Tag der Provenienzforschung Die Fahnderin - eine Frau auf der Spur von Nazi-Raubgut
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10. April 2025, 07:21 Uhr
In fast jedem Museum in Thüringen liegen möglicherweise Sammlungsstücke, deren Herkunft ungeklärt ist. Mit solchen Verdachtsfällen beschäftigen sich Provenienzforscher. In einem aktuellen Forschungsprojekt geht es um mögliches NS-Raubgut in 17 Thüringer Museen.
Täglich legt Johanna Werner den Weg vom Rudolstädter Bahnhof hinauf zur Heidecksburg zurück. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Thüringer Museumsverbandes ist in den vier Museen des Landesmuseums Heidecksburg NS-Raubgut auf der Spur. Eine Sisyphos-Arbeit, für die ihr nur wenig Zeit bleibt. Denn das Forschungsprojekt ist ein sogenannter Erstcheck.
Rund zwei Wochen Zeit hat sie für jedes Haus. Dann muss sie ihren Abschlussbericht schreiben und die Leitungen der Museen über eventuelle Funde oder problematische Objekte informieren. "Es gibt zum Beispiel Objekte, die 1941 auf Auktionen in Berlin gekauft wurden. Wo man aber weiß, dass eine jüdische Sammlung dahintersteckt", sagt Johanna Werner.
Auch das Schicksal eines Rudolstädters ist dabei, der als Homosexueller verfolgt wurde. Die Nazis sperrten ihn aus diesem Grund 1938 erst ins Gefängnis und brachten ihn später ins KZ Buchenwald. Hier vermachte er testamentarisch dem Museum auf der Heidecksburg seine Grafiken-Sammlung. Acht Tage später sei er ums Leben gekommen, sagt die Wissenschaftlerin.
Was ist Provenienzforschung?
Die Provenienzforschung beschäftigt sich mit der Herkunft von Kulturgütern und sucht Aufschluss über deren frühere Besitzerinnen und Besitzer zu geben. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei sogenanntes NS-Raubgut: Objekte, die ihren rechtmäßigen Eigentümerinnen und Eigentümern im Zusammenhang mit ihrer Verfolgung durch das NS-Regime entzogen wurden. Das geschah nicht nur durch direkte Zwangsmaßnahmen, wie es der Begriff "NS-Raubgut" nahelegt. Viele Verfolgte mussten ihr Hab und Gut unter Wert verkaufen, um ihr Überleben zu sichern, um Zwangsabgaben zu leisten oder um ihre Emigration zu finanzieren.
Quelle: Klassik Stiftung Weimar
13 Museen in Thüringen unter der Lupe
13 Museen stehen auf dem Plan von Johanna Werner. 17 Häuser sind es insgesamt, in denen das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste den Erstcheck fördert. Damit werden vor allem kleinere Museen unterstützt, die oft nicht über die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen verfügen, um selbst tätig zu werden.
Im Januar 2024 machte das Literaturmuseum in Heiligenstadt den Anfang. Damals schaute Mai Lin Tjoa-Bonatz in die Archive und Depots, prüfte in alten Museumsverzeichnissen in Heiligenstadt, Sonneberg, Weimar, Arnstadt und Saalfeld.
Davidstern in Koffer entdeckt
In Saalfeld sorgte gleich zu Beginn ein leerer Koffer für Aufsehen. Ein Dachbodenfund, der erst 2007 den Weg ins Stadtmuseum fand. Hinweise auf die früheren Eigentümer gab es nicht.
Doch der im Inneren ans Futter geheftete Davidstern lässt vermuten, dass er Anfang des 20. Jahrhunderts jüdische Besitzer hatte. "Wenn es keine lückenlose Dokumentation gibt, gleicht meine Arbeit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt Mai Lin Tjoa-Bonatz. Die auch ergebnislos verlaufen kann, wie sich später herausstellen wird.
Anfang 2025 übernahm Johanna Werner die Arbeit von Mai Lin Tjoa-Bonatz. Sie beendete die Arbeit im Stadtmuseum Saalfeld und nahm sich danach das Fröbel-Museum in Bad Blankenburg vor. Jetzt untersucht sie die Landesmuseen der Heidecksburg.
Erben sollen Objekte zurückerhalten
Mit dem Tag der Provenienzforschung will die Koordinierungsstelle beim Museumsverband Thüringen auf das Thema aufmerksam machen. 2019 wurde der Tag erstmals ausgerichtet. Organisiert vom Arbeitskreis und einem weltweiten Netzwerk von 400 Expertinnen und Experten. Auch in Thüringen beteiligen sich einige Museen mit verschiedenen Angeboten oder Beispielen aus der Suche nach belastetem Raubgut.
Wenn verdächtige Gegenstände gefunden werden, geht die Arbeit für die Museen eigentlich erst los.
Sie zeigen aufgespürte Objekte oder berichten von ihrer Suche, die sich manchmal wie ein Krimi gestaltet. Mühsam und doch spannend für die beteiligten Mitarbeiter.
Der Erstcheck habe allerdings Grenzen, sagt Sabine Breer, Koordinatorin des Museumsverbandes. "Wenn verdächtige Gegenstände gefunden werden, geht die Arbeit für die Museen eigentlich erst los", sagt sie. "Die Häuser müssen dann den Weg weiterverfolgen und die rechtmäßigen Eigentümer finden."
Ziel sei es, dass diese oder ihre Erben die geraubten oder abgepressten Objekte zurückerhalten. So konnte die Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz den Nachfahren jüdischer Migranten 19 handsignierte Bücher zurückgeben, die in den 1930er-Jahren über Umwege von Paris nach Greiz gelangt waren. Denkbar seien laut Museumsverband aber auch andere Möglichkeiten wie die Entschädigung der Eigentümer.
Deutschland prüft NS-Raubgut
Bereits 1999 hatte sich Deutschland verpflichtet, öffentliche Sammlungen auf NS-Raubgut zu prüfen. Die Stiftung Kulturgutverluste veröffentlicht entzogene Kulturgüter und trägt sie in eine Lost-Art-Datenbank ein. Außerdem unterstützt sie die Museen und gibt Empfehlungen für vertiefende Recherchen.
Die Erstchecks in den Thüringer Museen laufen bereits seit 2020. Damals wurden elf Häuser auf koloniales Raubgut durchsucht. In den vergangenen Jahren erweiterte sich der Fokus auch auf Kulturgüter, die in der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone oder der DDR entzogen wurden. Der Museumsverband will die Häuser in Thüringen deshalb weiter bei ihrer Suche nach unrechtmäßig erworbenen Objekten unterstützen. Der jährliche Tag der Provenienzforschung soll das Thema in die Öffentlichkeit bringen und über Raubgut aufklären.
Auch in Rudolstadt müssen viele Objekte noch näher untersucht werden. Ein Thora-Vorhang zum Beispiel, der einst in einer Berliner Synagoge hing. Bekannt ist, dass er 1923 von Sarah Goldberg für die private Synagoge ihres Sohnes Salomon Goldberg gestiftet wurde.
Diese wurde 1938 ein Opfer der Novemberpogrome. Ob er schon vorher den Besitzer wechselte und welchen weiteren Weg er nahm: Das haben die Forscherinnen noch nicht herausgefunden. Erst 2010 tauchte er in einem Auktionshaus auf. Bis sein Schicksal aufgeklärt ist und die Nachfahren der Familie Goldberg gefunden sind, wird er im Depot von Schloss Heidecksburg aufbewahrt.
MDR (adr/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. April 2025 | 19:00 Uhr
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