Ungarn Plasma spenden und Möbel montieren: Wie ungarische Lehrkräfte über die Runden kommen
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30. April 2024, 09:58 Uhr
Das Lehrpersonal an ungarischen Schulen wird im EU-Vergleich miserabel bezahlt. Deshalb müssen sich viele Lehrerinnen und Lehrer fachfremde Nebentätigkeiten suchen, um ihre Rechnungen zahlen zu können. Daran hat auch eine kräftige Gehaltserhöhung im Januar nicht viel geändert.
Immer wieder sind in Ungarn die Lehrkräfte in den vergangenen Jahren auf die Straße gegangen. Sie protestierten Seite an Seite mit ihren Schülerinnen und Schülern für bessere Arbeitsbedingungen – und für eine bessere Bezahlung. Denn viele kommen mit ihrem Gehalt schlicht nicht über der Runden – ein Problem, das seit Jahren bekannt ist. Anfang 2024 wurden die Lehrergehälter nun kräftig erhöht. Pädagogen mit niedrigerem Einkommen erhielten satte 29 Prozent mehr, während diejenigen mit höheren Gehältern eine weniger große Erhöhung erhielten. Das Mindestgehalt für die meisten Lehrer liegt nun bei 1.362 Euro bzw. bei 1.405 Euro. Das Gehaltsplus für die Lehrkräfte soll nach dem Willen der Regierung aus EU-Mitteln finanziert werden.
Woanders verdient man besser
Für die kommenden Jahre sind weitere Erhöhungen geplant, aber das ungarische Bildungssystem muss sich von einem sehr niedrigen Lohnniveau aus weiterentwickeln. Dem OECD-Bildungsbericht 2023 zufolge verdienten Lehrkräfte in Vollzeit im ungarischen Bildungswesen nur 55 bis 62 Prozent dessen, was andere Arbeitnehmer mit ähnlichen Qualifikationen in Ungarn verdienen. Ähnlich niedrige Werte gab es nur in der Slowakei, während die Gehälter der Lehrer im EU-Durchschnitt bei 90 Prozent des Durschnittseinkommens lagen. Dazu kam 2023 noch die besonders hohe Inflation in Ungarn: Die Verbraucherpreise stiegen dort durchschnittlich um 17,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr - ein Spitzenwert innerhalb der EU.
Wegen der schlechten Verdienstmöglichkeiten in ihrem Hauptberuf haben sich viele Lehrer und Lehrerinnen Nebenjobs gesucht, um über die Runden zu kommen. Auch nach der Gehaltserhöhung können sie nicht auf diese zusätzlichen Einkünfte verzichten. Die Musiklehrerin Tanja (Name geändert) will weiterhin in der Slowakei in Teilzeit unterrichten, obwohl Lehrer dort nicht viel mehr verdienen als in Ungarn. Dennoch: "Bis es in Ungarn die Lohnanpassung gab, habe ich dort fast anderthalb Mal so viel verdient", so Tanja, die nah an der slowakisch-ungarischen Grenze lebt. Und auch jetzt lohnt sich der Nebenjob noch: "Nun verdiene ich immer noch mehr, wenn auch nur noch ein bisschen. Dazu kommt, dass in Ungarn eine Unterrichtsstunde 60 Minuten dauert, in der Slowakei nur 45 Minuten. Auf Stundenbasis bin ich also immer noch besser dran" sagt die Musiklehrerin.
Plasma spenden als Zuverdienst
Dass Lehrer in ihrer Freizeit Privatunterricht geben oder andere Aufgaben in ihrem Fachgebiet übernehmen, ist nicht weiter ungewöhnlich. Doch viele Lehrkräfte in Ungarn greifen zu anderen Mitteln, um finanziell über die Runden zu kommen.
