"Mystic Vibes: Demeter's LOL Chronicles" Neue Göttinnen: Theaterhaus Jena enttabuisiert die weibliche Sexualität
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09. Februar 2024, 18:42 Uhr
In Jena hat sich das Regie-Duo Hashtagmonike wirklich alte Frauen-Bilder vorgenommen. Mit viel Humor zerlegt "Mystic Vibes" Mythen, die antik sind, aber bis heute wirken, auf dem Theater und im echten Leben. Dabei wird die weibliche Sexualität gefeiert. Und das alles nicht mit feministischem Furor, sondern leichtfüßig, mit viel Komik und Humor, urteilt unsere Kritikerin.
- Am Theaterhaus Jena feierte mit "Mystic Vibes: Demeter's LOL Chronicles" ein feministisches Stück Premiere, das aus der Antike überlieferte Frauenbilder zerlegt.
- Die Inszenierung des Regie-Duos Hashtagmonike enttabuisiert dabei die weibliche Sexualität.
- "Mystic Vibes" kritisiert den auch in Theaterstücken vorherrschenden männlichen Blick auf die Weiblichkeit mit viel Humor.
Das Stück "Mystic Vibes: Demeter's LOL Chronicles" entführt das Publikum in Jena auf eine Insel, auf der vier weibliche Wesen leben. Nymphen? Göttinnen? Phantasiegestalten? Oder sind es doch nur Robben, die Brüste haben? Die Deutungsmöglichkeiten variieren im Laufe des Abends.
Ein Erzählstrang zeigt sie als Frauenfiguren, die in der Mythologie vergessen, verdrängt, geopfert oder auf einsame Inseln verbannt wurden. Frauenfiguren, die scheinbar keine eigene Geschichte haben, sondern nur Beiwerk in der aufregenden Biografie eines männlichen Helden sind.
Da ist zum Beispiel Iphigenie aus der griechischen Mythologie, die von ihrem Vater Agamemnon geopfert wird – mit dem Ziel, dass die Götter Wind schicken mögen, damit die Griechenflotte in den Trojanischen Krieg ziehen kann. Oder Ariadne, die dem griechischen Helden Theseus für seine Heldengeschichte "zuarbeitet", aber dann auf der Insel Naxos zurückgelassen wird.
Regie-Duo Hashtagmonike zerlegt alte Mythen
"Mystic Vibes" ist eine Stückentwicklung, wie sie für das Theaterhaus Jena typisch ist. Verkörpert werden die fluiden Gestalten von den Schauspielerinnen Linde Dercon, Anna K. Seidel, Mona Vojacek Koper und Henrike Commichau.
Vojacek Koper und Commichau bilden das künstlerisches Duo Hashtagmonike und sind für die Regie des Abends verantwortlich. Die beiden Theatermacherinnen arbeiten regelmäßig zusammen und widmen sich vorrangig popkulturellen und feministischen Themen.
"Mystic Vibes" feiert weibliche Sexualität
Die Figuren, die das Quartett erfindet, leben auf ihrer Insel ein freies, selbstbestimmtes Leben. Sie singen, tanzen, kennen sich aber auch mit Aktiengeschäften aus. Klar wird: Sie machen hier die Regeln. Mehrmals sagen sie zum Beispiel ganz fröhlich und gut gelaunt: "Jetzt wird es Nacht. Und warum? Naja, weil wir es wollen."
Bedeutsam ist: All das geschieht abseits des männlichen Blicks. Und das macht auch etwas mit ihrer Sexualität. Sinnbildlich dafür erzählen sie die Geschichte der Figur Baubo, die auch aus der griechischen Mythologie stammt und heute sehr in Vergessenheit geraten ist. Möglicherweise weil sie lange Zeit nicht ins gesellschaftliche Schema gepasst hat? Nicht verstanden oder als zu provokant wahrgenommen wurde?
Baubo trifft eines Tages Demeter, die um ihre tote Tochter trauert. Baubo kommt dann eine ungewöhnliche Idee, wie sie Demeter aufheitern könnte: Sie hebt ihren Rock und zeigt Demeter ihre Vulva - gewissermaßen vielleicht, um sie an etwas Schönes zu erinnern, ihre Sexualität.
Dass dieser Mythos nicht populär geworden ist, hat etwas mit der Tabuisierung der weiblichen Sexualität und dem Anblick der Vulva zu tun – so zumindest die Deutung, die der Abend anbietet.
Ungewöhnliche Frauen-Figuren und viel Witz
Die Inszenierung transportiert Kritik daran, dass die Geschichten, die wir uns erzählen, basierend auf Mythen und Sagen – auf denen ja auch viele Theaterstücke basieren – meistens aus dem männlichen Blick heraus erzählt werden. Frauen sind nicht nur oftmals Nebendarstellerinnen, auch werden sie häufig mystifiziert, infantilisiert, ihr Tod verkitscht und romantisiert.
Eine Stärke der Produktion liegt darin, ihre Kritik daran nicht ins Moralisierende kippen zu lassen. Das gelingt zum einen, weil der Text dramaturgisch so angelegt ist, dass die Situation mit Witz aufgebrochen wird. Und das Humorvolle liegt den vier Schauspielerinnen.
Ein kurzweiliger Abend, fast wie ein leichter Traum – trotz des gesellschaftskritischen Inhalts.
Theatraler Gegenentwurf zum Patriarchat
Darüber hinaus sind es die Figuren an sich, die sich jeglicher Sentimentalität verwehren. Das Publikum erlebt mit ihnen Frauen, die das Kleingehalten-Werden nicht zu biestigen Wesen gemacht hat. Sie fristen ihr Leben keinesfalls in Verbitterung – im Gegenteil.
Vielmehr lernen wir sie als ungebrochene Menschen kennen, die ihr Leben lustvoll leben, auch abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie brauchen keine Bestätigung ihres Seins.
Das Ganze erscheint dann zwangsläufig wie ein gesellschaftlicher Gegenentwurf zum Patriarchat. Um das zu transportieren, wählt das Quartett unterhaltsame Mittel, findet eine eigene Sprache und schenkt dem Auge ein ästhetisches Bühnenbild in kraftvollen, satten Farben.
Ein kurzweiliger Abend, der durch seine Leichtigkeit am Ende fast wie ein leichtfüßiger Traum wirkt – und das trotz des gesellschaftskritischen Inhalts.
Quelle: MDR KULTUR (Marlene Drexler), Redaktionelle Bearbeitung: ks, op
Angaben zur Aufführung: "Mystic Vibes: Demeter's LOL Chronicles" in Jena
Theaterhaus Jena
Schillergäßchen 1
07745 Jena
Mystic Vibes: Demeter's LOL Chronicles
Von und mit: Henrike Commichau, Linde Dercon, Mona Vojacek Koper, Anna K. Seidel
Regie: hashtagmonike (Henrike Commichau, Mona Vojacek Koper)
Bühne und Video: Florian Schaumberger
Kostüm: Anne Martin
Aufführungen:
09.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
10.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
22.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
23.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
24.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
28.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
29.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
30.02.2024, 20:00 Uhr | Hauptbühne
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. Februar 2024 | 12:10 Uhr