Eine allgemeine Ansicht des Bektashi World Center in Tirana, dem internationalen Hauptsitz des Bektashi-Sufi-Ordens, umgeben von Wohngebäuden und Grünflächen, am 29. September 2024 in Tirana, Albanien.
Ein elf Hektar großes Gelände mit dem Weltzentrum des Bektaschi-Ordens soll aus der albanischen Hauptstaat ausgegliedert und nach dem Vorbild des Vatikans zu einem eigenständigen Staat erklärt werden. Bildrechte: IMAGO/NurPhoto

Pläne für Staatsgründung Albanien: Mini-Vatikan für islamischen Orden?

03. Januar 2025, 16:39 Uhr

Die Bektaschi, ein islamischer Orden, der für Toleranz und interreligiösen Dialog bekannt ist, ist ins Rampenlicht gerückt: Ein eigener Ministaat, vergleichbar mit dem Vatikan, soll seinen Status sichern. Doch der Vorschlag des albanischen Premierministers sorgt für Kontroversen.

Porträt Anja Troelenberg
Bildrechte: Ilir Tsouko/MDR

An einem Freitagmittag tobt in der albanischen Hauptstadt Tirana das übliche Verkehrschaos. Es wird gehupt, was das Zeug hält. Mit geübtem Griff reiht sich der Taxifahrer in den dichten Verkehr ein. "Zu Baba Mondi?" – so nennen die Albaner liebevoll das geistliche Oberhaupt der Bektaschi, einer islamischen Bruderschaft mit schiitischen Wurzeln und Sitz in Tirana. "Ein guter Mann", findet er. Aber warum der Geistliche jetzt einen Staat brauche, das verstehe er nicht.

Ein souveräner Staat für die Bektaschi?

Seit Premierminister Edi Rama im September angekündigt hatte, das Zentrum des islamischen Bektaschi-Ordens in einen souveränen Staat umzuwandeln, ist die Gemeinschaft in die Diskussion geraten. Rama begründet seinen Vorstoß mit der langen Tradition Albaniens als Land der religiösen Toleranz und Vielfalt. Mit ihrer liberalen Ausrichtung könnten die Bektaschi als eigenständige Institution ein Zeichen für ein weltoffenes und modernes Islamverständnis setzen. Doch trotz der friedlichen und toleranten Tradition der Bektaschi birgt diese Idee das Potenzial für erhebliche Spannungen.

Blick auf eine Häuserfassade und einen Torbogen im Bildhintergrund
Tor zum Weltzentrum der Bektaschi in TIrana. Im Fall einer Staatsgründung wäre das ein "Grenzübergang". Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Am Eingang des Weltzentrums der Bektaschi grüßt ein Pförtner, dessen Augen mindestens so leuchten wie seine gelbe Warnweste: "Zum Baba?" Hinter der Schranke öffnet sich eine Allee aus geometrisch angeordneten Mosaiken. Der Straßenlärm verstummt hinter den hohen Mauern, die Vögel zwitschern. Zypressen säumen den Weg zum Hauptgebäude. "Das hat sogar die Diktatur überlebt", sagt der Pförtner stolz.

Damit gehört es zu den wenigen Gotteshäusern, die die stalinistische Schreckensherrschaft in Albanien unbeschadet überstanden haben. Der langjährige Diktator Enver Hoxha hatte die Ausübung aller Religionen im Land jahrzehntelang unterdrückt. Inspiriert von der chinesischen Kulturrevolution, erklärte er Albanien 1967 zum ersten atheistischen Staat. Er ließ Moscheen und Kirchen zerstören und religiöse Würdenträger in Gefängnissen oder Arbeitslagern internieren. Erst mit dem Ende der Diktatur 1990 lebten die traditionellen Glaubens­bekenntnisse wieder auf.

"Jeder ist willkommen"

Heute steht das Zentrum der Bektaschi allen offen. "Jeder ist willkommen", sagt der Pförtner und bringt damit den Glaubenssatz des Ordens auf den Punkt. Denn seine Anhänger vertreten die Überzeugung, dass alle Menschen – unabhängig von Religion, Geschlecht und Herkunft – gleich sind und einander respektieren sollten. Und er fügt erklärend hinzu, dass auch er die Kirche von Laç besuchen wolle, einen katholischen Wallfahrtsort im Norden des Landes, an dem Gläubige verschiedener Religionen zusammenkommen. "Am Ende beten wir alle zum selben Gott."  

Baba Edmond Brahimaj, Oberhaupt des Bektaschi-Ordens in Albanien
Haxhi Baba Edmond Brahimaj (kurz Baba Mondi) ist seit 2011 Oberhaupt des islamischen Bektaschi-Ordens. In seinem "ersten" Leben war er Offizier der albanischen Streitkräfte. Bildrechte: Anja Troelenberg/MDR

Der "Baba", der offiziell Baba Edmond Brahimaj heißt, empfängt Besucher vor dem Gebäude. Er trägt eine grüne Robe, eine ebenso grüne Haube und einen langen weißen Bart. Während des stalinistischen Regimes diente er als Offizier in der Armee. Heute leitet der 65-Jährige den Orden, dessen Anhänger über Albanien, den Kosovo, Nordmazedonien und die Türkei verstreut sind. Er predigt einen liberalen Islam – ohne Alkoholverbot und Schleierpflicht – und engagiert sich im interreligiösen Dialog. "Es darf keine Gewalt im Namen der Religion geben", sagt er und passt damit gut in seine Umgebung, denn Albanien ist für seine religiöse Harmonie bekannt.

