Kalenderjahr. Bei Alleinerziehenden sind es bis zu 20 bzw. 50 Arbeitstage.
Ausnahmeregelung Eine Verbesserung für Arbeitnehmer hat sich im Zuge der Gesetzgebung zum Schutz vor Covid-19 ergeben. Danach ist der Anspruch auf Arbeitsfreistellung und Kinderkrankengeld auf bis zu 30 Arbeitstage (bei Alleinerziehenden 60 Arbeitstage) pro Jahr und Kind, maximal jedoch 65 Arbeitstage (bei Alleinerziehenden 130 Arbeitstage) im Jahr erweitert. Diese Ausnahmeregelung gilt aber voraussichtlich nur noch im Jahr 2023.
Darf einem Arbeitnehmer wegen Krankheit gekündigt werden?
Eine personenbedingte Kündigung wegen Krankheit wird von der Rechtsprechung grundsätzlich nur dann als sozial gerechtfertigt angesehen, wenn es sich um eine lang andauernde Arbeitsunfähigkeit, um häufige Kurzerkrankungen oder um eine dauerhafte krankheitsbedingte Minderung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers handelt, wobei diese zu einer unzumutbaren betrieblichen und wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen muss.
Zum Zeitpunkt der Kündigung muss zudem die Prognose begründet sein, dass es voraussichtlich auch in Zukunft zu längerer oder häufiger Erkrankung kommen wird. Schließlich muss die Kündigung verhältnismäßig sein. Das heißt, die Kündigung muss auch unter Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses, der Ursachen der Erkrankung, des Lebensalters des Beschäftigten etc. gerechtfertigt sein.
MDR (sib)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 09. Februar 2023 | 17:00 Uhr