Budapester Nachtleben in der Ruinenbar "Szimpla kert" im Partyviertel Elisabethstadt
Budapester Nachtleben in der Ruinenbar "Szimpla kert" im Party-Viertel Elisabethstadt Bildrechte: IMAGO / EST&OST

Ungarn Budapest: Wie Partytouristen einen Stadtteil für die Bewohner zur Lärmhölle machen

07. März 2024, 20:16 Uhr

Die ungarische Hauptstadt hat bei jungen Leuten einen guten Ruf, nicht zuletzt wegen ihres Party-Viertels. Die Bewohner im Budapester Stadtbezirk Elisabethstadt bringt der Partytourismus aber um den Schlaf. Auch wenn er vielen Menschen Arbeit gibt, lohnt sich das am Ende des Tages nicht, sagen Kritiker.

Porträt Kornelia Kiss
Bildrechte: Kornelia Kiss/MDR

Die Budapester Elisabethstadt ist ein Paradies für die Jugend aus aller Welt. Die Straßen, in denen sich die beliebtesten Nachtclubs der ungarischen Hauptstadt befinden, verwandeln sich nachts in eine wahre Festivalmeile. Selbst in Winternächten sind die Straßen voller Leben. Bis zum Morgengrauen hört man Geschnatter, Geschrei und gelegentlich Musik, die aus den Bars dringt, wenn sich die Türen öffnen. In den engen Straßen wimmelt es von feiernden jungen Leuten. Autofahrer mit guten Ortskenntnissen wissen bereits, in welche Straßen sie nicht hineinfahren sollen, sonst könnten sie mit ihrem Fahrzeug in den nächtlichen Touristenströmen stecken bleiben.

Reges Nachtleben in Budapest

Die Elisabethstadt, der VII. Bezirk von Budapest, ist auch deshalb etwas Besonderes, weil sich hier das historische Jüdische Viertel der Stadt befindet. Auch heute ist das ein Ort des jüdischen Gemeindelebens, mit Synagogen und koscheren Restaurants. Eine der stimmungsvollsten Straßen ist die enge Kazinczy-Straße, in der sich neben einer kleinen Synagoge mehrere beliebte Bars befinden. In einem verlassenen ehemaligen Industrie- und Wohngebäude empfängt beispielsweise das "Szimpla kert" (zu Deutsch: "Szimpla-Garten"), eine der ältesten und bekanntesten Ruinen-Bars der Stadt, seine Gäste. Eine lange Schlange erstreckt sich entlang der Straße bis zum Eingang. Es ist noch nicht Mitternacht. Die Nacht hat gerade erst begonnen - und wird für viele bis zum frühen Morgen dauern.

Warteschlange vor der angesagten Ruinenbar Szimpla kert im Budapester Party-Viertel Elisabethstadt.
Warteschlangen sind im Budapester Party-Viertel Elisabethstadt auch an Wochentagen ein völlig normaler Anblick. Bildrechte: Kornéla Kiss/MDR

In der Straße wimmelt es von jungen Menschen. Manchmal unterbrechen die Taxifahrer die Festivalatmosphäre mit wütendem Hupen - selbstverständlich wollen auch sie ihren Anteil an den Einnahmen aus dem Party-Tourismus. Denn man hört hier kaum ein Wort Ungarisch, das Publikum besteht fast ausschließlich aus 20- bis 30-jährigen Ausländern, die von den Budapester Partys begeistert sind.

Party-Hotspot der europäischen Jugend

Eine von ihnen ist die 21-jährige Camille aus Frankreich, die vor zwei Jahren als Erasmus-Studentin in Budapest studiert hat und nun für ein paar Tage zurück gekommen ist, um zu feiern und Freunde zu besuchen. Jetzt steht sie in der Akácfa-Straße Schlange. Mit ihrem Freund will sie in den Instant-Fogas-Komplex gelangen, der damit wirbt, der größte Nachtclub Budapests zu sein. Von der Straße aus hört man nichts von der Party. Nur der starke Verkehr auf der Straße zeigt, dass hinter den geschlossenen Fenstern viel los ist. "Es ist billiger als in Frankreich, das ist klar. Und auch der Club ist sehr gut und sehr groß. Es gibt verschiedene Räume, sodass man wechseln kann, wenn einem die Musik nicht gefällt. Und der Eintritt ist frei. Ich denke, das ist besser als in Frankreich", so Camille.