Albaniens Tradition der Toleranz

Nach dem terroristischen Attentat auf die Zeitung Charlie Hebdo reiste der albanische Premierminister gemeinsam mit den führenden Vertretern der vier großen Religions­gemeinschaften Albaniens zum Trauermarsch nach Paris. Laut der letzten Volkszählung bekennen sich 51 Prozent der Bevölkerung zum Islam, davon knapp fünf Prozent zu den Bektaschi. 16 Prozent gehören dem Christentum an – acht Prozent sind Katholiken, sieben Prozent Orthodoxe. Obwohl Albanien eines der ärmsten Länder Europas ist, hat es immer wieder Menschen in Not geholfen: Während des Zweiten Weltkriegs nahm das Land zahlreiche Juden auf, und 2021 bot es afghanischen Flüchtlingen Schutz vor den Taliban.

Weltzentrum des Bektaschi-Ordens in Tirana, Albanien
Die Flaggen Albaniens und des Bektaschi-Ordens nebeneinander – die religiöse Gemeinschaft hat eine Rolle bei der Herausbildung des albanischen Nationalbewusstseins gespielt. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Ein oft zitierter Satz in diesem Zusammenhang lautet: "Die Religion des Albaners ist das Albanertum." Er wurde während der albanischen Nationalbewegung geprägt, um religiöse Unterschiede zugunsten des nationalen Zusammenhalts zu überwinden. Der Bektaschi-Orden spielte dabei eine wichtige Rolle: Mit ihrem Einsatz für religiöse Toleranz wirkten die Bektaschi-Geistlichen gegen Spaltungen innerhalb der Bewegung. Kritiker des Projekts finden deshalb heute: Die Bektaschi sollten Teil des Staates bleiben, den sie einst mitbegründeten.

Ein Staat wie der Vatikan?

"Ein Weltzentrum braucht einen eigenen Staat, aktuell bin ich nur eine NGO", sagt Edmond Brahimaj. Für die Menschen in Albanien würde sich kaum etwas ändern, schließlich würde er nur das ohnehin bestehende Gelände von gerade einmal elf Hektar regieren. Damit wäre sein Reich der kleinste Staat der Welt. Eine Polizei oder eine Garde wie im Vatikan werde es nicht geben, auch eine Grenze wolle er nicht ziehen. Es gehe allein um den rechtlichen Status, der dem Orden autonome Beziehungen zu anderen Staaten ermögliche.

Weltzentrum der Bektaschi in Tirana, Albanien
Ähnlich wie im Vatikan wäre eine Kuppel ein Wahrzeichen des Bektaschi-Staates – wenn er denn gegründet wird. Bildrechte: Anja Troelenberg/MDR

Diese rechtliche Absicherung wäre auch eine Überlebensgarantie. Die Bektaschi, deren Ursprünge im 13. Jahrhundert in Anatolien liegen, waren einst die spirituelle Heimat der Janitscharen, einer militärischen Elite des Osmanischen Reichs. Doch als Atatürk die säkulare Republik Türkei gründete, fanden die Bektaschi Zuflucht in Albanien. "Wir sind friedlich, das hat die Zeit gezeigt und sie wird es wieder tun." Edmond Brahimaj wünsche der Menschheit drei Dinge: Liebe, Frieden und Güte.

Dennoch äußern sich Vertreter anderer Religionsgemeinschaften besorgt. Die muslimische Gemeinschaft Albaniens bezeichnete die Initiative gar als "gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft des Landes" und kritisiert, dass der Vorschlag ohne Konsultation mit den religiösen Gemeinschaften unterbreitet wurde.

Mystischer Kern des Bektaschismus

"Wir mischen uns in niemandes Angelegenheiten ein", betont Edmond Brahimaj. Der Bektaschismus konzentriert sich stark auf den inneren Glauben und die mystische Erfahrung der Göttlichkeit. "Wir haben nicht die Macht, die Welt zu verändern, also sollten wir uns mit uns selbst beschäftigen." Zur mystischen Praxis gehören Meditationen, Rituale und spirituelle Lieder, die teilweise nur dem inneren Kreis vorbehalten sind. "Wer sich selbst erkennt, erkennt Gott", zitiert Baba den Koran und entlässt seinen Besuch nicht ohne Bonbons und Orangen.

Weltzentrum der Bektaschi in Tirana, Albanien
Särge früherer Bektaschi-Führer im Weltzentrum in Tirana Bildrechte: Anja Troelenberg/MDR

"Mystische Praxis?" – das lässt den Taxifahrer schmunzeln. Um in andere Sphären vorzudringen, würde der geschätzte Baba gern mal ein Glas albanischen Obstbrand trinken. Das ist ganz unorthodox, denn während die meisten Muslime keinen Alkohol trinken dürfen, lassen Bektaschi das zu – schließlich sei es Allahs Wille, was passiere, wenn man Trauben in Fässern lagere.

MDR (baz)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 21. Dezember 2024 | 07:22 Uhr

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