Theater-Premiere "Wundervoll verrückt": Werther in Weimar
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11. Februar 2024, 14:20 Uhr
Vor 250 Jahren erschien Goethes Briefroman auf der Leipziger Buchmesse. Die Geschichte um den jungen Mann, der sein Ich sucht, gegen soziale Schranken rebelliert und sich am Ende wegen einer unerfüllbaren Liebe das Leben nimmt, hatte enorme Wirkung. 250 Jahre später lotet das Deutsche Nationaltheater Weimar "Die Leiden des jungen Werthers" neu aus. Unser Kritiker erlebte bei der Premiere eine gelungene "Werther"-Show, die den berühmten Text "wundervoll verrückt" ins Hier und Heute übersetzt.
- In Weimar hat am Samstagabend der Goethe-Klassiker "Die Leiden des jungen Werthers" Premiere am Deutschen Nationaltheater gefeiert.
- Das DNT holt "Werther" im Gewand einer TV-Show ins Hier und Heute.
- Mit Respekt vor dem Original entstand eine emotionale und stilsichere Inszenierung im richtigen Sound.
Hand aufs Herz, haben Sie "Die Leiden des jungen Werthers", den berühmten Briefroman von Goethe, jemals im Original gelesen? Oder erinnern Sie sich eher an "Die neuen Leiden des jungen W.", mit denen Ulrich Plenzdorf uns die alte Geschichte auch schon vor einiger Zeit ins Hier und Heute holte?
Wie auch immer Ihre Antwort ausfällt, die junge Frau, die neben mir im Parkett des Deutschen Nationaltheaters Platz nahm, hatte zu meinem Erstaunen das Reclam-Heft dabei und nutzte die letzten Momente bis zum Vorstellungsbeginn, um noch ein bisschen darin zu lesen. Gut die Hälfte hatte sie, dem Lesezeichen nach zu urteilen, geschafft, als es auf der Bühne so richtig losging. Mit dem Satz, mit dem auch der Roman beginnt (Wie froh bin ich, dass ich weg bin), aber einer Szenerie, die sich im Buch nicht findet.
Premiere für große "Werther"-Show in Weimar
Willkommen in der bunten Welt der Fernsehunterhaltung. Charly und Bert sind die Moderatoren von "W250", der großen Werther-Show, mit der man hier ein Jubiläum feiert. 250 Jahre ist es her, dass Goethes Briefroman auf der Leipziger Buchmesse erschien und ein Bestseller wurde. Erklärt uns die glänzend aufgelegte Nadja Robiné als Moderatorin Charly und hat sich deswegen wohl auch eine goldene 250 in ihre üppig aufgetürmte Struwwelpeter-Perücke gesteckt, während Nahuel Häfliger als perfektes Conchita-Wurst-Double viel Bein und Showtalent zeigt.
Der junge Werther hat es auch in den Cast geschafft. Hoch drei sozusagen, Calvin-Noel Auer, Fabian Hagen und Marcus Horn sind jeder für sich ein skurriler Kandidat in dieser Flirtshow, bei der es natürlich um Charlotte geht. Die, wie der von Janus Torp gespielte, nervöse Aufnahmeleiter mitteilt, leider etwas zu spät kommen wird. Hat halt viel zu tun, die junge Frau, die statt der verstorbenen Mutter für die acht Geschwister sorgen muss.
DNT Weimar holt "Werther" ins Hier und Heute
Deswegen hat die als Clown verkleidete, aber voller Natürlichkeit spielende Raika Nicolai bei ihrem ersten Charlotte-Auftritt wohl auch noch die angeknabberte Toastbrot-Tüte vom Frühstück mit dabei. Was ist hier los? Was hat das mit Goethe zu tun? Mögen sich spätestens jetzt einige ältere Abonnenten im Publikum gefragt haben. Doch ich vermute, dass auch sie am Ende mit der Antwort von Regisseurin Swaantje Lena Kleff und ihrem Inszenierungsteam zufrieden gewesen sind.
Offensichtlich haben die sich von der Leipziger Buchmesse unserer Tage inspirieren lassen. Bei der bekanntlich so mancher historische Roman als Graphic Novel angeboten wird und ein großer Teil der jungen Leserschaft als wilde Cosplay-Horde durch die heiligen Hallen tigert. Kulturgenuss auf neue Art.
Respekt: Emotional, stilsicher und wundervoll verrückt
Nichts anderes geschieht auf der Bühne in Weimar. Die Macher haben ihren Goethe gelesen und verstanden. Sie verstehen es, ihn auf wundervoll verrückte Weise ins Heute zu übersetzen. Sie verzichten dabei nicht auf den originalen Text. Wenn der von dieser überkandidelten Personnage spielerisch in Szene gesetzt wird, gewinnt er plötzlich Klarheit. Weil ihm immer der Respekt gewährt wird, der ihm gebührt und er sich dem Publikum, gerade wegen der verrückten Projektionsfläche, umso verständlicher zeigt.
Viel trägt dazu auch der sehr emotionale und stilsichere Soundtrack von Ludwig Peter Müller bei, in den viel Populäres aus dem Love Song Book unserer Tage eingeflossen ist. Im furiosen Finale des zweistündigen pausenlosen Abends singt Fabian Hagen auf sehr berührende Weise den Danger-Dan-Song "Eine gute Nachricht", in dessen Refrain es heißt: "Was ich eigentlich nur damit fragen will, ist: 'Schläfst du heut bei mir?'" Viel schöner und prägnanter kann man Goethes Briefroman nicht auf den Punkt bringen. Insofern: Punktlandung in Weimar.
PS: Ich kann mir gut vorstellen, dass die junge Frau neben mir ihr Reclam-Heft trotzdem zu Ende liest.
Angaben zum Stück
Deutsches Nationaltheater Weimar
Theaterplatz 2
99423 Weimar
"Die Leiden des jungen Werthers"
Schauspiel nach dem Briefroman von Johann Wolfgang Goethe
Theaterfassung von Swaantje Lena Kleff, Eva Bormann und Beate Seidel
Premiere:
10.2.2024, 19:30 Uhr im Großen Haus des DNT Weimar
Weitere Aufführungen
22.02.2024, 19:30 Uhr
03.03.2024, 18 Uhr
30.03.2024, 19:30 Uhr
04.05.2024, 19:30 Uhr
22.05.2024, 10 Uhr
23.05.2024, 18 Uhr
02.06.2024, 18 Uhr
Quelle: MDR KULTUR, Redaktionelle Bearbeitung: ks
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 12. Februar 2024 | 08:40 Uhr