Wirtschaft Wie Tschechien vom deutschen Infrastrukturpaket profitieren könnte
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01. April 2025, 18:46 Uhr
Das milliardenschwere Investitionspaket Deutschlands in Infrastruktur und Rüstung könnte auch Tschechiens stagnierende Wirtschaft beflügeln. Dank enger wirtschaftlicher Verflechtungen hoffen einige Branchen in Tschechien auf Impulse – allen voran die Bau- und die Rüstungsindustrie.
Volkswirtschaften eng verflochten
Das unlängst vom deutschen Parlament verabschiedete Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur hat auch in Tschechien hohe Wellen geschlagen. Die davon erhofften Wachstumsimpulse für die deutsche Wirtschaft könnten sich nämlich auch in unserem Nachbarland bemerkbar machen, denn die Volkswirtschaften von Deutschland und Tschechien sind stark miteinander verflochten.
Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass ungefähr ein Drittel des tschechischen Außenhandels mit Deutschland abgewickelt wird. Einen Löwenanteil daran hat schon seit Jahren der Automobilsektor. Aber auch in anderen Branchen ist der Beitrag von tschechischen Zulieferern sehr hoch, zum Beispiel im Maschinenbau.
In Prag wird daher schon seit geraumer Zeit mit einer gewissen Sorge verfolgt, dass die deutsche Wirtschaft stagniert und die Wachstumsprognosen sogar nach unten zeigen. Nicht von ungefähr wurde in den letzten Monaten im Hinblick auf diese Entwicklung immer wieder folgende, halb ernst gemeinte Aussage bemüht: "Wenn Deutschland niest, bekommt Tschechien eine Grippe."
Tatsache ist, dass die Zyklen in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Ländern sehr ähnlich verlaufen. Das ist auch nicht zuletzt auf den verhältnismäßig hohen Industrie-Anteil an der tschechischen Gesamtwirtschaft zurückzuführen.
Was bringt der "Investitions-Tsunami"?
Mancherorts in Tschechien reagierte man deshalb fast schon euphorisch, nachdem sich Union, SPD und Grüne auf das historische Investitionsprogramm einigten und es auch durch Bundestag und Bundesrat brachten. Einige tschechische Kommentatoren sprachen gar von einem "Investitions-Tsunami", der sich auch in Tschechien bemerkbar machen könnte. Bei der Darstellung der möglichen positiven Effekte werden auch Vergleiche mit dem Marshall-Plan bemüht, der nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich zum Wiederaufbau Deutschlands und Westeuropas beitrug.
Auch die führenden tschechischen Wirtschaftsforscher sind vorsichtig optimistisch, dass die Milliarden an Euro, die in Deutschland in den nächsten Jahren für Investitionen ausgegeben werden, zu einem Aufschwung führen könnten, der dann auf Tschechien überschwappt. Zu ihnen zählt u.a. Jan Bureš, Chefvolkswirt bei der tschechischen Börseplattform Patria Finance.
"Gemäß der optimistischen Szenarien kann die deutsche Wirtschaft in den Jahren 2026 und 2027 dank der zu erwartenden Milliarden um bis zu drei Prozent wachsen. Für Tschechien könnte das ein zusätzliches Wachstum von bis zu einem halben Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts bedeuten", sagte Bureš dem MDR.
Gleichzeitig verwies er allerdings auch darauf, dass es weitaus entscheidender sein wird, ob das investierte Geld sich mittel- und langfristig positiv auswirken wird. Das heißt also, ob die Milliarden-Summen Grundlage für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Deutschland sein könnten. Mittelfristig würde sich das auch in den tschechischen Wirtschaftsdaten positiv niederschlagen.
Vorsichtig optimistisch in Bezug auf mögliche Mitnahmeeffekte in Tschechien zeigte sich auch der Pressesprecher der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) in Prag, Christian Rühmkorf: "Es ist jetzt noch zu früh zu sagen, wie groß die Auswirkungen des deutschen Konjunkturpakets auf die tschechische Wirtschaft sein werden, aber klar ist, dass es mit Sicherheit positive Impulse geben wird", sagte er im Gespräch mit dem MDR.