Klára etwa, die in einer größeren Stadt im Nordosten Ungarns lebt, spendet jede Woche Blutplasma, wofür sie jedes Mal umgerechnet rund 40 Euro erhält. "Ich gehe dorthin, weil es eine einfache Möglichkeit ist, Geld zu verdienen und weil es gut bezahlt wird", erklärt die Grundschullehrerin. Anfang des Jahres hat sie eine Gehaltserhöhung von etwa 228 Euro bekommen. Aber sie will nicht auf den Nebenverdienst verzichten. "16.000 Forint pro Woche sind viel für mich, und das Plasmaspenden ist weder intellektuell noch körperlich anstrengend und dauert insgesamt nur anderthalb Stunden. Aber wenn ich gesundheitliche Probleme kriegen würde, würde ich aufhören", so Klára.
Ich gehe dorthin, weil es eine einfache Möglichkeit ist, Geld zu verdienen und weil es gut bezahlt wird.
Handwerker am Wochenende
"Zimmer streichen ist viel besser als Hungern", fasst András die lange Liste seiner Nebenjobs zusammen. Er unterrichtet in einer Grundschule in einer Kleinstadt in der Nähe von Budapest. Obwohl er als Fachlehrer für Technik und Klassenlehrer ein wenig mehr verdient als viele seiner Kollegen, gab es eine Zeit in seinem Leben, in der er aus persönlichen Gründen das zusätzliche Geld brauchte. Er hat Möbel zusammengebaut, Malerarbeiten erledigt, kleinere Elektroarbeiten oder Wartungsarbeiten an Privathäusern gemacht. "Ich war immer erstaunt, wie viel Geld ich im Vergleich mit meinem Lehrergehalt für diese Arbeiten verlangen konnte, obwohl ich anfangs furchtbar niedrige Preise genommen habe", erzählt András. Er arbeitete höchstens ein paar Stunden an Wochentagen und an den Wochenenden, aber es gab Monate, in denen er mehr als sein volles Lehrergehalt verdiente. Später änderte sich seine Lebenssituation und er gab diese Jobs auf.
"Ich bin aber immer noch gerne bereit, ein Ikea-Möbelstück zusammenzubauen", sagt András, der sichtlich stolz auf auf seine Vielseitigkeit ist. Er ist einer der wenigen, die ihren Nebenjob bereits aufgegeben haben. Mit der Lohnerhöhung ist er nicht ganz zufrieden: Die habe "die Löhne wieder auf das Niveau von vor etwa drei bis vier Jahren gebracht". Nun reicht es ihm, einen Nebenjob als Nachhilfelehrer in einer anderen Schule zu haben – in dem Arbeitsfeld, zu dem er sich berufen fühlt.
Ich war immer erstaunt, wie viel Geld ich im Vergleich mit meinem Lehrergehalt für diese Arbeiten verlangen konnte, obwohl ich anfangs furchtbar niedrige Preise genommen habe.
Aus Liebe zum Beruf
Für viele ist es ihre Liebe zum Beruf, die sie im Bildungswesen hält. Das gilt auch für József. Er ist Grundschullehrer für Sport und lebt in einer Kleinstadt im Nordwesten Ungarns. Er fing in den 1980er Jahren an, zu unterrichten. "Die Bezahlung war sehr niedrig. Ich habe jahrelang in vielen Berufen gearbeitet, von der Grabsteinherstellung bis zum Maurerhandwerk" sagt József über die ersten Berufsjahre.
Da sein Vater Ofenbauer war, arbeitete er in den Sommerferien und an den Wochenenden mit ihm zusammen. Bis heute baut und renoviert József Kachelöfen und Kamine. Als Lehrer hat er seit langem nur einen Halbtagsjob. Den wollte er aber nie aufgeben, und das, obwohl er sich inzwischen einen guten Ruf als Ofenbauer erworben hat und damit zwei- bis dreimal so viel verdienen kann wie ein volles Lehrergehalt: "Vom Ofenbau könnte ich leicht leben, ohne finanzielle Probleme. Aber ich Dummkopf will eben unterrichten."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 04. Mai 2024 | 07:17 Uhr