Mitglieder des Gesangs- und Tanzensembles Karpaty führen am Eröffnungstag einen traditionellen Tanz auf.
Frauen in polnischen Landfrauenvereinen werden oft mit dem Tragen von Volkstrachten assoziiert (Symbolbild). Bildrechte: IMAGO/NurPhoto

Polen Volkstracht oder High Heels? Revival der polnischen Landfrauen

10. Januar 2025, 16:54 Uhr

Landfrauenvereine – das klang lange nach Tradition und Rückständigkeit. Nun bringen junge, berufstätige Frauen frischen Wind in die traditionellen Vereine. Marta Łapińska von "Frauen in High Heels" will so junge Frauen aus den Städten zurück ins ländliche Polen holen.

"Ob wir in hohen Absatzschuhen aufs Feld gehen?! Wenn es etwas zum Anpacken oder Organisieren gibt, ziehen wir schon Turnschuhe an, so ist es nicht!", lacht Marta Łapińska, die Vorsitzende des Landfrauenvereins "Frauen in High Heels". Es ist eine von 11.000 Landfrauenorganisationen, die über ganz Polen verstreut sind und derzeit ein Revival erleben.

Lange Zeit galten die Vereine als etwas Rückständiges und Angestaubtes. Dem Klischee zufolge sind darin ausschließlich ältere Frauen aktiv, die nur kochen, backen und beten – kurzum – für traditionelle, konservative Rollenbilder stehen. Solche Vereine gibt es zwar in der Tat nach wie vor – doch Frauen wie Marta Łapińska und ihre Mitstreiterinnen erfinden den Landfrauenverein in Polen gerade neu und führen die altehrwürdige Institution ins 21. Jahrhundert.

Gruppenfoto Landfrauenverein "Frauen in High Heels"
Die Landfrauen aus dem Dorf Łapy mit ihrer Vorsitzenden Marta Łapińska (4. von links). Bildrechte: KGW "Łapianka na obcasach"

Junge Frauen zurück aufs Land holen

Die Frauen aus Łapińskas Verein sind neben ihrem Ehrenamt fast alle berufstätig: Sie sind Buchhalterinnen, Animateurinnen, Dekorateurinnen, Versicherungskauffrauen. Und sie leben auf dem Land, in einem Dorf namens Łapy in der Region Podlachien im Nordosten Polens, nicht weit von der Grenze zu Belarus entfernt. Wie nahezu überall ist der Landfrauenverein hier, zusammen mit der Freiwilligen Feuerwehr, eine tragende Säule bürgerschaftlichen Engagements und des sozialen Lebens.

"Wir schreiben ständig Projekte, beantragen Zuschüsse und Subventionen, haben eine Bibliothek und einen Club für Frauen eröffnet. Wir inspirieren uns gegenseitig, planen neue Initiativen und wollen uns mit anderen Frauen vernetzen", schwärmt Łapińska. Damit trägt sie, wie sie glaubt, dazu bei, ein großes Problem der polnischen Provinz zu lindern: den starken Männerüberhang auf dem Land in der Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen. Viele junge Frauen kehren dem Landleben den Rücken und ziehen in die Großstadt, eine massive Abwanderung findet da gerade statt. Diesen Trend zumindest teilweise umzukehren, das Landleben für junge Frauen attraktiver zu machen, haben sich Łapińska und ihre Mitstreiterinnen zum Ziel gesetzt.

Gemütlich backen und Unternehmerinnen treffen

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Leben auf dem Land in Polen sehr verändert – nicht nur weil es jetzt dort auch Internetzugang oder modernere Infrastruktur gibt. Auch das Bewusstsein der Menschen, die "Denke", ist anders geworden, glauben die Frauen vom Verein. Neben den traditionellen, relativ kleinen Bauernhöfen gibt es inzwischen auch große landwirtschaftliche Betriebe, die mehrere hundert Hektar Land bewirtschaften. Ebenso gibt es Menschen, die zwar auf dem Land leben, aber in der Stadt ein Unternehmen betreiben. Und die Frauen? Viele wollen sich heute weiterentwickeln und überholen die Männer oft in Sachen Karriere. Sie studieren und verdi enen ihr eigenes Geld – was sehr oft damit verbunden ist, dass sie ihre Heimatdörfer verlassen.

Die Frauen aus dem Verein in Łapy dagegen sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Und nicht nur das: Sie sehen sich gerne in der Rolle der Haus- oder Landfrau, spielen aber mit dieser Konvention. Łapińska erzählt, dass sie natürlich auch Workshops zur traditionellen Backkunst organisieren. Eine Woche später gibt es dann aber auch mal ein Treffen mit lokalen Unternehmerinnen. Neulich haben die Frauen eine gemeinsame Ballonfahrt organisiert. Auch der Name ihres Vereins "Frauen in High Heels" spielt auf die moderne, selbstbewusste Frau an, die sich eben – manchmal – auch in Stöckelschuhen fortbewegt.

Insta-Kachel Landfrauenverein "Frauen in High Heels"
Der Landfrauenverein in Łapy: moderne Optik statt Trachten und Volksliedern. Bildrechte: KGW "Łapianka na obcasach"

Auch traditionelle polnische Landfrauenvereine

Ganz anders sieht es etwa vierhundert Kilometer südlich, in Krzemienica, einem kleinen Dorf im Karpatenvorland aus. Dort ist die pensionierte Lehrerin Ewa Frączek aktives Mitglied des Landfrauenvereins. Sie und ihre Weggefährtinnen, die ebenfalls schon in Rente sind, tragen Trachten, singen Volkslieder und versuchen, traditionelle Backrezepte an die Kinder- und Enkelgeneration weiterzugeben.

