Alkohol Tschechien: Wasser statt Bier
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03. Februar 2021, 11:41 Uhr
Tschechien gilt als Biernation. Nirgendwo auf der Welt wird mehr Bier getrunken als bei unsern Nachbarn. Viele Tschechen trinken aber regelmäßig einen über den Durst. Eine Aufklärungskampagne versucht, dagegenzusteuern. Angeregt wird ein freiwilliger alkoholfreier Monat: ein "trockener" Februar. Manche Experten sind aber der Meinung: Die Tschechen seien gar nicht die großen Säufer, für die man sie hält. Vielmehr trieben die vielen Touristen, die das Land besuchen, die Zahlen künstlich nach oben.
Was gibt es schöneres an einem heißen Sommertag als ein Glas kühles, tschechisches Bier? Für viele Tschechen ist die Antwort ganz eindeutig: Nichts. Und auch ohne sommerliche Hitze sind sie ihrem Nationalgetränk sehr zugeneigt. 146 Liter Bier trank ein durchschnittlicher Tscheche im Jahr 2019, so das Tschechische Statistikamt. Damit sind unsere Nachbarn unangefochten weltweit auf Platz 1 – das hat ihnen den Beinamen "Biernation" eingebracht.
Trinken die Tschechen zu viel?
Die Biernation Tschechien – ein Titel, der sich in Werbebroschüren der Tourismusbranche zweifellos gut macht. Doch im realen Leben hat der hohe Konsum seine Schattenseiten. Denn viele Tschechen trinken regelmäßig einen über den Durst. Das wird sichtbar, wenn man die konsumierte Bier-, aber auch Wein- und Schnapsmenge in reinen Alkohol umrechnet: 14,4 Liter reinen Alkohol nimmt ein Tscheche laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchschnittlich pro Jahr zu sich – das Doppelte des weltweiten Durchschnittskonsums. Nur in Moldawien und Litauen wird noch mehr getrunken.
Ein Monat ohne Alkohol
Eine tschechische NGO versucht seit inzwischen neun Jahren, das mit einer jährlich wiederkehrenden Aufklärungskampagne zu ändern. Unter der Losung "Tockener Februar" verpflichten sich die Teilnehmer freiwillig, den ganzen Monat lang keinen Tropfen Alkohol zu trinken. Bei der Erstauflage der Aktion vor neun Jahren waren es nur 100 Männer – 2020 haben sich bereits rund 600.000 Menschen daran beteiligt – also fast jeder zehnte Erwachsene im Land.
Popstar auf Entzug
Einer der prominentesten Teilnehmer der Aktion vor zwei Jahren war der Sänger und Gitarrist Petr Harazim von der landesweit bekannten Popband Nebe (auf deutsch "Himmel"). Als er sich Mitte April 2019 als Alkoholiker outete und die Band alle geplanten Konzerte strich, waren die Fans schockiert. Harazim hatte wenige Wochen zuvor am "trockenen Februar" teilgenommen und durchgehalten – gleich nach Ablauf des Abstinenzmonats aber wieder mit dem Trinken angefangen und einen mehrtägigen Saufmarathon gestartet.
Eine Nacht im Straßengraben
Erst dadurch ist dem Nachwuchsstar bewusst geworden, wie süchtig er wirklich war. "Ich war ständig verkatert, aber ich sagte mir immer, dass ich das unter Kontrolle habe. Selbst dann, als mich Freunde nach Hause bringen mussten, als ich in einen Fluss fiel, auf Tischen einschlief, im Winter auf dem Balkon, mit einer brennenden Zigarette im Bett oder im Straßengraben", verriet Harazim. Erst nach dem "trockenen Februar" machte er eine dreimonatige Entziehungskur. Seine Erlebnisse dort verarbeitete er später in einem Song.
Wer hat wen im Griff?
Ernüchterung, auch im übertragenen Sinne – das ist das, was die Veranstalter der Aktion erreichen wollen. Zum einen soll die ganze Gesellschaft auf das Problem aufmerksam werden, zum anderen aber jeder Einzelne über sein eigenes Trinkverhalten nachdenken. "Wir haben in Tschechien rund eine Million Menschen jenseits der Risikogrenze. Jeder neue Teilnehmer trägt dazu bei, dass sich weitere Menschen beteiligen und testen, ob sie Alkohol im Griff haben, oder aber Alkohol sie", sagte Mit-Veranstalter Petr Freimann im Tschechischen Fernsehen.
Treiben Touristen Alkoholkonsum nach oben?
Einige wenige Experten meinen allerdings: Die Corona-Pandemie zeige, dass das Bild der veremeintlichen Saufnation Tschechien falsch sei. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass die vielen Touristen im Land die Statistik künstlich nach oben treiben würden. Und in der Tat erwarten die tschechischen Brauereien für das Corona-Jahr 2020 Umsatzrückgänge von 15-20 Prozent (genaue Zahlen liegen noch nicht vor). Noch stärker könnte es Winzer und Schnappsbrenner treffen, wo von einem Einbruch von 30-40 Prozent die Rede ist.
Das bringt den Chef-Analytiker der Investmentgesellschaft BH Securities, Štěpán Křeček, zu der Annahme, dass die Alkoholstatistik für Tschechien verfälscht sei – Alkoholtourismus aus anderen Ländern, insbesondere aus Nordeuropa, mache aus Tschechen größere Trinker als sie in Wahrheit seien, meint er. Als Beleg führt er zwei Fakten an: Prag lag 2018 auf Platz 20 unter den meistbesuchten Städten der Welt und mehr als eine halbe Million ausländische (Saison)Arbeiter waren im Land vor der Corona-Pandemie beschäftigt. Sie verbringen ihre Freizeit Křeček zufolge oft mit Alkoholkonsum.
Der Geschäftsführer der Union Tschechischer Alkoholproduzenten und -importeure, Vladimír Darebník, weist außerdem darauf hin, dass große Mengen Alkohol in Tschechien von Deutschen und Österreichern im kleinen Grenzverkehr gekauft wurden. Andere Experten sind mit derartigen Schlussfolgerungen allerdings vorsichtig und weisen darauf hin, dass sich der Anteil der Ausländer am tschechischen Alkoholkonsum nicht genau beziffern lässt.
Hohe Kosten des Alkoholkonsums
Wie dem auch sei – sinnvoll scheint die Aktion "Trockener Februar" dennoch zu sein. Schätzungen zufolge trinkt jeder siebte Tscheche so, dass er seine Gesundheit gefährdet. Und das kommt der Volkswirtschaft teuer zu stehen. Die Kosten, die durch Trunkenheit entstehen – medizinische Behandlung, Fehltage am Arbeitsplatz, Unfälle und Gerichtskosten – werden auf rund 56 Milliarden Kronen jährlich beziffert (umgerechnet rund 2,2 Milliarden Euro). Und das entspricht immerhin mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts!
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 15. Februar 2020 | 07:15 Uhr