Warteschlange vor der angesagten Ruinenbar Szimpla Kert im Budapester Partyviertel Elisabethstadt.
Die Partygäste der Nachtclubs und Bars in der Budapester Elisabethstadt kommen überwiegend aus dem Ausland. Bildrechte: Kornélia Kiss/MDR

Dass Budapest einen guten Ruf unter den jungen Menschen in Europa hat, bestätigt auch der 24 Jahre alte Bastian aus Portugal: "Ich habe immer gehört, dass Budapest ein wirklich guter Ort ist, um als junger Mann dorthin zu gehen. Sogar für Erasmus habe ich gehört, dass es einer der besten Orte ist", antwortet er auf die Frage, warum er mit seinen Freunden die ungarische Hauptstadt als Reiseziel ausgesucht hat.

Einheimische klagen über Lärm und Müll

Die Einheimischen sind dagegen alles andere als begeistert. Etwa der 61-jährige Tamás, der in der Elisabethstadt lebt und kurz nach Mitternacht mit seinem Hund auf dem nahe gelegenen Anna-Kéthly-Platz spazieren geht: "Die ausländische Touristen werfen ihren Müll weg, sie sind sehr laut und nicht sehr kultiviert", sagt er. Trotzdem will er nicht umziehen: "Hier arbeite ich. Es ist sehr schwierig, sich in der Hauptstadt zu bewegen. Man bräuchte Stunden, ins Büro und zurück zu kommen", erklärt Tamás. Wie der Interessenkonflikt zwischen Touristen und Anwohnern gelöst werden könnte, wisse er aber nicht.

Besucher in der Ruinenbar Szimpla kert im Partyviertel Elisabethstadt in Budapest
Die Ruinenbar "Szimpla kert" bietet Unterhaltung und Gaumenfreuden auf mehreren Etagen. Es ist eines der angesagtesten Lokale in Budapest. Bildrechte: IMAGO / snapshot

Ein Teil der Bewohner fordert schon seit vielen Jahren, dass die Bezirksverwaltung den Party-Tourismus eindämmt. In der Zwischenzeit hat es einen Wechsel an der Spitze des VII. Bezirks gegeben: Bei der Kommunalwahl 2019 wurde die Führung des Bezirks abgewählt. Viktor Orbáns Regierungspartei Fidesz verlor ihre Mehrheit im Bezirksrat und auch den Bürgermeistersessel. Péter Niedermüller, ein Politiker der größten Oppositionspartei, der Demokratischen Koalition (DK), wurde zum Bürgermeister gewählt.

Doch die Beschwerden über das Party-Viertel sind nicht verstummt, auch wenn Niedermüller versucht, die Bars und Nachtclubs stärker in die Verantwortung zu nehmen. Hauptforum der unzufriedenen Bewohner ist der Verein für eine lebenswerte Elisabethstadt (ungarisch "Élhető Erzsébetvárosért Egyesület"), dessen Vorsitzende, Dóra Garai, bei den Kommunalwahlen 2019 als zivile Kandidatin in den Bezirksrat gewählt wurde. Eine ihrer Hauptforderungen an den Bürgermeister ist die Schließung aller Bars um Mitternacht. Sie hat dem Bezirksrat mehrere Vorschläge vorgelegt, zuletzt im Sommer vergangenen Jahres, die jedoch nie angenommen wurden.