Sie stehen für die traditionelle Ausprägung der Landfrauenvereine, in der auch die religiöse Komponente deutlich spürbar ist. Die Hauptrolle spielt, wie Frączek sagt, die "wichtigste Haus- und Landfrau der Nation", nämlich die Heilige Maria, Mutter Gottes. Hunderte Landfrauenvereine pilgern jedes Jahr im Sommer nach Tschenstochau, dem beliebtesten Wallfahrtsort des Landes, um die Ikone der Schwarzen Madonna aufzusuchen und für ein bestimmtes Anliegen zu beten. "Für Familie, Kinder, Enkel und natürlich für Polen, was denn sonst…", sagen die Teilnehmerinnen der Frauenwallfahrt. Während ihres mehrtägigen Pilgertreffens werden Stände aufgebaut, Volks- und Kirchenlieder gesungen, aber auch die Kochkünste der Frauen zelebriert und natürlich ihre selbstgemachten Speisen verzehrt. Es herrscht eine volkstümliche, katholisch-patriotische Atmosphäre und alle Frauen tragen eine Tracht.

Oft wird diese Ausprägung der Landfrauenvereine als Relikt früherer Zeiten angesehen. Rückständig und altbacken, so der Vorwurf. Viele Vereine konzentrieren sich nämlich auf die Reproduktion fast vergessener Rituale, die die christliche polnische Identität sehr stark bestimmten. Die ersten Landfrauenvereine wurden schon im 19. Jahrhundert gegründet. Die Frau auf dem Lande – tüchtig und produktiv – war sich ihrer Rolle bewusst. Während die Männer auf den Feldern gearbeitet haben, waren die Frauen im Stall, im Garten oder bei den Kindern. Der Verein war ein Ort, an dem die Hausfrauen des Dorfes eine Pause von ihrem Alltag und ihren Pflichten fanden. Sie trafen sich, sangen, stickten, backten – und tauschten sich über ihre Probleme aus. Für Ewa Frączek hat das gar nichts mit Rückständigkeit zu tun. Die Liebe zum gemeinsamen Singen sei ein riesiges Bindeglied für die Gemeinschaft, und die religiösen Rituale seien mit dem Rhythmus der Natur verbunden, nach dem sich auch die Feldarbeit richte.

Als Frau auf dem Land selbst anpacken

Ob in hohen Absatzschuhen unterwegs oder vor der Tschenstochauer Madonna ins Gebet versunken – eines haben die polnischen Landfrauen trotz aller Unterschiede gemeinsam: den Willen zur Selbst-Organisation und das Bedürfnis, auch in spärlich besiedelten Gebieten Gemeinschaft zu leben. In Krzemienica haben die Frauen eine Gedenkstube für ihren Verein hergerichtet. Sie ist ein Treffpunkt, an dem man sich mit dem Kunsthandwerk beschäftigt, neue Rezepte ausprobiert, vor allem aber an einer gemeinsamen Chronik arbeitet. Über 9.000 Seiten mit Fotos, Andenken und Zeitungsausschnitten wurden schon gesammelt. Der Verein selbst ist schon 90 Jahre alt.

Wappen heiliger Jakob
Der recht traditionelle Landfrauenverein im Dorf Krzemienica trägt das Bild eines Heiligen in seinem Logo. Bildrechte: KGW w Krzemienicy

Diese 9.000 Dokumente zu sichten, helfe, das heutige Leben auf dem Land und die Menschen dort zu verstehen. Und eigentlich nicht nur Dorfbewohner, sondern die ganze polnische Gesellschaft, denn die große Mehrheit der Polinnen und Polen hat bäuerliche Wurzeln, sagt Frączek. Dieser Identifikationsfaktor sei ihnen sehr wichtig. Das ist ihre Art, sich mitzuteilen: "Viele von uns werden in diesen Frauen ihre Großmütter, Mütter und sich selbst wiedererkennen."

Die polnischen Landfrauen erzählen ihre eigne Geschichte. Und sie haben eine Mission: die lokale Gemeinschaft stärken und integrieren. Ob sie dabei als Hüterinnen echter oder vermeintlicher Tradition auftreten oder diese neu interpretieren und ins 21. Jahrhundert verfrachten, spielt letztlich keine Rolle.

MDR (baz, usc)

Agata Czarkowska
Agata Czarkowska Bildrechte: privat

Unsere Autorin Agata Czarkowska arbeitet als Autorin, Dozentin und Übersetzerin. Nach dem Studium in Breslau, Berlin und Zürich widmete sich die promovierte Germanistin dem Unterrichten an der Universität. Gleichzeitig veröffentlichte sie beim MDR, dem RBB und POLSKIE RADIO. Czarkowska wirkte bei zahlreichen Reportagen und Dokumentationen mit, die sich mit der Alltagskultur Polens befassen, etwa bei der ARTE:Re Reportage über den Polenmarkt in Łęknica (Co-Autorin). 

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Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Nachrichtenradio | 18. Januar 2025 | 07:22 Uhr

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