Der Redakteur | 20.01.2025 Ist ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche sinnvoll?
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20. Januar 2025, 18:37 Uhr
Die Diskussion ist ungefähr so alt wie das Smartphone. Während zum Beispiel Australien die Nutzung Sozialer Netzwerke für unter 16-Jährige gesetzlich einschränkt, geht es beim Tiktok-Verbots-Pingpong in den USA um den Einfluss Chinas. Doch das Problem besteht schon lange nicht mehr "nur" aus Datensicherheit, Schmuddelkram, Mobbing und Fake-News.
Mit einer einzigen Altersgrenze für Soizale Netzwerke ist es nicht getan, erklärt Dr. Inés Brock-Harder, Vorsitzende des Bundesverbands für Kinder- und Jugendlichentherapie e.V. Bis zum dritten oder vierten Lebensjahr sollten Kinder überhaupt keinen Kontakt mit diesen Medien haben.
Auch danach sei es essenziell, die Nutzung stark einzuschränken - auf maximal eine halbe Stunde täglich. Auch gehörten Smartphones nicht in Grundschulkinderhände.
Die Möglichkeiten des Smartphones holen die Idee des Internets direkt in die kindliche Seele - mit oft schädlichen Folgen.
Unkontrollierte Internet-Nutzung kann Sucht fördern
Ein großes Problem sieht Brock-Harder in den Gefahren, die mit der unkontrollierten Nutzung des Internets einhergehen. So könnten Kinder und Jugendliche potenziell süchtig werden, in soziale Abhängigkeiten geraten oder mit problematischen Inhalten wie Pornografie oder Gewaltdarstellungen konfrontiert werden.
MDR THÜRINGEN-Hörer Björn Lauer aus Mühlhausen befürwortet deshalb ein Verbot von Social Media für Kinder: "Sie werden gemobbt, mobben selber und wissen gar nicht, welchen Schaden sie damit anrichten." Er verweist auf Verschwörungstheoretiker, die sich tummeln, und zwischen Fake und Realität könnten nicht einmal Erwachsene unterscheiden.
Beispiel Aufklärung: Harte Pornografie überfordert Kinder
Und wie sieht das mit dem Unterschied zwischen Porno und Partnerschaft aus? Die Kinder von heute werden nicht behutsam von "Dr. Sommer" - einer früheren Rubrik zur Aufklärung in der Zeitschrift "Bravo" - an das Sexualleben herangeführt. Stattdessen gibt es Aufklärung mit dem Vorschlaghammer.
Rund 90 Prozent aller zwölfjährigen Jungen haben bereits harte Pornografie konsumiert, zitiert Inés Brock-Harder aktuelle Erhebungen. "Die Überforderung durch solche Inhalte ist enorm." Dies führe oft zu einer gestörten Beziehungsfähigkeit und einer ungesunden Entwicklung von Sexualität.
Empathieverlust durch digitale Medien
Auch die soziale Entwicklung der Kinder sieht die Psychotherapeutin durch die digitale Welt bedroht. Empathie entwickle sich vor allem durch den direkten Kontakt mit anderen Menschen, durch das Lesen von Emotionen, Augenkontakt und das Verstehen von sozialen Interaktionen.
"Wenn diese Prozesse zunehmend ins Netz verlagert werden, sind Misserfolgserfahrungen vorprogrammiert", warnt Brock-Harder. Jugendliche orientierten sich an Scheinwelten, die Influencer und Soziale Medien präsentieren, was häufig zu Selbstwertproblemen führe.
Die normale Suche nach der eigenen Identität ist zu großen Teilen ins Netz verschoben - und damit auch den erzieherischen Zugriffsmöglichkeiten entzogen.
Ein Stufenplan für mehr Kontrolle
Als Lösung schlägt Brock-Harder einen differenzierten Ansatz vor. Schulen sollten ihrer Meinung nach eine strikte Smartphone-Regelung einführen, bei der die Geräte während des Unterrichts abgeschaltet und sicher verwahrt werden. "Wir wissen, dass die Leistungen besser werden, die Sozialkompetenz steigt und sich die Kinder mehr bewegen, wenn Smartphones aus dem Sozialraum Schule verschwinden", erklärt sie.
Vorbildfunktion als Eltern ernst nehmen
Der Einsatz spezieller Tablets für den Unterricht ist natürlich möglich. Für den Freizeitbereich sei es jedoch wichtig, dass Eltern stärker aufgeklärt und in die Verantwortung genommen würden. Einschließlich der Stärkung der Vorbildfunktion.
MDR THÜRINGEN-Hörerin Hannelore (Gemeinde Drei Gleichen) mutmaßt, dass viele Kinder ihre Eltern ohne Handy gar nicht kennen würden. Der Kinderwagen werde mit dem Handy vorm Gesicht geschoben.
Eltern müssen zeigen, dass es eine Welt ohne Smartphones gibt - und dass diese spannender sein kann.
Verbot von Tiktok und Co. für Jugendliche schwer umsetzbar
Allerdings: Ein Verbot Sozialer Netzwerke oder einen genereller Zugangsstopp für unter 16-Jährige hält Brock-Harder für schwer umsetzbar. Sie plädiert für eine umfassende Aufklärungskampagne und den Ausbau von Medienkompetenzprogrammen in Schulen.
Ein partizipativer Ansatz, bei dem Kinder und Jugendliche aktiv in die Gestaltung von Regeln einbezogen werden, könnte ihrer Ansicht nach ebenfalls dazu beitragen, den Umgang mit digitalen Medien zu verbessern. Sie hofft auch auf eine Art Selbstreinigung.
Es wird einen Umschlagpunkt geben, an dem die Jugend selbst erkennt, dass diese Überflutung nicht gut für sie ist.
Es werde einen Umschlagpunkt geben, an dem die Jugend selbst erkennt, dass diese Überflutung nicht gut für sie ist. Bis dahin müsse sie vor den schlimmsten Auswirkungen geschützt werden.
Diskussionen um Verbot auch in MDRfragt-Community
Diskutiert haben MDR THÜRINGEN-Hörer auch die Einrichtungen europäischer Plattformen, die sich an gesetzte Regeln halten und besser kontrolliert werden können, einschließlich der Einschränkung je nach Alter des Nutzers.
Die Stimmen gegen Einschränkungen sind in der Minderheit, Sabine (61) aus dem Erzgebirgskreis von der MDRfragt-Community sagt, es solle jeder selbst entscheiden, ob der Tiktok benutzt. "Wir sind mündige Bürger und brauchen keine Bevormundung."
Verbotskritiker sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr. Für Medienkompetenz-Experten ein mindestens bemerkenswerter Schluss. Alex B. aus Jena sieht hingegen nur noch die ganz harte Lösung: "Social Media definitiv erst ab 16 und die Betreiber müssten sehr viel schärfer kontrolliert werden. Facebook bspw. ist einfach nur noch ein Moloch und lange nicht mehr für Jugendliche geeignet."
MDR (dvs/jw)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 20. Januar 2025 | 16:40 Uhr