Band spielt in der Ruinenbar Szimpla kert im Partyviertel Elisabethstadt in Budapest
Livemusik gehört ebenfalls zum Angebot der Ruinenbar "Szimpla kert". Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Verordnung soll Party-Exzesse minimieren

Mit der von dem Bezirksrat verabschiedeten sogenannten Kriterienverordung, die die Öffnung nach Mitternacht nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt, ist sie nicht zufrieden. Die Kriterienverordnung schreibt unter anderem vor, dass Lokale mit Musikveranstaltungen Lautstärkeregler einbauen müssen, dass sie das Trinken auf der Straße vor dem Lokal verhindern müssen und dass sie sich verpflichten müssen, den Straßenbereich, in dem sich das Lokal befindet, zu reinigen. Von den 606 gastronomischen Betrieben in der Inneren Elisabethstadt haben derzeit 200 eine Erlaubnis, nach Mitternacht geöffnet zu sein.

Der Abgeordneten Garai sind diese Lokale ein Dorn im Auge. "Diskotheken mit einer Kapazität von mehreren Tausend Menschen haben in einem historischen Jüdischen Viertel von vornherein nichts zu suchen", meint sie. Außerdem werde denjenigen, die in der Inneren Elisabethstadt wohnen und teils gar nicht umziehen können, weil sie zu alt sind oder in Sozialwohnungen leben, "das grundlegende Menschenrecht auf Ruhe und Schlaf in der Nacht verweigert".

Synagoge in der Elisabethstadt in Budapest
Die monumentale Synagoge in der Budapester Elisabethstadt erinnert daran, dass das ein Jüdisches Viertel ist - für manche verträgt sich das nicht mit dem ausgelassenen nächtlichen Party-Leben. Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Zahlt die Stadt beim Party-Tourismus drauf?

Sie ist weiterhin fest entschlossen, das Feiern bis zum Morgengrauen einzuschränken. Auch, weil diese Art von Tourismus sich ihrer Meinung nach nicht lohnt. In vielen touristischen Orten der Welt werde bereits versucht, Party-Tourismus einzudämmen. "Ganz einfach, weil auch sie erkannt haben, dass das nicht profitabel ist, sondern nur Geld kostet, um zu reinigen, zu reparieren und zu renovieren. Sie haben erkannt, dass mit Qualitätstourismus mehr Geld zu verdienen ist," erklärt Garai.

Bürgermeister Niedermüller verteidigt seine Politik. Alleine, dass es nun eine Regelung gibt, ist ihm zufolge ein Erfolg. "Vor 2019, bevor wir die Leitung des Bezirks übernommen haben, gab es keinerlei Vorschriften. Man konnte wirklich alles tun. Es herrschten verblüffende Umstände", so der Bürgermeister. "Wenn es fast 20 Jahre lang keinerlei Regulierung gegeben hat, kann man nicht erwarten, dass sich die Lage binnen drei oder vier Jahren ändert", fügt er hinzu. Außerdem schaffe Tourismus Arbeitsplätze: "In der Inneren Elisabethstadt sind im Gastgewerbe etwa 8.000 bis 10.000 Menschen beschäftigt: Köche, Kellner, Sicherheitsleute, Reinigungskräfte. Wenn es eine Vollsperrstunde um Mitternacht gäbe, würde eine beträchtliche Anzahl dieser Menschen ihre Arbeit verlieren."

Blick hinter den Thresen einer Bäckerei in Budapest.
Bäckerei-Aktion in der Budapester Bar "Szimpla kert" - eine Schließung um Mitternacht würde viele Beschäftigte in der Gastronomie um ihre Jobs bringen. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Bezirksbürgermeister will mehr Kultur-Tourismus

Allerdings wünscht auch er sich eine Verlagerung hin zum "Qualitätstourismus" im Bezirk. Er glaubt, dass die Organisation von Kulturprogrammen oder die Ansiedlung von Kultureinrichtungen, wie zum Beispiel Galerien, im Bezirk langfristig in diese Richtung wirken wird.

"Ein guter Gast ist ein Gast, der bereit ist, etwas mehr Geld auszugeben, um gut zu essen, um in einer kultivierten Umgebung zu sein oder ein Kulturprogramm zu absolvieren", sagt der Bürgermeister. Natürlich werde das "nicht von heute auf morgen" passieren, aber er hoffe darauf, das sich die Gästebasis im legendären Party-Bezirk langsam verändert.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten - Der Osteuropa-Podcast | 09. März 2024 | 07:17 Uhr

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