Sondervermögen kommt Baufirmen zugute
Rühmkorf wies vor allem auf die Möglichkeiten im Bausektor hin. Zum einen sei es möglich, dass sich die tschechischen Unternehmen direkt an den geplanten deutschen Infrastrukturprojekten beteiligen könnten. Zum anderen aber könnte Tschechien davon profitieren, dass die deutschen Mutterkonzerne in ihre tschechischen Tochterfirmen investieren und einfach auch mehr Aufträge generieren würden.
In einem leichten Vorteil sieht die heimische Bauwirtschaft auch der Chefvolkswirt von Patria Finance, Jan Bureš: "Bei Investitionen in die Infrastruktur würden insbesondere Baufirmen wichtig sein, die Lieferanten von Baumaterial, Unternehmen, die Brückenkonstruktionen herstellen, vielleicht teilweise auch Firmen, die Plastik-Teile fertigen."
Gleichzeitig müsse man aber auch realistisch sein. Bei solchen Projekten im Ausland kämen nämlich in der Regel die dortigen Unternehmen zum Zuge. Die Vorstellung, dass die tschechische Konkurrenz diesbezüglich direkt an Aufträge in Deutschland gelangen könnte, sei nicht besonders wahrscheinlich.
Wenn man bei einigen tschechischen Unternehmen nachfragt, ob sie sich um Aufträge im Rahmen des deutschen Investitionsprogramms für die Infrastruktur bemühen wollen, bekommt man oft eine sehr allgemeine oder zurückhaltende Antwort. Einer der größten Player im Bausektor in Tschechien ist die Firma Metrostav. Vor Jahren hat bereits eine ihrer Tochterfirmen am Bau von U-Bahn-Linien in einigen deutschen Städten mitgewirkt. Sie verfügt außerdem auch über Expertise beim Bau von Brücken.
"Sollten sich auf dem deutschen Markt neue und interessante Gelegenheiten ergeben, werden wir uns eventuell um diese Aufträge bemühen, und zwar mittels unserer Tochterfirma", erklärte der Pressesprecher von Metrostav, Radim Mana, im Gespräch mit dem MDR.
Ganz anders hingegen ist der Standpunkt des Unternehmens Cetin, das sich auf die Verlegung von Glasfasernetzen für schnelles Internet spezialisiert und in Tschechien mit dem Slogan wirbt, es sei "das Rückgrat" des heimischen Internets. Ein Sprecher des Unternehmens sagte dem MDR, dass es immer noch an einem einheitlichen europäischen Markt für Telekommunikation fehle, wodurch die Barrieren für einen Markteintritt im Ausland hoch seien. Zudem müsste die Firma eine Lizenz bei der deutschen Bundesnetzagentur beantragen, was für eine Teilnahme erforderlich wäre.
Kooperation in der Rüstungsindustrie
Wesentlich optimistischer zeigen sich die Vertreter einer Branche, die in den letzten Jahren nicht nur ein starkes Wachstum verzeichnen konnte, sondern wegen des Kriegs in der Ukraine auch ihr Image wesentlich verbessern konnte: Die Rede ist von der Rüstungsindustrie. Auch in diesem Bereich hat sich in Deutschland unlängst etwas getan, indem gleichzeitig mit der Verabschiedung des Infrastruktur-Pakets auch die Schuldenbremse für Rüstungsausgaben gelockert wurde.
"In Prag wird in den kommenden Tagen eine große Konferenz stattfinden, wo die größten deutschen Rüstungskonzerne ihre zukünftigen Pläne erläutern und gleichzeitig auch Ausschau halten werden nach möglichen Partnern in Tschechien", sagte Jiří Hynek, der Chef des Branchenverbands der tschechischen Rüstungsfirmen dem MDR.
Die deutschen Firmen würden sich seinen Worten zufolge nach möglichen Produktionskapazitäten im benachbarten Ausland umsehen. Und Tschechien bringe dafür gute Voraussetzungen mit. Nicht zuletzt gibt es eine lange gegenseitige Erfahrung, was die Firmenkultur angeht. Man wisse daher auf beiden Seiten, was man erwarten könne.
Ob der tschechischen Wirtschaft dank der künftigen milliardenschweren Investitionsprogramme in Deutschland tatsächlich ein neuer Frühling bevorstehen könnte, muss sich erst zeigen.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Neues aus Osteuropa | 29. März 2025 | 07:17 Uhr